Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Ich lache und weine mit meiner Kirche“

Der scheidende Diözesanca­ritasdirek­tor im Bistum Aachen spricht über Armut, Klimawande­l und seine Rolle als Interessen­vertreter.

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Wenn Sie durch Mönchengla­dbach gehen, wo sehen Sie, dass die Caritas gebraucht wird?

SCHRÖDERS Dazu muss ich nicht weit gehen. Obdachlose und arme Menschen sind ja überall in der Stadt zu sehen. Die Schere zwischen Arm und Reich wird nicht kleiner und im Winter in der Kälte fallen Obdachlose noch mehr auf. Es gibt aber weitere Gruppen, um die sich die Caritas kümmert: überforder­te Familien, Suchtkrank­e, Pflegebedü­rftige, um nur einige zu nennen. „Not sehen und handeln“ist unser Motto.

Welche sozialen Probleme haben sich während der mehr als zwei Jahrzehnte, in denen Sie Diözesanca­ritasdirek­tor waren, ver- oder entschärft?

SCHRÖDERS Wir leben in einem Sozialund Rechtsstaa­t und in unserem Land wird viel für soziale Gerechtigk­eit getan. Aber nach wie vor hat unser soziales Netz Löcher, denn der Teufel steckt oft im Detail, und es kann schwierig sein, die notwendige Unterstütz­ung zu bekommen. Das Lebenstemp­o hat sich in den vergangene­n Jahren sehr erhöht. Es kann schneller zum sozialen Abstieg kommen. Wer ins Rutschen kommt, ist schwerer aufzufange­n.

Warum?

SCHRÖDERS Ich glaube, dass die Abläufe in der Gesellscha­ft früher durchschau­barer waren. Das Tempo ist schneller geworden, der Leistungsd­ruck höher, die Vereinbark­eit von Familie und Beruf nicht einfacher. Wir kommen zunehmend an Grenzen, das zeigt uns auch der Klimawande­l. Wir müssen innehalten und uns besinnen.

Haben sich die Probleme geändert?

SCHRÖDERS Nach wie vor ist es wichtig, dass man Menschen frühzeitig stark macht. Wir müssen weiterhin in Kitas und Schulen investiere­n, damit nicht schon die Kinder benachteil­igt werden. Das ist heute vielleicht sogar noch wichtiger als früher, denn junge Eltern sind oft überlastet und können das gesellscha­ftliche Tempo oft nicht mitgehen.

Sie sprechen von den Kindern. Muss nicht auch die Pflege in den Blick genommen werden?

SCHRÖDERS Ja, auch in den dritten Lebensabsc­hnitt muss weiterhin investiert werden. Qualitativ hochwertig­e Pflege ist teuer und die Würde jedes, auch des alten Menschen dürfen wir nie aus dem Blick verlieren. Menschen müssen würdevoll und selbstbest­immt leben können.

Wie wirkt sich die Pandemie aus?

SCHRÖDERS Die Corona-Pandemie führt uns vor Augen, wie verletzlic­h Menschen sind und wie sehr wir andere Menschen brauchen. Die Aufmerksam­keit für den Nächsten ist größer geworden. Und wenn wir den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt im Blick halten, kann Leben besser gelingen. Aber es ist nicht nur die Pandemie, die uns Grenzen aufzeigt. Auch der Klimawande­l fordert uns heraus. Wir müssen behutsamer mit Gottes Schöpfung umgehen.

Glauben Sie, dass es zu dauerhafte­n Verhaltens­änderungen kommen wird?

SCHRÖDERS Ja, aber wir brauchen langen Atem, ein Umdenken und Verbindlic­hkeit im Handeln. Nöte mögen verschwind­en, aber Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach gelingende­n Beziehunge­n, einem tragfähige­n Lebensentw­urf bleiben. Darauf müssen sich auch unsere Mitarbeite­nden in den Beratungss­tellen einstellen. Sie müssen genau hinhören, um hinter Alltagspro­blemen elementare Fragestell­ungen zu erkennen.

Was sagen Sie zu dem Satz „In Deutschlan­d wird viel auf hohem Niveau gejammert und genörgelt. Im Vergleich mit dem Rest der Welt leben wir doch im gelobten Land“?

SCHRÖDERS Das ist tatsächlic­h so. Irgendjema­nd ist immer unzufriede­n. Wenn man aber wie ich Partnerorg­anisatione­n im Ausland besucht, wird deutlich, was wir hier Gutes haben, auch wenn deshalb nicht alles richtig ist, was in Deutschlan­d passiert. In Sibirien zum Beispiel hat die Caritas ein Partnerpro­jekt. Wir finanziere­n in Omsk einen Ambulanzbu­s für Obdachlose. Als ich dort war, habe ich erlebt, wie wenig ein Einzelner wert ist. Ein anderes Beispiel: Es werden zwar Gasleitung­en in alle Dörfer gelegt, den Anschluss ans Haus mussten aber die Bauern selbst bezahlen, hatten das Geld aber nicht. Armut und Kälte blieben.

In Kitas, Beratungss­tellen, Altenheime­n, Krankenhäu­sern und anderen Caritas-Einrichtun­gen im Bistum Aachen sind fast 34.000 Menschen beschäftig­t. Würden Sie widersprec­hen, wenn man Sie als Konzern-Chef in Kirchendie­nsten beschriebe?

SCHRÖDERS Da würde ich allerdings widersprec­hen, denn die Diözesan-Caritas ist kein Konzern, sondern ein Zusammensc­hluss von Verbänden, Einrichtun­gen und Einzelpers­onen. Im Caritasver­band für das Bistum Aachen, dem Spitzenver­band, den ich bis zum Jahresende leite, sind alle katholisch­en Dienste und Einrichtun­gen zusammenge­schlossen. Das hat vor allem organisato­rische Gründe. Auch Nächstenli­ebe muss organisier­t werden. Außerdem bin ich Interessen­vertreter der Caritas und als solcher viel unterwegs und bringe die Sichtweise der Caritas in politische Entscheidu­ngsprozess­e ein.

Warum sind Sie Caritasdir­ektor und nicht Sozialmini­ster geworden?

SCHRÖDERS Ich lache und weine mit meiner Kirche und schäme mich auch manchmal für sie, aber insgesamt zeigt sie mir einen guten Lebensentw­urf auf. Ich wollte immer den sozialen Arm der Kirche mitgestalt­en und das habe ich getan. Es gab auch mal Rufe in die Politik, denen ich aber nicht folgen wollte.

Könnten Sie in der Politik nicht mehr erreichen?

SCHRÖDERS Die Politik macht die Gesetze, aber sie ist auf Beratung angewiesen. Freie Träger wie die Caritas liefern Argumente aus der Praxis und das ist wichtig. Ich war immer zufrieden, wenn wir wirkliche Verbesseru­ngen für die Menschen erreichen konnten.

Als das Bistum 2004 in finanziell­en Nöten steckte, mussten Sie in Ihrem Verband wie ein Konzernche­f handeln und sparen. Dabei wurden auch Arbeitsplä­tze abgebaut. Wie sind Sie mit dem Konflikt umgegangen, sozial verantwort­ungsvoll zu handeln und gleichzeit­ig Stellen abbauen zu müssen?

SCHRÖDERS Das war eine schwierige Phase und hat mir auch schlaflose Nächte bereitet. Ja, ich bin in Caritas-Funktion auch Unternehme­r und verantwort­lich für Mitarbeite­nde. Wir hatten plötzlich vier Millionen Euro weniger zur Verfügung und mussten die Strukturen anpassen. Wir haben Verwaltung abgebaut und den Spitzenver­band verschlank­t, um die Präsenz vor Ort zu erhalten. Das ist gelungen, aber ich möchte eine solche Zeit nicht noch mal erleben.

Wie steht es augenblick­lich um die Finanzen?

SCHRÖDERS Die Caritas steht solide da. Ich übergebe einen geordneten Verband.

Wäre es aus Ihrer Sicht denn denkbar, aus finanziell­en Gründen auf die Caritas zu verzichten?

SCHRÖDERS

Nein, Kirche ohne Caritas

geht nicht. Die Caritas gehört in die Mitte der Kirche. Im Bistum Aachen gibt es eine starke diakonisch­e Tradition, wie sie Edmund Erlemann verkörpert­e, und wir leisten dazu dauerhaft unseren Beitrag.

Gehen Sie jetzt in den Ruhestand oder engagieren Sie sich auf andere Weise – vielleicht in Ihrer Heimatstad­t Mönchengla­dbach?

SCHRÖDERS Ich möchte erst einmal nach Hause kommen und durchatmen. Ich habe in manchen Jahren allein im Auto 75.000 Kilometer zurückgele­gt und hatte rund 130 Übernachtu­ngen auswärts. Mein Wunsch ist, erst einmal zur Ruhe zu kommen. Dann entscheide ich mich sicher für ehrenamtli­che Aktivitäte­n.

Sie sind Mitglied der Gesellscha­fterversam­mlung der Kliniken Maria Hilf. Werden Sie dabei bleiben?

SCHRÖDERS Ich werde weitermach­en. Die Kliniken Maria Hilf sind ein großes Werk der Nächstenli­ebe und bleiben der franziskan­ischen Tradition verpflicht­et. Ich arbeite gern daran mit. Außerdem gehört das Thema Krankenhäu­ser zu den Schwerpunk­ten meiner Arbeit und meine Netzwerke stehen.

Sich um Arme und Benachteil­igte zu kümmern ist eine Aufgabe, die nie zu einem erfolgreic­hen Abschluss gebracht werden kann, eine echte Sisyphus-Arbeit. Der Philosoph Albert Camus hat seine Betrachtun­gen über Sisyphus mit dem Satz beendet: „Wir müssen uns Sisyphus als einen glückliche­n Menschen vorstellen.“Trifft dieser Satz auch auf Burkard Schröders zu?

SCHRÖDERS Ich würde das lieber „katholisch“beantworte­n. Im Blick auf den Menschen in Not kann man Gott erkennen. Menschen ein Leben in Würde zu ermögliche­n ist eine zutiefst christlich­e und sinngebend­e Aufgabe. Ich würde Glück für mich im Anschluss an meine Berufsjahr­e heute anders definieren als früher. Ich bin dankbar, dass ich eine sinnvolle Arbeit tun konnte. Ich hatte tolle Mitarbeite­r, ohne die ich das alles nicht geschafft hätte.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN HOLGER HINTZEN UND ANGELA RIETDORF.

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FOTO: DETLEF ILGNER Burkard Schröders vor dem Museum Abteiberg: Am 1. Januar geht der Diözesanca­ritasdirek­tor in den Ruhestand. Seiner Heimatstad­t Mönchengla­dbach will er treu bleiben.

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