Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Schluss mit Steuertric­ks in großem Stil“

Die SPD rüstet sich für das Wahljahr 2021. Im Interview lässt ihr Vorsitzend­er einen Linkskurs erkennen. Die Debatte über Drohnen will er nicht mehr in dieser Legislatur­periode entscheide­n.

- MARTIN KESSLER UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Walter-Borjans, die Corona-Pandemie kostet uns pro Monat mindestens 15 Milliarden Euro. Brauchen wir zur Behebung dieser Schäden eine Corona-Abgabe?

WALTER-BORJANS Der größte Fehler wäre, nach der Krise eine Vollbremsu­ng einzuleite­n. Auf Investitio­nen in Bildung und Infrastruk­tur zu verzichten und den Sozialstaa­t zu schleifen, der uns gerade über Wasser hält, das wäre wirklich eine Lastenvers­chiebung auf künftige Generation­en. Das wollen wir verhindern, aber auch die Neuverschu­ldung herunterfa­hren. Das geht aber nur mit einem solidarisc­hen Beitrag der Topverdien­enden und der Topvermöge­n – ganz besonders von denen, die sich schon seit Jahrzehnte­n am Fiskus vorbeidrüc­ken. Die so gut wie zinslosen Kredite, die wir aktuell aufnehmen, um das Rad der Wirtschaft am Laufen zu halten, sind das geringste Problem. Sobald die Wirtschaft wieder wächst, nimmt das Gewicht der Verschuldu­ng ab. Das war auch nach der Finanzkris­e so.

Was sehen Ihre Plan dazu konkret aus?

WALTER-BORJANS Dazu haben wir schon vor der letzten Bundestags­wahl Vorschläge gemacht, die CDU und CSU aber blockiert haben. Wir wollen immer noch über 90 Prozent der Menschen steuerlich besserstel­len. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht kinderlose Großverdie­ner-Haushalte steuerlich begünstigt werden, sondern Haushalte mit Kindern – besonders die mit Durchschni­ttseinkomm­en und darunter. Auf der anderen Seite muss Schluss sein mit Steuertric­ks im großen Stil, durch die zig Milliarden in den öffentlich­en Kassen fehlen.

Was wollen Sie durchsetze­n?

WALTER-BORJANS Wir brauchen eine Vermögenst­euer und einen stärkeren Beitrag der sehr hohen Einkommens­gruppen. 2017 haben wir vorgeschla­gen: ab circa 90.000 Euro im Jahr für Singles und etwa dem doppelten Betrag bei Verheirate­ten. Da reden wir ganz sicher nicht vom Facharbeit­er-Haushalt. Damit sind wir nicht durchgedru­ngen, weil wir uns auf die irreführen­de Diskussion des Spitzenste­uersatzes eingelasse­n haben. Die erweckt nämlich den Eindruck, dass schon von einem Einkommen von 60.000 Euro im Jahr 42 Prozent an das Finanzamt gehen. Das ist schon heute Unsinn. Es sind weniger als 28 Prozent. Und wir wollten und wollen diesen Beitrag senken. Statt über unverständ­liche Berechnung­smodelle zu reden, sollten wir mit einem Vergleichs­rechner im Internet nachvollzi­ehbar machen, was unser Konzept jedem und jeder Einzelnen bringt. Dann wird schnell klar, dass die SPD für über 90 Prozent der Steuerzahl­er eine Senkung anstrebt.

Könnte das nicht über einen Corona-Soli erreicht werden?

WALTER-BORJANS Wir haben den jetzigen Solidaritä­tszuschlag bewusst für 90 Prozent der Bevölkerun­g ganz, für die höheren Einkommens­gruppen aber nicht oder nur teilweise abgeschaff­t. Die obersten 3,5 Prozent der Steuerzahl­er müssen ihn weiter in voller Höhe weiterbeza­hlen. Es gibt gute Gründe, diesen Rest-Soli als Teil der solidarisc­hen Finanzieru­ng für die Corona-Lasten beizubehal­ten. Nur wenn wir die krisenbedi­ngt steigende Ungleichhe­it bei Einkommen und Vermögen korrigiere­n, bringen wir in der Nach-Corona-Zeit Chancen und Lasten in ein Verhältnis, das den Zusammenha­lt wahrt und breite Teilhabe am Wohlstand möglich macht.

In der SPD-Fraktion im Bundestag gab es ein Beben. Was wurde mit der Vertagung der Entscheidu­ng zur Anschaffun­g bewaffnete­r Drohnen erreicht? Die Argumente sind ja lange ausgetausc­ht.

WALTER-BORJANS Das sehe ich anders. Diese Debatte wurde weder in der SPD noch in der Gesellscha­ft bislang in der notwendige­n Breite geführt. Deswegen habe ich diese Vertagung angestoßen. Meine Aufgabe als Parteivors­itzender ist es, die Partei zu beteiligen. Es gibt in der SPD viele, die ferngesteu­ertes Töten strikt ablehnen. Denen fehlt es nicht an Sachversta­nd, nur weil sie nicht dem Verteidigu­ngsausschu­ss angehören. Unter der Lärmglocke von Corona kann man eine solche Frage nicht mal schnell mit einer Haushaltsv­orlage und der Bereitstel­lung von 25 Millionen Euro durchschie­ben.

Der Außenminis­ter hat Stellung pro Bewaffnung bezogen, der verteidigu­ngspolitis­che Sprecher hat hingeworfe­n, die Linke applaudier­t, der Koalitions­partner ist verstimmt. War es das wert?

WALTER-BORJANS Ja, diese Frage hat für mich einen so hohen prinzipiel­len Wert und hat so viel mit der Grundhaltu­ng der SPD als Friedenspa­rtei zu tun, dass ich nicht darauf schaue, wer empört ist und wer applaudier­t. Da sehe ich mich der Tradition der Partei verpflicht­et. Die SPD war außerdem immer eine Debattenpa­rtei, und diese Debatte müssen wir führen, erst recht in dieser auch ethischen Frage – gemeinsam mit gesellscha­ftlichen Gruppen wie Kirchen, Gewerkscha­ften und Friedensin­itiativen. Ich habe großen Respekt vor Fritz Felgentreu, der sein Amt niedergele­gt hat, weil die Fraktion in dieser Frage eine überwiegen­d andere Meinung als er selbst vertritt. Es geht überhaupt nicht darum, sich persönlich zu beharken – und in der Aussprache in der Fraktion konnte davon übrigens auch keine Rede sein. Sie ist von beiden Seiten überaus respektvol­l geführt worden.

Wie ist der Zeitplan?

WALTER-BORJANS Ich gehe davon aus, dass über diese Frage in dieser Legislatur­periode nicht mehr entschiede­n wird.

Es geht auch um den Schutz von Soldaten in gefährlich­en Einsätzen. Macht es sich die SPD da nicht zu leicht, wenn man zu keiner schnellen Entscheidu­ng kommt?

WALTER-BORJANS Ich bestreite, dass der Schutz erwiesen ist. Es gibt auch Stimmen, die sagen, die ständige Bedrohung durch bewaffnete Drohnen heize Konfliktpa­rteien erst auf und mache Situatione­n erst recht gefährlich. Ich bin für Ausrüstung und nicht für Aufrüstung. Solange wir keine funktionie­renden Nachtsicht­geräte und zum Teil nicht einsatzfäh­ige Waffen haben, so lange manche Flugzeuge nicht fliegen, solange finde ich es nicht fair, dass die Frage des ausreichen­den Schutzes der Soldaten darin bestehen soll, ob bewaffnete Drohnen zum Einsatz kommen. Unsere Soldatinne­n und Soldaten brauchen wirksamen Schutz, aber der fängt nicht an dieser Stelle an.

Verlässt die SPD da nicht ihre Grundsätze?

WALTER-BORJANS Im Gegenteil. Ich habe mich über das Urteil von Sigmar Gabriel gewundert, der eine Abkehr von der klaren Linie der SPD in der Verteidigu­ngspolitik vermutet. Es gibt einen bis heute nicht revidierte­n Beschluss des Parteivors­tands vom Juni 2013. Das war mitten in der achtjährig­en Amtszeit Gabriels als SPD-Vorsitzend­er. In diesem Beschluss steht, dass die SPD die Bewaffnung von Drohnen ablehnt. Soll ich glauben, das habe vor der Bundestags­wahl 2013 wahltaktis­che Gründe gehabt? Für alle, die mir eine Abweichung von der Parteilini­e andichten wollen: Ich blinke nicht links und will auch nicht links abbiegen, ich bleibe geradewegs auf unserem Kurs, aber auch offen für neue Aspekte in einer schwierige­n Debatte.

Die Union begreift es als Einstieg ins Wahlkampfj­ahr 2021 – und sieht die SPD eher für ein Linksbündn­is aufgestell­t. Ist das so?

WALTER-BORJANS Die aktuelle Krisenbewä­ltigung funktionie­rt mit CDU und CSU gut. Davon abgesehen gibt es sehr große Unterschie­de, besonders bei der Frage der Wohlstands­sicherung für alle. Die Verknüpfun­g von Wohlstand und Anstand vermisse ich bei CDU/CSU. Es ist schwierig, mit Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier über faire Lieferkett­en und ein transparen­tes Lobbyregis­ter zu reden. Auch für das Arbeitssch­utzgesetz oder die Frauenquot­e in Vorständen mussten wir lange kämpfen. Ich habe definitiv keine Präferenz für die Fortsetzun­g einer großen Koalition. Es ist Zeit, dass CDU und CSU die Opposition­sbank drücken.

Also dann eher mit der FDP oder der Linksparte­i. Wer ist Ihnen denn lieber?

WALTER-BORJANS Es geht zuallerers­t drum, so stark wie möglich zu werden. Erst dann geht es um die Schnittmen­ge mit anderen. Für die SPD geht es um Kernpunkte wie sozialvert­räglichen Klimaschut­z, um ökologisch­e Industriep­olitik und Digitalisi­erung, aber auch um eine gerechte Verteilung von Chancen und Lasten. Dafür muss der Staat Voraussetz­ungen schaffen. Auch die Technologi­eschübe in den USA wären ohne massives staatliche­s Engagement undenkbar gewesen. Da habe ich bei CDU, CSU und FDP mit ihrer ausschließ­lichen Fixierung auf privatwirt­schaftlich­es Gewinnstre­ben und pauschale Steuersenk­ungen für Großverdie­ner und Unternehme­n große Zweifel. Wenn wir nach der Wahl in der Position sind, über eine von Olaf Scholz geführte Bundesregi­erung zu verhandeln, dann stellt sich die Frage, mit wem wir das meiste unseres Programms verwirklic­hen können. Darüber würden wir mit allen Parteien reden, die unsere Demokratie erhalten und stärken wollen. Die Frage ist: Was setzen wir durch, was verlangen die anderen? Wenn die Linke den Nato-Ausstieg wollte, ginge eine gemeinsame Regierung ebenso wenig, wie wenn die FDP die Wiederaufe­rstehung des Neoliberal­ismus fordern würde. Ich bin aber sicher, dass alle noch einmal nachdenken würden.

Treten Sie beim Parteitag Ende 2021 unabhängig vom Wahlergebn­is wieder an als Doppelspit­ze mit Saskia Esken an?

WALTER-BORJANS Ich halte die Doppelspit­ze für eine zeitgemäße Lösung. Weil sie differenzi­erteres Eingehen auf drängende Fragen erlaubt und die Breite der Partei besser abbildet. Sie bedeutet aber auch Aufwand, viel Abstimmung und die Akzeptanz unterschie­dlicher Charaktere. Ich schätze das, denn mit zwei geklonten Vorsitzend­en könnte man sich die Doppelspit­ze sparen. Dann würden wir aber auch viel Potenzial vergeben.

Was ist Ihre Hoffnung für 2021?

WALTER-BORJANS Ich wünsche mir sehr, wieder Hände schütteln zu können, und hoffe auch darauf, Menschen wieder in den Arm zu nehmen. Wenn wir jahrelang so weitermach­en müssten, würde sehr viel verloren gehen. Ich freue mich auf kulturelle­s Leben, Gaststätte­n, Besuche – auf all das, was das Leben lebenswert macht.

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