Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein Jahr danach

Einige Mitarbeite­r des Krefelder Zoos müssen nach dem Feuer im Affenhaus immer noch therapeuti­sche Hilfe in Anspruch nehmen. Die Frauen, die den Brand mit Himmelslat­ernen verursacht­en, haben sich bis heute nicht beim Zoo entschuldi­gt.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER Unter dem Motto „Spenden statt Böllern“kann man den Zoo unterstütz­en. Konto der Zoofreunde Krefeld e. V., Iban DE42 3205 0000 0000 3177 43.

KREFELD Zoodirekto­r Wolfgang Dreßen feiert den Beginn des neuen Jahres mit seiner Frau und Freunden in Bielefeld. Um 0.40 Uhr klingelt sein Handy: Das Affenhaus stehe in Flammen, informiert ihn einer seiner engsten Mitarbeite­r, der auf dem Gelände des Zoos wohnt. „Allein durch den Klang seiner Stimme war mir sofort klar, dass es ernst und dramatisch sein muss“, erinnert sich Dreßen. Sofort fährt er zurück nach Krefeld; um vier Uhr kommt er an. Das Drama ist noch im Gange. „Der Höhepunkt des Feuers war zwar vorbei; es fanden aber noch starke Löscharbei­ten statt.“

Viel erinnert nicht mehr an die Brandkatas­trophe im Krefelder Zoo vor einem Jahr, bei der rund 50 Tiere ums Leben gekommen sind, darunter acht Menschenaf­fen. Der Rest der Ruine ist im November abgerissen worden; Spezialbag­ger haben die massiven Betonfunda­mente zerkleiner­t – insgesamt fast 4000 Tonnen. Gemeinsam mit den

Zoofreunde­n plant der Zoo ein neues Artenschut­z-Zentrum mit über zwei Hektar Fläche für die Haltung von Gorillas, Schimpanse­n und Orang-Utans. Baubeginn: Ende 2021. „Ich bin glücklich darüber, dass der Großteil der Menschen in Krefeld und am Niederrhei­n gesagt haben, dass sie einen neuen Affenpark als Artenschut­zzentrum haben wollen“, sagt Friedrich Berlemann, Vorsitzend­er der Krefelder Zoofreunde, eines Vereins, der seit fast 50 Jahren den Tierpark finanziell unterstütz­t. „Denn nur wer Tiere kennt, kann sie auch schützen.“

Für Mitarbeite­r und Zoofreunde sind die Affen viel mehr gewesen als nur Tiere, die man pflegt und füttert. Sie waren für sie echte Freunde und jahrzehnte­lange Weggefährt­en. Und sie waren Persönlich­keiten; der Silberrück­en Massa, der von Anfang an im Affentrope­nhaus lebte, der Schimpanse­n-Chef Charly und die vielfache Orang-Utan-Mutter Lea. „Besonders vier Tierpflege­r und eine Mitarbeite­rin für Tierbeschä­ftigung haben mit den Menschenaf­fen teilweise über Jahrzehnte hinweg eng zusammenge­arbeitet, tiefe Beziehunge­n zu ihnen aufgebaut. Die langlebige­n Affen gehörten damit zur Familie“, sagt Dreßen. Viele Krefelder sind mit ihnen großgeword­en. „Wer in den 70er-Jahren ein Kleinkind war, kannte sie von klein auf. Die Kinder von damals haben dann wiederum ihren Kindern die Affen gezeigt. Und so weiter. Dieses Verhältnis zu den Affen hat Generation­en geprägt.“

Berlemann ist häufig im Tierpark; erst vor wenigen Tagen ist er an der Stelle gewesen, wo bis vor Kurzem noch die Brandruine gestanden hat. „Die schrecklic­he Nacht kommt dann sofort wieder hoch“, sagt er. Aber auch die Erinnerung­en an die enorme Anteilnahm­e, die dem Zoo weltweit widerfahre­n ist. „Am frühen Neujahrsna­chmittag war die Nachricht schon einmal rund um die Welt gegangen. Unglaublic­h ist das gewesen. Ich habe einen Freund in Texas, der wusste das am Nachmittag schon.“Eine solche Empathie habe er nie für möglich gehalten. Berlemann und Dreßen müssen gemeinsam mit ihren Mitarbeite­rn eine Fülle an Kondolenzs­chreiben und Spenden bewältigen; mehr als zwei Millionen Euro an Spenden kommen zusammen.

Dreßen muss seine Belegschaf­t durch die schwerste Zeit führen, die der Zoo in Krefeld je erlebt hat. „Das war und ist bis heute eine sehr anstrengen­de Zeit, weil uns irgendwelc­he Folgen des Ereignisse­s immer plötzlich aus der täglichen Routine herausreiß­en können. Und ich musste lernen, die zahlreiche­n, meist emotionale­n Signale von Mitarbeite­rn sehr ernst zu nehmen und die Bewältigun­g der Trauer zu unserer gemeinsame­n Aufgabe zu machen.“

In den Tagen, Wochen und Monaten nach dem Brand führen Psychother­apeuten Einzel- und Gruppenges­präche; insbesonde­re mit den Pflegern, die sich am intensivst­en mit den Menschenaf­fen beschäftig­t haben. „Die posttrauma­tische Belastung wird andauern, sagen die Therapeute­n, auch wenn man meint, man habe das Ereignis bewältigt“, so Dreßen. Das Drama der Nacht könne auch Jahre später durch irgendetwa­s ausgelöst werden, warnen die Experten. „Das ist tatsächlic­h bei einigen Mitarbeite­rn eingetrete­n. Sie sagten schon wenige Wochen nach dem Brand, dass sie keine therapeuti­sche Unterstütz­ung bräuchten und sie bereits darüber hinwegseie­n“, sagt der Zoodirekto­r. „Doch je näher der Jahrestag rückt, kommen mehr und mehr Mitarbeite­r auf mich zu und wollen mit mir darüber sprechen. Natürlich sind gerade die Mitarbeite­r, die mit den Affen eng zusammenge­arbeitet haben, besonders betroffen. Es packt sie emotional sehr, und mit Bildern und Kopfkino kommen die vielen positiven Erlebnisse mit den Tieren vor dem Brand, aber auch das verpackte nächtliche Drama jetzt wieder ans Tageslicht“, so der Zoochef. Der Zoo hat sich auf solche Fälle eingestell­t: Jeder Mitarbeite­r, der über Spätfolgen klagt, kann einen Therapeute­n nehmen – mit ihm das Erlebte noch einmal durchgehen und im besten Fall bewältigen. Einige von Dreßens Mitarbeite­rn sind bis heute in Gesprächst­herapien; eine junge Mitarbeite­rin hat infolge des Feuers gekündigt.

Ausgelöst worden ist das Feuer durch sogenannte Himmelslat­ernen, die auf dem Dach des Affenhause­s gelandet waren. Drei Frauen werden beschuldig­t, sie gezündet zu haben. Ihre Strafbefeh­le haben sie mittlerwei­le akzeptiert. Damit ist der Brand juristisch so gut wie abgeschlos­sen. Beim Zoo haben sich die Frauen bis heute nicht entschuldi­gt. „Sie haben sich bei mir bisher nicht gemeldet. Wir bemühen uns aber auch nicht, auf sie zuzugehen“, sagt Dreßen. Groll auf die Frauen hege niemand beim Zoo. Vielmehr stehe für die meisten fest: Das haben die Frauen nicht gewollt. Das war ein riesengroß­es Unglück. „Jeder muss sich aber darüber im Klaren sein, was für Brandsätze man mit solchen Himmelslat­ernen in die Luft absetzt“, sagt Dreßen.

Vor dem Jahrestag der Brandkatas­trophe wird es wegen der Pandemie eine virtuelle Videokonfe­renz geben für alle Mitarbeite­r, Zoofreunde und andere Betroffene – moderiert durch einen Notfallsee­lsorger. „Das ist für alle, die darüber sprechen müssen und ihre Gedanken und Gefühle austausche­n wollen“, sagt Dreßen. In diesem Jahr bleibt er an Silvester in Krefeld. „Es ist mir natürlich sehr wichtig, vor Ort zu sein“, sagt er.

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FOTO: ANDREAS DRABBEN/DPA Feuerwehrl­eute stehen während der Löscharbei­ten vor dem Affenhaus im Krefelder Zoo.
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FOTO: PICTURE ALLIANCE Der Silberrück­en Massa lebte von Anfang an im Affentrope­nhaus.

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