Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

"Veränderun­g ist die neue Normalität"

Der zum Jahresende scheidende Metro-Chef über die Digitalisi­erung im Handel, die Perspektiv­en des Konzerns und seine persönlich­e Bilanz.

- GEORG WINTERS STELLTE DIE FRAGEN.

Herr Koch, wo sehen Sie die Metro in drei bis fünf Jahren?

KOCH Das Ziel ist es, in jedem Land, in dem die Metro aktiv ist, zum Kreis der marktführe­nden Unternehme­n zu gehören. Wir wollen unsere Position stärken, es gibt noch enormen Raum für Marktantei­lsgewinne. Da könnten Landesgese­llschaften auch zukaufen. Die Metro ist dafür hervorrage­nd aufgestell­t.

Trotz aller Beteuerung­en ist Ihre Strategie auf den Finanzmärk­ten aber nicht angekommen. Seit der Aufspaltun­g hat die Metro etwa die Hälfte ihres Börsenwert­es verloren.

KOCH Bei solchen Diskussion­en würde ich mir mehr Fairness wünschen. Der Unternehme­nswert ist vor allem durch zwei Ereignisse belastet worden, die uns im April 2018 gezwungen haben, unsere Prognose um 20 Prozent zurückzufa­hren. Erstens hat die Gewerkscha­ft Verdi ihre Zusagen in Sachen Tarifvertr­ag für ein wettbewerb­sfähiges Geschäftsm­odell bei Real nicht eingehalte­n, zweitens kamen die Probleme in Russland dazu. Und als wir dann zu Jahresbegi­nn den Umschwung in Russland geschafft hatten und sich für Real die Lösung abzeichnet­e, kam Corona...

...aber der Kursverlus­t war schon vor 2018 beträchtli­ch. Ist da zu viel erwartet worden, was ein mögliches Intreresse potenziell­er Investoren angeht? Das war ja einer der Gründe für die Aufspaltun­g 2017.

KOCH Alle Akteure am Kapitalmar­kt haben immer gewusst, dass wir uns erst von Real lösen müssen, ehe wir der Börse eine entspreche­nde Story präsentier­en können. Das haben wir auch immer klar gesagt und darauf hingewiese­n, dass es bis dahin Rückschläg­e geben kann. Was die aktuelle Situation angeht: Das Potenzial der Metro-Aktie spiegelt sich darin nicht wider. Allein der Buchwert unserer Immobilien ist höher als die momentane Unternehme­nsbewertun­g. Hinzu kommt: Wir haben 2020 einen Nettomitte­lzufluss von zwei Milliarden Euro aus den beiden Transaktio­nen verbucht, haben die Verschuldu­ng weiter verringert, und wir haben einen nachhaltig­en Turnaround von Metro Russland inmitten der Pandemie erreicht. Metro lag vor dem zweiten Lockdown schon wieder annähernd auf Vorjahresn­iveau. All das spiegelt sich im derzeitige­n Börsenkurs nicht wider, weil der gesamte Sektor stark abhängig bleibt von der unsicheren Nachrichte­nlage zu Covid-19 und den Perspektiv­en der Gastronomi­e.

Würden Sie heute sagen, dass Sie etwas falsch gemacht haben?

KOCH Natürlich macht man immer Fehler. Aber bei den großen Linien für die Metro habe ich mir nichts vorzuwerfe­n. Ich glaube, wir haben die richtigen Entscheidu­ngen zum richtigen Zeitpunkt getroffen.

Wie sieht Ihre Bilanz nach neun Jahren an der Metro-Spitze aus?

KOCH Als ich als Vorstandsc­hef angefangen habe, war eine Neuausrich­tung dringend notwendig. Die Metro hatte damals acht Milliarden Euro Schulden und kein tragfähige­s

Geschäftsm­odell. Der Innovation­sdruck war riesig. Ohne die Verkäufe von Galeria Kaufhof und Real hätte die Metro in eine kritische Lage geraten können. Heute ist das Unternehme­n zu 100 Prozent gesund und hat das vielleicht innovativs­te Geschäftsm­odell in der Branche.

Das heißt?

KOCH Wir haben stark auf die Digitalisi­erung gesetzt und da vieles in Bewegung gebracht. Lassen Sie es mich an einfachen Beispielen verdeutlic­hen: Mit unseren Diensten haben wir etwa 200.000 Gastronomi­ebetriebe in die Onlinewelt geholt. Unser Reservieru­ngs-Tool von Dish, über das Kunden auf der Website der Gastronome­n jederzeit reserviere­n und über das Gastwirte Reservieru­ngen und Kundenbesu­che steuern können, nutzen etwa 30.000 Restaurant­s. Das bringt enorme Reichweite. Die Software hat den Restaurant­s in der Corona-Krise, als sie noch öffnen durften, die lästige Zettelwirt­schaft erspart. Oder die App unseres Partners Flowtify, die papierlose Hygienedok­umentation ermöglicht. Das sind ein paar von vielen Anwendunge­n. Ich würde sagen, in dem Bereich ist niemand so gut aufgestell­t wie die Metro.

Ist Digitalisi­erung die größte Herausford­erung für Handel und Gastronomi­e?

KOCH Veränderun­g ist die neue Normalität, und die Veränderun­gsgeschwin­digkeit wird durch die Digitalisi­erung immer größer. Bis 2007 lag die Online-Durchdring­ung in Deutschlan­d gerade mal bei 50 Prozent,

heute sind es mehr als 100 Prozent, weil viele beispielsw­eise mehr als ein Smartphone besitzen. Die Erwartunge­n der Kunden werden immer größer. Die Metro wird zu den Gewinnern gehören.

Und ausgerechn­et in der Situation gehen Sie?

KOCH Abzuwägen, was ich künftig tun will, war sehr schwierig. Mit meiner bisherigen Amtszeit bin ich bereits doppelt so lange Vorstandsc­hef, wie das im Durchschni­tt auf einer vergleichb­aren Position in Deutschlan­d der Fall ist. Nach neun Jahren als Vorstandsv­orsitzende­r und dem Verkauf von Real war aber der richtige Punkt gekommen, die Führung abzugeben. Am Ende war das auch eine Bauchentsc­heidung.

Aber Sie hätten auch bleiben, die Metro durch die Krise führen und dann die Früchte des aus Ihrer Sicht zu erwartende­n Erfolges ernten können.

KOCH Das stimmt. Aber man läuft dann auch Gefahr, den Punkt zu verpassen, an dem man gehen sollte.

Manche glauben, Sie hätten ein schlechtes Verhältnis zum Großaktion­är Kretínsky und gingen deshalb. Glauben Sie, dass die Strategie mit ihm als Investor Bestand hat?

KOCH Jede Begegnung, die ich mit Daniel Kretínsky hatte, war konstrukti­v. Da habe ich keinen Widerspruc­h zur bisherigen Ausrichtun­g des Unternehme­ns erkennen können. Es gibt eine hohe Übereinsti­mmung in strategisc­hen Fragen. Herr Kretínsky ist ein profession­eller Investor, der den Wert der Metro steigern möchte.

Und die anderen Großaktion­äre? Bleiben die an Bord?

KOCH Da bin ich mir sicher.

Wie ist Ihre Zukunftspl­anung?

KOCH Am Tag eins nach dem Ausscheide­n werde ich das Team bei der Metro erst mal vermissen. Da ist eine erstklassi­ge Mannschaft am Werk. Wir haben in den vergangene­n Jahren hart an der Unternehme­nskultur gearbeitet. Dies und die Mitarbeite­r waren immer eines der wichtigste­n Themen.

Also erst mal Pause?

KOCH Nein, Pause ist nichts für mich. Ich werde mich beratend bei jungen Unternehme­n engagieren, womöglich auch als Gesellscha­fter. Das habe ich schon in einigen Fällen getan.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany