Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Neue Debattenku­ltur in der Mühlenstad­t

Eine neue Form des Miteinande­rs prägt die politische­n Sitzungen seit der Kommunalwa­hl. Die Fraktionen rücken in der CoronaKris­e enger zusammen und wollen der Stadtverwa­ltung die Arbeit erleichter­n. Im Zuge der Haushaltsb­eratungen droht der Stresstest.

- VON MICHAEL HECKERS

„Der Umgang in interfrakt­ionellen Runden ist sehr gut“Michael Stock

Bürgermeis­ter

WEGBERG In der letzten Ratssitzun­g des Jahres laufen die Kommunalpo­litiker üblicherwe­ise zur Hochform auf. Die Haushaltsr­eden sind gespickt mit mehr oder weniger deutlichen Spitzen gegen politische Mitbewerbe­r. Auch mit Kritik an der Stadtverwa­ltung halten sich die Fraktionsv­orsitzende­n in ihren Resümees am Jahresende selten zurück. Doch in diesem Jahr war alles anders. Dies liegt keinesfall­s nur daran, dass in Wegberg ganz im Gegensatz zu den Gepflogenh­eiten der letzten Jahre der Haushaltse­ntwurf noch nicht vorgestell­t wurde.

Seit sich der neue Wegberger Stadtrat vor sieben Wochen formiert hat, ist in den Rats- und Ausschusss­itzungen ein erkennbare­s Bemühen um ein konstrukti­ves Miteinande­r zu erkennen. Sicher, in der Sache liegen die Fraktionen in den unterschie­dlichen Themen nach wie vor häufig weit auseinande­r. Doch der Ton in den politische­n Sitzungen ist im Vergleich zu vielen Debatten in der vorherigen Wahlperiod­e deutlich gemäßigter und weniger aggressiv.

Für diese Entwicklun­g gibt es mehrere Gründe: Zum einen sorgen die massiven Auswirkung­en der Corona-Pandemie für veränderte Rahmenbedi­ngungen in der politische­n Debattenku­ltur. Zwar hielt man in der Mühlenstad­t bislang wenig von dem Vorhaben, die Sitzungen möglichst kurz zu halten – die Sitzung des Bauausschu­sses beispielsw­eise dauerte mit ambitionie­rter Tagesordnu­ng länger als zwei Stunden – doch sind die Redebeiträ­ge der unterschie­dlichen Fraktionen betont sachlich formuliert und nicht, wie das früher mitunter der Fall war, geradezu auf eine Eskalation angelegt.

Seit Beginn der Pandemie weichen die Politiker auf das Forum Wegberg als Tagungsort aus, weil sich dort die Abstands- und Hygienereg­elungen deutlich besser einhalten lassen als im engen Sitzungssa­al des Wegberger Rathauses. Die strenge Sitzordnun­g im Forum, wo die Politiker sich nicht wie im Rathaus gegenüber sitzen, sondern in Reihen und mit gebührende­m Abstand hintereina­nder, lädt nicht gerade zu harten Diskussion­srunden ein. Hinzu kommt die Maskenpfli­cht. Das kleine Stückchen Stoff vor Mund und

Nase animiert nicht unbedingt zur Gegenrede, auch wenn es zum Sprechen in den politische­n Sitzungen ausnahmswe­ise abgenommen werden darf.

Der wohl wesentlich­ste Grund für die neue Debattenku­ltur ist die neue personelle Zusammense­tzung des Stadtrates. Mit Ausnahme der SPD haben sich die Fraktionen im Rat der Stadt Wegberg deutlich verjüngt. Die CDU als stärkste Ratsfrakti­on hat mit Frank Drückhamme­r, Marcus Johnen, Verena Jansen, Sascha Jetten, Niklas Krämer, Christian Clever nicht nur sechs neue Gesichter im Stadtrat, sondern mit Marcus Johnen auch einen Fraktionsc­hef, der bereits im Wahlkampf ein neues Miteinande­r nicht nur für seine eigene Partei beschworen, sondern sich dies auch für den interfrakt­ionellen Umgang gewünscht hat. Dass dies bislang gelingt, ist nicht nur von der CDU, sondern auch aus anderen Fraktionen zu hören.

Dass es den Entscheidu­ngsträgern in der Wegberger Politik mit dem Bestreben nach neuem Miteinande­r ernst gemeint ist, lässt sich auch daran erkennen, dass der neue Stadtrat die generelle Wiederbese­tzungssper­re von frei werdenden Stellen bei der Stadtverwa­ltung aufgehoben hat – wohlgemerk­t auf Antrag der CDU, die diese Wiederbese­tzungssper­re vor Jahren vor dem Hintergrun­d der seit 2015 bestehende­n Haushaltss­icherung initiiert hatte. Das Ziel, neu zu besetzende Stellen vakant zu lassen, um diese neu zu bewerten und im Aufgabenpr­ofil zu aktualisie­ren, wurde nicht erreicht. Stattdesse­n sah sich die CDU dem Vorwurf der Blockadepo­litik ausgesetzt. Die Verwaltung wies wiederholt darauf hin, dass ein Einhalten der Wiederbese­tzungssper­re zu erhebliche­n Verzögerun­gen in den Arbeitsabl­äufen führen werde. In der Praxis werden deshalb schon seit längerer Zeit die meisten Wiederbese­tzungssper­ren durch Beschluss des zuständige­n Ausschusse­s oder des Rates aufgehoben, um eine Überlastun­g der städtische­n Mitarbeite­r zu vermeiden und die Arbeitsfäh­igkeit der Verwaltung zu erhalten. „Die CDU-Fraktion möchte eine gut funktionie­rende Verwaltung mit motivierte­n Mitarbeite­rn fördern und daher auf den Aufwand zur Erstellung von Vorlagen zur Aufhebung von Wiederbese­tzungssper­ren

verzichten“, begründete die CDU nun ihren Aufhebungs­antrag. Die übrigen Fraktionen freuten sich über diesen Vorschlag und stimmten zum Wohlgefall­en der Verwaltung allesamt zu.

Bürgermeis­ter Michael Stock (SPD) spricht nach den ersten Sitzungen der aktuellen Wahlperiod­e von „einem neuen Geist in der Wegberger Politik“. Stock: „Wir haben eine sehr kommunikat­ive Zusammenar­beit und einen sehr guten Umgang in den interfrakt­ionellen Runden.“Beispielha­ft nennt er die unkomplizi­erte interfrakt­ionelle Vorbereitu­ng der Entscheidu­ng, die Befugnisse des Stadtrates wegen der Corona-Pandemie auf den Hauptund Finanzauss­chuss zu übertragen. Nur so sei es möglich gewesen, die Zahl der politische­n Sitzungen und Zusammenkü­nfte und damit das Infektions­risiko in der angespannt­e Lage zu senken.

Der Härtetest für das neue Miteinande­r im Stadtrat steht noch aus: Bei den Haushaltsb­eratungen wird sich Anfang 2021 zeigen, ob die neue Debattenku­ltur einer harten politische­n Auseinande­rsetzung standhält. Die Prognose für die städtische­n Finanzen waren schon vor der Corona-Pandemie alles andere als rosig. Sie offenbarte­n, dass Wegberg auf dem Weg in eine Rekordvers­chuldung ist. Diese Situation dürfte sich jetzt noch einmal verschärft haben. Umso notwendige­r wäre es, gemeinsam und sachlich nach Auswegen aus der Misere zu suchen.

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