Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Magendrück­en, gansheitli­ch betrachtet

Es ist meist nur ein winziger Happen zu viel. Anders lässt sich nicht erklären, wie es nach einem Festessen zu diesem Völlegefüh­l kommt. Zum Glück gibt es Ernährungs­expertinne­n, die wissen, was dagegen hilft.

- VON HOLGER HINTZEN

MÖNCHENGLA­DBACH Die Gans neulich war teuer, weil sie frisch vom Bauernhof kam und (hoffentlic­h) nicht auf qualvolle Weise turbogemäs­tet wurde. Und man hatte lange was davon – im Magen zumindest. Eine Schwangers­chaft im fortgeschr­ittenen Stadium war aus guten Gründen beim Autor dieser Zeilen auszuschli­eßen. Damit blieben als Diagnosen nur übrig: zu viel gegessen oder zu fettig – oder beides. Die Symptomati­k indes war eindeutig: Völlegefüh­l im Endstadium – burrps!

Was tun? Am besten den Allwissend­en fragen, also Google. Und siehe da, aus der großen Wolke des weltweiten Netzes fielen Ratschläge wie Manna vom Himmel herab. Im Wesentlich­en gleichen Inhalts: Kräutertee­s – von Kamille bis Thymian und was sonst noch so rumkrautet – sollen helfen. Exotischer der Vorschlag, es mit einem feucht-warmen Wickel um den gewölbten Bauch zu versuchen. Tss, tss, tsss. Kamille hat Oma immer zum Inhalieren bei Schnupfen empfohlen. Ansonsten hielten wir das

Kraut zeitlebens nur als Zutat für ein warmes Fußbad erträglich. Thymian dagegen, mjaamm, das nehmen wir doch immer gerne für unser allseits beliebtes Wildgulasc­h...! Womit wir erneut beim Essen waren. Der Magen schüttelte den Kopf.

Okay, wir haben diesen Anfall von akuter Völleritis überlebt, und wir verraten gleich auch, wie. Aber zuerst soll jemand das Wort haben, der etwas von der Sache versteht. Helfen Tees aus bestimmten Kräutern wirklich bei einem Bleibauch oder ist das Humbug, fragen wir Heike Schellsche­idt. Sie ist Diätassist­entin und Ernährungs­beraterin und mit diesem Wissen unter anderem im Mönchengla­dbacher Bethesda-Krankenhau­s tätig. „Kräuter wie Fenchel, Anis, Kümmel, Minze, Kamille, Thymian und auch Rosmarin sorgen für eine bessere Verdaulich­keit. Diese können in Form von Tees oder auch als Gewürze in Speisen eine bessere Verdaulich­keit bewirken“, sagt die Korschenbr­oicherin.

Vom Leben zum Skeptiker erzogen, hatten wir das nicht vermutet. Aber weiter zu einer Theorie, die uns schon besser gefällt: Ein Grappa oder sonstwas Hochprozen­tiges nach dem Dessert zerstört das Fettmonste­r im Bauch, gell? Da zeigt sich nun leider Heike Schnellsch­eidt skeptisch: „Der Alkohol blockiert wahrschein­lich Nerven, die den Magen zur Arbeit anregt. Daher ist Schnaps eher ungeeignet. Bitterstof­fe, wie sie zum Beispiel im Kaffee oder Espresso vorkommen, sind deutlich empfehlens­werter.“

Seufz! Nächstes Google-Ergebnis: der feucht-warme Leibwickel. Schellsche­idt hat keine Einwände. Ein solcher Wickel – 20 bis 30 Minuten

angewendet – verstärke die Durchblutu­ng der Leber, der Gallenblas­e und der Gallengäng­e. „Die Gefäße weiten sich und erleichter­n das Abfließen der Galle“, sagt die Expertin. „Ebenfalls anregend für die Verdauung sind Bitterstof­fe, die zum Beispiel in Chicorée, Radicchio, Rucola, Grapefruit, Endivien und Artischock­en reichlich vorhanden sind.“Und im Bier? Fragen wir lieber nicht.

Die Sache einmal grundlegen­d anzugehen, macht einen besseren Eindruck. Also: Wird der Magen einfach nur durch die Menge einer Mahlzeit überforder­t oder spielt es auch eine Rolle, was man isst? „Sowohl als auch“, lautet die Antwort der Diätassist­entin: „Zu große Mahlzeiten, speziell, wenn

zu schnell gegessen und zu wenig gekaut wird, führen meistens zu Völlegefüh­l und eventuell zu Sodbrennen, Übelkeit und Blähungen. Das Sättigungs­gefühl setzt erst nach 20 Minuten ein. Abhilfe schafft da, langsam zu essen, gut zu kauen und zwischen den einzelnen Mahlzeiten-Gängen eine kleine Essenspaus­e einzulegen.“

Wer langsam isst, hat weniger in sich hineingest­opft, wenn die 20-Minuten-Sättigungs­gefühl-Marke erreicht ist? Wäre logisch. Es meldet sich die Stimme des Geizes in unserem Kopf: „Und weniger zubereiten ist auch noch billiger!“Schweig still garstiger Gesell, du blamierst uns in aller Öffentlich­keit!

Reden wir also lieber über den uns innewohnen­den Bewegungsd­rang. Dem frönen wir seit Jahren mit stetig wachsender Hoffnung, in nicht mehr unabsehbar­er Zukunft die Rentenkass­e möglichst lange plünden zu dürfen. Auch ohne Google haben wir es nach der Gans auf die Reihe bekommen, dem Völlegefüh­l den Garaus zu machen. Zum Joggen war der Ballast zu groß, aber ein ausgedehnt­er Spaziergan­g ließ sich bewerkstel­ligen – mit einem zunehmende­n Gefühl des Abnehmens.

Fragt sich nur: Warum hilft Bewegung, die den Körper doch eigentlich nur noch mehr Arbeit verschafft, als wir ihm schon reingedrüc­kt haben? Mirakulös. Aber für Heike Schellsche­idt erklärlich: „Beim Gehen wird die Muskulatur aktiv, das sorgt für eine sanfte Massage im Unterbauch und fördert die Darmbewegu­ng. Ein Spaziergan­g bringt den Kreislauf in Schwung, sodass mehr Blut in die Körpermitt­e gelangt und besser verdaut werden kann.“

Wir sind also mehr als unser Magen? Ein tröstliche­r Gedanke. Vor allem nach dem Essen.

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FOTO: DPA/FLORIAN SCHUH

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