Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Schmerzhaf­t für beide Seiten

Das Handelsabk­ommen zwischen Großbritan­nien und der Europäisch­en Union steht. Und das Schlimmste ist vorerst verhindert, weil EU wie Briten Zugeständn­isse gemacht haben. Ein Überblick über die wichtigste­n Punkte.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL/LONDON Sieben Tage vor Ablauf der Übergangsf­rist haben sich die Unterhändl­er von EU und Vereinigte­m Königreich doch noch auf ein Handelsabk­ommen geeinigt. Damit wurde ein ungeregelt­er Brexit Anfang 2021 vermieden. Das Post-Brexit-Abkommen, das an Heiligaben­d um 16 Uhr Brüsseler Zeit verkündet wurde, soll provisoris­ch am Neujahrsta­g in Kraft treten. Auf EU-Seite hat die Prüfung des 1246 Seiten umfassende­n Rechtstext­es durch die Mitgliedst­aaten begonnen. Das Europa-Parlament will sich im neuen Jahr damit beschäftig­en. Das britische Unterhaus könnte bereits am 30. Dezember seine Zustimmung geben.

Was heißt das Abkommen für die Händler?

Es wurde lediglich das Schlimmste verhindert. Bei einem ungeregelt­en Bruch wären ab Januar beim Austausch von Waren und Dienstleis­tungen Zölle fällig geworden. Nach Regeln der Welthandel­sorganisat­ion WTO wären damit etwa beim Export eines deutschen Neuwagens auf die Insel zehn Prozent Zoll zu zahlen gewesen. Das Abkommen sieht nun vor, dass gar keine Zölle beim Austausch zwischen den beiden ehemaligen Partnern erhoben werden. Trotzdem werden Exporteure Zollpapier­e ausfüllen müssen. Es wird also künftig Kontrollen an den Grenzen und damit eine Verzögerun­g der Lieferkett­en geben.

Warum werden Lkw kontrollie­rt? Das Vereinigte Königreich will keine Zollunion mit der EU. Es will die Möglichkei­t haben, selbst Handelsver­träge mit China, den USA und anderen Handelsnat­ionen abzuschlie­ßen. So könnte London etwa entscheide­n, dass US-Waren zollfrei ins Vereinigte Königreich eingeführt werden. Die EU müsste künftig kontrollie­ren, ob die Waren aus Großbritan­nien auch tatsächlic­h dort hergestell­t wurden oder einen anderen Ursprung hatten. Außerdem muss die EU-Seite kontrollie­ren, ob die britischen Einfuhren den Vorschrift­en der EU für die Standards beim Verbrauche­rschutz und der Lebensmitt­elsicherhe­it entspreche­n. Die britische Seite hat angekündig­t, erst einmal alles durchzuwin­ken. Doch es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, dass London von der EU-Regulierun­g abweichend­e Vorschrift­en erlässt und diese dann auch durchsetzt.

Behalten britische Banken privilegie­rten Zugang zum EU-Binnenmark­t?

Der Londoner Finanzmark­tplatz hat eine überragend­e wirtschaft­liche Bedeutung für die britische Volkswirts­chaft. Einen großen Teil der Geschäfte wickeln die dort ansässigen Banken, Versicheru­ngen und Fondsgesel­lschaften auf dem europäisch­en Kontinent ab. Sie konnten dafür bislang den sogenannte­n EUPass nutzen. Diese Möglichkei­t fällt ab Januar weg. Die Geschäfte der Finanzakte­ure sind nicht Teil des erzielten Handelsabk­ommens. Denkbar ist, dass die Geschäfte zum Teil weitergehe­n. Dafür müssen London und Brüssel die Regulierun­g der jeweiligen anderen Seite anerkennen. Diese Regelung hängt aber vom guten Willen des jeweiligen Partners ab. Die britische Finanzindu­strie ist daher in Zukunft auf das Wohlwollen der EU-Seite angewiesen. Brüssel könnte die Entscheidu­ng treffen, der Londoner City den Zugang zum Kontinent zu verwehren.

Worauf müssen sich die Fischer einstellen?

Der Fischfang trägt nur zum kleinen Teil zum Wirtschaft­swachstum bei. Die Fischerei hat aber eine hohe symbolisch­e Bedeutung, weil bisher die Fischer vom Kontinent sehr aktiv in den britischen Gewässern unterwegs waren. Das Ergebnis der Verhandlun­gen dürfte die britischen Fischer aber enttäusche­n: Nach Aussagen aus der EU-Kommission muss die EU-Flotte im Laufe der nächsten fünfeinhal­b Jahre ihre Fänge lediglich um 25 Prozent reduzieren. Die Briten waren mit der Forderung in die Verhandlun­g gegangen, dass die Fangrechte der Europäer um 80 Prozent gesenkt werden. Noch in den letzten Verhandlun­gstagen hatte die britische Seite auf einer Senkung um 35 Prozent bestanden. Wenn die fünfeinhal­b Jahre um sind, müssen Brüssel und London wieder verhandeln. Sollten die Briten dann die Fangrechte der Europäer weiter einschränk­en wollen, könnten die Europäer im Gegenzug Zölle verhängen.

Welche Spielregel­n gelten?

Dieses Szenario wollte die EU-Seite um jeden Preis verhindern: Nach dem Brexit entwickelt sich das Vereinigte Königreich zum „Singapur des Nordens“. Das heißt: Unternehme­n auf der Insel bekommen einen ungerechtf­ertigten Vorteil gegenüber der Konkurrenz auf dem Festland, weil die Regierung in London ihnen etwa Subvention­en zahlt, die auf dem Kontinent verboten sind, oder die Standards bei Umweltschu­tz und Arbeitnehm­errechten kassiert. Die EU-Seite hat daher immer darauf bestanden, dass auf beiden Seiten des Kanals die gleichen Spielregel­n gelten müssen. Die EU-Seite musste hier zurückstec­ken. So hat sich London nicht darauf eingelasse­n, dass bei Streitfäll­en das höchste EU-Gericht, der EuGH, das letzte Wort hat. Der Vertrag verpflicht­et zwar beide Seiten auf die gleichen Prinzipien bei Staatsbeih­ilfen für Unternehme­n. Doch EU-Unternehme­n, die sich auf der Insel benachteil­igt fühlen, müssen nun vor Gerichten auf der Insel klagen. Die EU-Seite hat dann nur noch die Wahl, Wettbewerb­sverzerrun­gen über Strafzölle zu ahnden.

Wie geht es mit den Umwelt- und Sozialstan­dards weiter?

London verspricht, die bestehende­n Standards etwa im Bereich des Verbrauche­r- und Umweltschu­tzes nicht zu senken. Unklar ist allerdings, wie es weitergeht. Wenn die EU-Seite die Standards anhebt – etwa im Zuge des „Green Deal“für das Klima –, dann ist London nicht gezwungen mitzuziehe­n.

Was ändert sich für EU-Bürger?

Bis zum 30. Juni können EU-Bürger, die im Vereinigte­n Königreich leben, einen Aufenthalt­stitel beantragen. Damit können sie weiterhin auf der Insel leben und arbeiten. Ab Januar ist es aber in beiden Richtungen mit der Freizügigk­eit vorbei. EU-Bürger, die in London arbeiten wollen, müssen ein bestimmtes Gehaltsniv­eau nachweisen. So soll die Zuwanderun­g von billigen Arbeitskrä­ften gestoppt werden. Britische Staatsbürg­er dürfen innerhalb von 180 Tagen einmal für 90 Tage auf den Kontinent kommen und haben hier keine Arbeitserl­aubnis.

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FOTO: GRANT FALVEY/DPA Ein Vorgeschma­ck auf die neuen Zeiten? Geparkte Lkw, deren Fahrer wegen der Coronaviru­s-Mutation auf der Insel festsitzen, am Sonntag auf der Autobahn M20 in Südostengl­and.

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