Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
"Veränderung ist die neue Normalität"
Der zum Jahresende scheidende Metro-Chef über die Digitalisierung im Handel, die Perspektiven des Konzerns und seine persönliche Bilanz.
Herr Koch, wo sehen Sie die Metro in drei bis fünf Jahren?
KOCH Das Ziel ist es, in jedem Land, in dem die Metro aktiv ist, zum Kreis der marktführenden Unternehmen zu gehören. Wir wollen unsere Position stärken, es gibt noch enormen Raum für Marktanteilsgewinne. Da könnten Landesgesellschaften auch zukaufen. Die Metro ist dafür hervorragend aufgestellt.
Trotz aller Beteuerungen ist Ihre Strategie auf den Finanzmärkten aber nicht angekommen. Seit der Aufspaltung hat die Metro etwa die Hälfte ihres Börsenwertes verloren.
KOCH Bei solchen Diskussionen würde ich mir mehr Fairness wünschen. Der Unternehmenswert ist vor allem durch zwei Ereignisse belastet worden, die uns im April 2018 gezwungen haben, unsere Prognose um 20 Prozent zurückzufahren. Erstens hat die Gewerkschaft Verdi ihre Zusagen in Sachen Tarifvertrag für ein wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell bei Real nicht eingehalten, zweitens kamen die Probleme in Russland dazu. Und als wir dann zu Jahresbeginn den Umschwung in Russland geschafft hatten und sich für Real die Lösung abzeichnete, kam Corona...
...aber der Kursverlust war schon vor 2018 beträchtlich. Ist da zu viel erwartet worden, was ein mögliches Intreresse potenzieller Investoren angeht? Das war ja einer der Gründe für die Aufspaltung 2017.
KOCH Alle Akteure am Kapitalmarkt haben immer gewusst, dass wir uns erst von Real lösen müssen, ehe wir der Börse eine entsprechende Story präsentieren können. Das haben wir auch immer klar gesagt und darauf hingewiesen, dass es bis dahin Rückschläge geben kann. Was die aktuelle Situation angeht: Das Potenzial der Metro-Aktie spiegelt sich darin nicht wider. Allein der Buchwert unserer Immobilien ist höher als die momentane Unternehmensbewertung. Hinzu kommt: Wir haben 2020 einen Nettomittelzufluss von zwei Milliarden Euro aus den beiden Transaktionen verbucht, haben die Verschuldung weiter verringert, und wir haben einen nachhaltigen Turnaround von Metro Russland inmitten der Pandemie erreicht. Metro lag vor dem zweiten Lockdown schon wieder annähernd auf Vorjahresniveau. All das spiegelt sich im derzeitigen Börsenkurs nicht wider, weil der gesamte Sektor stark abhängig bleibt von der unsicheren Nachrichtenlage zu Covid-19 und den Perspektiven der Gastronomie.
Würden Sie heute sagen, dass Sie etwas falsch gemacht haben?
KOCH Natürlich macht man immer Fehler. Aber bei den großen Linien für die Metro habe ich mir nichts vorzuwerfen. Ich glaube, wir haben die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt getroffen.
Wie sieht Ihre Bilanz nach neun Jahren an der Metro-Spitze aus?
KOCH Als ich als Vorstandschef angefangen habe, war eine Neuausrichtung dringend notwendig. Die Metro hatte damals acht Milliarden Euro Schulden und kein tragfähiges
Geschäftsmodell. Der Innovationsdruck war riesig. Ohne die Verkäufe von Galeria Kaufhof und Real hätte die Metro in eine kritische Lage geraten können. Heute ist das Unternehmen zu 100 Prozent gesund und hat das vielleicht innovativste Geschäftsmodell in der Branche.
Das heißt?
KOCH Wir haben stark auf die Digitalisierung gesetzt und da vieles in Bewegung gebracht. Lassen Sie es mich an einfachen Beispielen verdeutlichen: Mit unseren Diensten haben wir etwa 200.000 Gastronomiebetriebe in die Onlinewelt geholt. Unser Reservierungs-Tool von Dish, über das Kunden auf der Website der Gastronomen jederzeit reservieren und über das Gastwirte Reservierungen und Kundenbesuche steuern können, nutzen etwa 30.000 Restaurants. Das bringt enorme Reichweite. Die Software hat den Restaurants in der Corona-Krise, als sie noch öffnen durften, die lästige Zettelwirtschaft erspart. Oder die App unseres Partners Flowtify, die papierlose Hygienedokumentation ermöglicht. Das sind ein paar von vielen Anwendungen. Ich würde sagen, in dem Bereich ist niemand so gut aufgestellt wie die Metro.
Ist Digitalisierung die größte Herausforderung für Handel und Gastronomie?
KOCH Veränderung ist die neue Normalität, und die Veränderungsgeschwindigkeit wird durch die Digitalisierung immer größer. Bis 2007 lag die Online-Durchdringung in Deutschland gerade mal bei 50 Prozent,
heute sind es mehr als 100 Prozent, weil viele beispielsweise mehr als ein Smartphone besitzen. Die Erwartungen der Kunden werden immer größer. Die Metro wird zu den Gewinnern gehören.
Und ausgerechnet in der Situation gehen Sie?
KOCH Abzuwägen, was ich künftig tun will, war sehr schwierig. Mit meiner bisherigen Amtszeit bin ich bereits doppelt so lange Vorstandschef, wie das im Durchschnitt auf einer vergleichbaren Position in Deutschland der Fall ist. Nach neun Jahren als Vorstandsvorsitzender und dem Verkauf von Real war aber der richtige Punkt gekommen, die Führung abzugeben. Am Ende war das auch eine Bauchentscheidung.
Aber Sie hätten auch bleiben, die Metro durch die Krise führen und dann die Früchte des aus Ihrer Sicht zu erwartenden Erfolges ernten können.
KOCH Das stimmt. Aber man läuft dann auch Gefahr, den Punkt zu verpassen, an dem man gehen sollte.
Manche glauben, Sie hätten ein schlechtes Verhältnis zum Großaktionär Kretínsky und gingen deshalb. Glauben Sie, dass die Strategie mit ihm als Investor Bestand hat?
KOCH Jede Begegnung, die ich mit Daniel Kretínsky hatte, war konstruktiv. Da habe ich keinen Widerspruch zur bisherigen Ausrichtung des Unternehmens erkennen können. Es gibt eine hohe Übereinstimmung in strategischen Fragen. Herr Kretínsky ist ein professioneller Investor, der den Wert der Metro steigern möchte.
Und die anderen Großaktionäre? Bleiben die an Bord?
KOCH Da bin ich mir sicher.
Wie ist Ihre Zukunftsplanung?
KOCH Am Tag eins nach dem Ausscheiden werde ich das Team bei der Metro erst mal vermissen. Da ist eine erstklassige Mannschaft am Werk. Wir haben in den vergangenen Jahren hart an der Unternehmenskultur gearbeitet. Dies und die Mitarbeiter waren immer eines der wichtigsten Themen.
Also erst mal Pause?
KOCH Nein, Pause ist nichts für mich. Ich werde mich beratend bei jungen Unternehmen engagieren, womöglich auch als Gesellschafter. Das habe ich schon in einigen Fällen getan.