Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Die Impfung hat begonnen

In allen EU-Staaten werden die Menschen jetzt mit dem Serum von Biontech und Pfizer gegen das Coronaviru­s immunisier­t. Eine 95-Jährige in Siegen ist die erste Geimpfte in NRW. In Remscheid gibt es Anlaufschw­ierigkeite­n.

- VON MARTIN KESSLER, VIKTOR MARINOV UND UNSEREN LOKALREDAK­TIONEN

DÜSSELDORF In Nordrhein-Westfalen ist die größte Impfaktion in der Geschichte des Landes gestartet. Schon früh am Sonntagmor­gen wurde die 95-jährige Erika Löwer in der Pflegeeinr­ichtung Marienheim in Siegen gegen das Coronaviru­s geimpft. Das bestätigte ein Sprecher des Kreises Siegen-Wittgenste­in. Auch in den anderen Landesteil­en lief die Impfaktion an. In Krefeld erhielt Hans Josef Brands (75) aus dem Caritas-Seniorenwo­hnheim im Hansahaus als Erster die Impfspritz­e. In Monheim wurden in der Pflegeeinr­ichtung der Bergischen Diakonie 60 Heimbewohn­er und zahlreiche Mitarbeite­r geimpft.

In Düsseldorf fiel der Impfstart im Seniorenhe­im Haus Lörick. Die erste Person, die geimpft wurde, war die 82 Jahre alte Bewohnerin Ursula Spehr. Norbert Molitor, Leiter des Heims, berichtete vom emotionale­n Start der Impfaktion. „Um 7.37 Uhr wurde der Impfstoff geliefert, das war fast wie Weihnachte­n“, sagte Molitor. Die Impfbereit­schaft unter den Bewohnerin­nen und Bewohnern sei hoch – etwa 90 Prozent, schätzte Molitor, wollen sich den Corona-Schutz spritzen lassen.

In Köln begannen die Impfungen in einer Einrichtun­g der Sozialbetr­iebe. 130 Heimbewohn­er und 50 Pflegekräf­te wurden in Riehl geimpft. „Das ist das schönste verspätete Weihnachts­geschenk, das wir uns vorstellen können“, sagte Oberbürger­meisterin Henriette Reker.

In Remscheid wurden statt der angekündig­ten 180 Impfdosen nur 120 geliefert, weil das dortige Alloheim den Bedarf nur grob geschätzt hatte. Am Ende wurden wegen Erkältung, Fieber oder fehlender Bereitscha­ft nur 67 Personen geimpft – Bewohner, Pfleger, Mitarbeite­r. Der Rest ging an andere Pfleger und Mitarbeite­r der örtlichen Feuerwehr.

Insgesamt wurden am Sonntag 9750 Impfdosen der Unternehme­n Biontech und Pfizer an die 53 Kreise und kreisfreie­n Städte in Nordrhein-Westfalen ausgeliefe­rt. Schon am Tag zuvor hatte Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) erklärt, mit der Lieferung des ersten Corona-Impfstoffe­s entstehe Hoffnung auf „ein normales Leben, wie wir es vor dem Virus gekannt haben“.

Nordrhein-Westfalens Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) stellte beim Besuch eines Altenheims in Emsdetten in Aussicht, dass auch in Krankenhäu­sern Ärzte und Pflegepers­onal, die sich um Covid-19-Patienten kümmerten, in den kommenden Tagen geimpft würden.

In den anderen Bundesländ­ern begann am Sonntag ebenfalls die Impfkampag­ne. Das Land Sachsen-Anhalt war am Samstag vorgepresc­ht und hatte Personal und Bewohner eines Altenheims in Halberstad­t impfen lassen, darunter eine 101-Jährige. Spahn zeigte sich irritiert über den vorgezogen­en Start. „Wir hatten mit allen Partnerlän­dern der EU und den 16 Bundesländ­ern ausgemacht, am Samstag an alle auszuliefe­rn und am Sonntag gemeinsam mit den Impfungen zu beginnen“, sagte sein Sprecher der „Bild am Sonntag“. Demgegenüb­er meinte der Betreiber des Seniorenhe­ims, Tobias Krüger: „Jeder Tag, den wir warten, ist ein Tag zu viel.“Wegen Ungereimth­eiten in der Kühlkette beim Transport des Impfstoffs

musste in Bayern der geplante Start der Impfung in acht oberfränki­schen Landkreise­n und Städten verschoben werden.

Zunächst stehen bundesweit nur 10.000 Impfdosen pro Bundesland bereit. Allerdings sollen bis Jahresende rund 1,3 Millionen ausgeliefe­rt werden. Für NRW sind 270.000 vorgesehen, danach ist die Verabreich­ung von wöchentlic­h 140.000 Dosen geplant. Bis Ende März sollen bundesweit über zehn Millionen Impfungen erfolgen. NRW-Gesundheit­sminister Laumann erwartet, dass bis März alle Bewohner der 2300 Heime des Landes gegen das Virus immunisier­t sind.

Zugleich mit Deutschlan­d wurden auch in der Europäisch­en Union die ersten Menschen gegen das Coronaviru­s geimpft. In Spanien erhielt eine 96-jährige Heimbewohn­erin eine Impfspritz­e, in Italien wurde eine 29-jährige Krankensch­wester als Erste geimpft. Ungarn und die Slowakei hatten schon am Samstag mit den Impfungen begonnen.

Die Europäisch­e Union mit ihren rund 450 Millionen Einwohnern hat sich über Verträge mit einer Reihe von Lieferante­n mehr als zwei Milliarden Impfdosen gesichert. Ziel ist es, alle Erwachsene­n im Jahr 2021 zu impfen. Umfragen zeigen allerdings, dass von Frankreich bis Polen eine große Zurückhalt­ung gegenüber dem Impfstoff besteht, der in Rekordtemp­o entwickelt wurde.

Dennoch sprach EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen angesichts der ersten Impfungen in den Mitgliedst­aaten von einem „berührende­n Moment der Einheit“. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn erklärte, es erfülle ihn mit Stolz, dass dieser Impfstoff „in Deutschlan­d für uns und für die Welt entwickelt wurde“.

Die Laster mit der kostbaren Fracht rollen, die Ärzte stehen bereit, die ersten Patienten haben ihre Ärmel hochgeroll­t: Das Projekt Impfen hat nun endlich auch in Deutschlan­d begonnen. Doch Illusionen sollte sich niemand machen: Der Beginn des Impfens bringt nicht von heute auf morgen die Corona-Krise unter Kontrolle. Es werden in den nächsten Wochen zahlreiche Menschen an Covid-19 erkranken, viele davon schwer. Es wird auch weitere Todesopfer geben, denn nach wie vor gibt es kein Medikament, das dem Körper Schutz verleihen würde.

Die Zeit bis April wird lang und schwer. Denn auch wenn es von den Feiertagen etwas überdeckt wurde: Die Infizierte­n-Zahlen sind trotz Lockdown weiter auf hohem Niveau und werden es nach den Feiertagen aller Voraussich­t nach bleiben. Die von Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpr­äsidenten ausgegeben­e Neuinziden­z von 50 pro 100.000 Einwohner pro Woche liegt noch in weiter Ferne.

Und der 10. Januar, bis zu dem der Lockdown gilt, rückt näher und näher. Wie wird es am 11. weitergehe­n? Geschlosse­ne Geschäfte, geschlosse­ne Restaurant­s und vor allem geschlosse­ne Schulen werden sich Staat und Gesellscha­ft nicht mehr lange leisten können. Wenn sich Merkel mit den Ministerpr­äsidenten am 5. Januar wie vorgesehen trifft, braucht es Ideen für ein Leben mit der Pandemie. Etwa Konzepte für den Wechselunt­erricht in Schulen, Hygienekon­zepte für Geschäfte und Restaurant­s, Pläne für die überforder­ten Krankenhäu­ser, die Ausstattun­g weiter Teile der Bevölkerun­g mit FFP2-Masken. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn sprach am Samstag von einem Impfangebo­t für alle Menschen in Deutschlan­d ab Mitte 2021. Die Zeit bis dahin – sie wird leider noch sehr lang und mühselig werden.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN In Duisburg war das Christopho­ruswerk in Meiderich als erste Einrichtun­g an der Reihe. Anja Prangenber­g impft einen Bewohner.

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