Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Vier Jahre Haft für Berichte aus Wuhan

Die chinesisch­e Bloggerin Zhang Zhan ist verurteilt worden, weil sie im Zentrum der Corona-Epidemie Informatio­nen sammelte. Die kommunisti­sche Führung will die Deutungsho­heit über den Kampf gegen Covid auf keinen Fall abgeben.

- VON FABIAN KRETSCHMER (mit ap)

PEKING „Streit anzetteln und Ärger provoziere­n“: So lautet der ominöse Paragraf 293 im chinesisch­en Strafgeset­zbuch, der in der kommunisti­schen Volksrepub­lik immer dann zur Anwendung kommt, wenn regierungs­kritische Stimmen von ihrer – offiziell in der Verfassung verankerte­n – Meinungsfr­eiheit Gebrauch machen. Am Montag hat ein Gericht in Shanghai die Bürgerjour­nalistin Zhang Zhan wegen ebendieses Straftatbe­stands zu vier Jahren Haft verurteilt.

Anfang Februar hatte Zhang auf eigene Faust aus der zentralchi­nesischen Stadt Wuhan berichtet, dem damaligen Zentrum der Corona-Epidemie. In verwackelt­en Videoaufna­hmen, die sie unter anderem auf den in China gesperrten Plattforme­n Twitter und Youtube hochlud, zeigte sie die chaotische­n Zustände in den völlig überfüllte­n Krankenhäu­sern, interviewt­e Bürger und kritisiert­e immer wieder ihre eigene Regierung – unter anderem dafür, dass sie kritische Blogger verschwind­en ließ.

Im Mai wurde schließlic­h auch die 37-jährige Zhang selbst verhaftet. Erst im Juni hat die Staatsanwa­ltschaft ihren Verbleib offiziell bestätigt. Nach Auskunft ihrer Anwälte leidet Zhang seither unter den katastroph­alen Haftbeding­ungen; ihr Gesundheit­szustand verschlech­tere sich rapide – physisch wie psychisch. Seit Monaten soll sie sich im Hungerstre­ik befinden und per Magensonde zwangsernä­hrt werden.

Zhang Zhan zählt zu einer Handvoll Blogger, die aufgrund ihrer Berichte aus Wuhan verhaftet wurden. Der vielleicht tragischst­e Fall ist der von Fang Bin: Seit dem 9. Februar ist er praktisch spurlos verschwund­en. Die Videoaufna­hmen jener Bürgerjour­nalisten wurden nicht nur weltweit von Fernsehsen­dern aufgegriff­en, sondern auch von Millionen wissbegier­igen Chinesen auf sozialen Medien geteilt. Das Verlangen nach ungefilter­ten Informatio­nen war vor allem unter der jungen

Generation groß; schließlic­h hielten viele von ihnen die offizielle­n Verlautbar­ungen der Regierung für unglaubwür­dig. China wurde und wird vorgeworfe­n, den ersten Ausbruch verschleie­rt und die Freigabe wichtiger Informatio­nen verzögert zu haben. Peking bestreitet die Vorwürfe. Die Kommunisti­sche Partei versucht, die Verbreitun­g von Informatio­nen zu blockieren, die sie nicht freigegebe­n hat.

Mittlerwei­le hat Peking die Deutungsho­heit über den Kampf gegen das Virus längst zurückerob­ert. Die Staatsführ­ung hat den „Sieg über Covid“zur reinen Heldengesc­hichte erklärt, angeführt von Parteichef Xi Jinping. In Wuhan lässt sich jene Historie bereits in einem Messezentr­um im Norden der Stadt besichtige­n. Selbstrefl­exion oder Eingeständ­nisse von Fehlern lassen sich in den musealen Ausstellun­gsräumen nicht finden, stattdesse­n eine Überdosis an Pathos und Nationalst­olz. Kritische Stimmen wie die von Zhang Zhan passen nicht in dieses Bild.

Dass die lokalen Behörden die Bloggerin überhaupt mehrere Wochen lang in Wuhan arbeiten ließen, hat wohl auch damit zu tun, dass sie vergleichs­weise wenig Aufmerksam­keit erzeugte. Viele ihrer Videos wurden nur von wenigen Tausend Menschen angesehen. Doch mit der Zeit hat Zhang immer aufmüpfige­re Aktionen gewagt – einmal etwa betrat sie eine Polizeista­tion, um nach dem Verbleib der Bürgerjour­nalisten aus Wuhan zu fragen.

Die Teilnahme an ihrem eigenen Prozess hat Zhang Zhan nach Angaben eines ihrer Anwälte aus Protest verweigert. Zur Urteilsver­kündung am Montag hatten sich etliche Fernsehjou­rnalisten vor dem Gerichtsge­bäude eingefunde­n. Sie wurden von rund 50 uniformier­ten Sicherheit­skräften am Filmen gehindert. Auch europäisch­en Diplomaten wurde der Einlass in den Gerichtssa­al verweigert. Zhangs Mutter, berichten Augenzeuge­n, sei bei der Urteilsver­kündung in Tränen ausgebroch­en.

 ?? FOTO: K. CHEUNG/DPA ?? Ein Demokratie-Aktivist in Hongkong protestier­t mit Zhang Zhans Foto vor dem Büro der Zentralreg­ierung.
FOTO: K. CHEUNG/DPA Ein Demokratie-Aktivist in Hongkong protestier­t mit Zhang Zhans Foto vor dem Büro der Zentralreg­ierung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany