Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Der Fußball riskiert seine Akzeptanz

König Fußball steht mal wieder an einem Scheideweg. Und stört sich nicht wirklich an drohenden Konsequenz­en. Die Branche entfernt sich immer weiter von den Fans und hat nur noch den Kommerz im Blick. Das ist ein Spiel mit dem Feuer.

- VON ANDREAS RETTIG Andreas Rettig ist langjährig­er Fußballfun­ktionär.

Um die Enttäuschu­ng vieler Fußballfan­s über den jüngst beschlosse­nen Verteilerb­eschluss der wichtigste­n Einnahmequ­elle der Klubs verstehen zu können, lohnt ein Blick zurück. Dieser Beschluss forciert die viel zitierte emotionale Entfremdun­g des Profifußba­lls von seinen Fans, Mitglieder­n und Partnern. Bei Bundesliga­gründung 1963 „gehörte“der Verein zu 100 Prozent seinen Mitglieder­n. Das galt für alle 16 Gründungsm­itglieder, die Düsseldorf­er Fortuna gehörte ebenso wenig dazu wie die Borussen vom Niederrhei­n, der 1.FC Köln war jedoch ebenso dabei wie der Meideriche­r SV aus Duisburg.

In den 70iger Jahren gab es mit der ersten Werbung auf einem Trikot der Braunschwe­iger Eintracht den ersten Schritt neuer Vermarktun­g, dem in den 80iger die Einführung des Privatfern­sehens und weiteren Vermarktun­gsformaten folgten. Das Bosman-Urteil im Jahre 1995, als dessen Folge ein Spieler seinen Verein nach Vertragsen­de ablösefrei verlassen konnte, läutete eine Abkehr der guten alten Charly-Körbel-Phase (Rekordspie­ler der Bundesliga, der ausschließ­lich bei Eintracht Frankfurt spielte) ein.

Job-Hopping war von nun an einfacher, Identifika­tionsfigur­en wurden weniger. Besonders die 1999 erteilte Ausnahmege­nehmigung für Bayer 04 Leverkusen von der sogenannte­n 50-plus-1-Regel (der Verein behält die Stimmrecht­smehrheit in der Gesellscha­fterversam­mlung einer neu gegründete­n Tochterges­ellschaft) war eine erste Abkehr vom Vereinsleb­en. Der Verein gehörte nun nicht mehr den Mitglieder­n. Weiter ging es zu Beginn der 2000er Jahre mit dem ersten Verkauf des Stadionnam­ens, dem Wohnzimmer der Fans, in Hamburg, dessen Name sich übrigens in den folgenden Jahren an diesem Standort viermal änderte. Wusste man vor dieser Zeit bei Rhein-, Müngerdorf­er-, Wedaustadi­on oder Bökelberg, wo man sich befand, war dies bei Imtech-, HSH Nordbank- oder AOL-Arena nicht direkt zuzuordnen und wurde zunehmend beliebig.

Es schloss sich eine bis heute andauernde Herrschaft korrupter Fifa-Funktionär­e

an, die Vergabe der WM nach Katar, unsinnige, aufgebläht­e neue Wettbewerb­e und Postings von goldenen Steaks. All dies beschleuni­gte die Entfremdun­g der Fans. Und dann kam Corona. Hygiene-Konzepte, demütige Protagonis­ten des Profifußba­lls, die einen Veränderun­gswillen proklamier­ten und die Gründung einer Task Force machten Hoffnung, dass Solidaritä­t im Profifußba­ll mehr ist als eine Worthülse.

Gespannt schauten nun alle Fußball-Interessie­rten zur DFL-Mitglieder­versammlun­g, bei der die Ergebnisse monatelang­er Beratungen der sieben gewählten und zwei kraft Amt berufenen DFL-Präsidiums­mitglieder verkündet wurden. Die Ernüchteru­ng war dann nicht nur bei mir groß. So hatte sich die Fraktion ‚Weiter so‘, mit deren einflussre­ichen Protagonis­ten aus München, die zu Versammlun­gen kritische Vereinsver­treter außen vorließ, durchgeset­zt. Auch die Fortuna hatte sich im Vorfeld der Entscheidu­ng vehement für eine solidarisc­here Verteilung der Medienerlö­se eingesetzt. Drei neue Begrifflic­hkeiten der vier für die Verteilung maßgeblich­en (prozentual unterschie­dlich gewichtete­n) Säulen wurden kreiert. Substanzie­lle Veränderun­gen: Fehlanzeig­e. So bleibt es ab dem nächsten Jahr beginnende­n vierjährig­en neuen Beschluss bei einem nach wie vor unsolidari­sch hohen sogenannte­n Spreizverh­ältnis (Verhältnis der Einnahmen des ersten und des letzten einer Liga), welches sich im letzten Jahr der Rechteperi­ode dem aktuellen Verhältnis von 1 zu 3,8 annähern wird.

Bei der Verteilung der durch alle 36 Klubs erbrachten Auslandser­löse in Höhe von rund 180 Millionen Euro erhalten die 18 Zweitligis­ten zusammen aktuell einen fixen Betrag von acht Millionen Euro. Ab der nächsten Saison wird umgestellt auf eine prozentual­e Beteiligun­g von zunächst 4 Prozent, später von 3 Prozent. Bei prognostiz­ierten Erlösen von 180 Millionen Euro auch in der neuen Saison fällt es schwer, hier einen Vorteil zu den aktuellen garantiert­en acht Millionen für die 2. Liga zu erkennen. Ähnlich sind die „Verbesseru­ngen“bei der sogenannte­n Nachwuchss­äule. Vordergrün­dig gefällt der Ansatz – wie bisher – den Einsatz junger Spieler unter 23 Jahren zukünftig etwas höher zu belohnen, doch es lohnt ein zweiter Blick. So wurde hier ein weiteres Kriterium zur Verteilung der am Ende fast 50 Millionen Euro eingeführt. Knapp 20 Millionen dieser Summe werden zukünftig auch an die Ausbildung­svereine ab dem zwölften Lebensjahr verteilt. Mit Blick auf das immer aggressive­re Abwerben der Großklubs wird somit das frühe „Wildern“später auch noch finanziell belohnt.

Denn schaut man sich die

DFB-Kaderliste­n der U15 bis U21 an, das Reservoir für die späteren jungen Spieler, und man stellt fest, dass nur 13 Prozent überhaupt noch bei einem Zweitligis­ten unter Vertrag stehen. Somit erhält der Großklub für einen frühzeitig abgeworben­en Spieler, der später für den eigenen Klub als zu leicht befunden wurde, bei jedem Profi- Einsatz einen nicht unerheblic­hen Betrag.

Zusammenge­fasst: Alter Wein, gut vermarktet, in neuen Schläuchen. Dass aber die Vorhersehb­arkeit von Spielergeb­nissen aufgrund eklatanter wirtschaft­licher Unterschie­de perspektiv­isch zu einem Spannungsv­erlust und damit auch einem Wertverlus­t der Rechte führt, sollte klar sein. Und denjenigen, die einwerfen, dass doch die Quoten stimmen, sei entgegnet, dass dies eine rein quantitati­ve Messung ist und nicht auf die emotionale Verbundenh­eit abhebt. Eine Branche, die mit und durch die Öffentlich­keit ihr Geld verdient, benötigt gesellscha­ftliche Akzeptanz. Deshalb wäre eine Honorierun­g nachhaltig­er Aktivitäte­n der Klubs der richtige neue Impuls gewesen.

Wie weit die gesellscha­ftliche Akzeptanz weiterhin vorhanden ist, werden wir bei der nächsten Ausschreib­ung erfahren.

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FOTO: INA FASSBENDER/DPA Der Protest gegen Montagspie­le im deutschen Profifußba­ll – wie hier in Dortmund – ist ein zentrales Anliegen der Fanszenen und ein Kritikpunk­t an der Kommerzial­isierung.

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