Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Expedition auf den Monte Klamott
Er gilt als Achttausender des Niederrheins: Der Rheydter Müllberg ist die höchste Erhebung in Mönchengladbach. Eine Selbsterfahrung am Berg.
MÖNCHENGLADBACH Am Anfang standen die Socken. Die Frage danach, ob die dicken reichen werden. Oder doch besser die ganz dicken, denn der Weg hinauf auf den höchsten Punkt Mönchengladbachs wird kein leichter sein? Dieser Weg wird steinig und schwer. Selbst mit dicken Socken, Thermojacke und Bergstiefeln ist die Gipfelbesteigung des Monte Klamott im Südbezirk Mönchengladbachs eine Prüfung für Körper und Geist.
Am Fuße des Bergs türmt sich der Brocken am niederrheinischen Horizont auf. Bereits auf der Zufahrt über die Dahlener Straße kann man ihn im dichten Wald und Gestrüpp sehen. Selbst erfahrene Alpinisten sind in der Vergangenheit schon an ihm gescheitert. Sie haben einen Heidenrespekt vor ihm. Oft genug hat er Bergsteigern schon die grässliche Fratze von Wind und Wetter entgegen geschleudert. So leicht lässt sich der Monte Klamott eben nicht bezwingen. 133 Meter über dem Meeresspiegel. Ein gefühlter Achttausender des Niederrheins, kurz vor Rheindahlen.
Ein solcher Koloss ist nie ohne Risiko zu besteigen. Bergsteigerische Erfahrung mindert es, aber es lässt sich eben nie auf Null reduzieren. Am Fuße weht an diesem Morgen ein scharfer Wind. Eingekeilt zwischen Dahlener Straße und A61 ist der Berg am einfachsten von Süden her zu bezwingen.
Am Fuße des „Klamotts“liegt ein Kinderspielplatz. Hierhin, zum Basislager, muss erst die Ausrüstung für die Expedition gebracht werden: Müsli-Riegel, Wasserpülleken – und für alle Fälle Sauerstoffflaschen. Neben spielenden Kindern am Klettergerüst bleibt hier die letzte Möglichkeit, noch mal die Ausrüstung zu überprüfen. Später, womöglich nach einem Wettereinbruch mit Matsch und Glätte, bliebe dafür keine Möglichkeit
mehr. Denn: Am Ende entscheidet der Berg. Immer.
Im Morgengrauen geht’s los. So früh, damit nicht andere Bergsteigergruppen zu Staus auf dem Weg nach oben stören. So wie es auf dem großen Bruder des Monte Klamott, dem Mount Everest in jeder Gipfelsaison an der Tagesordnung ist.
Ich verlasse das Basislager. Bis zum Lager Zwei, einer windgeschützten Ausbuchtung am Wegesrand, ist es ein fünfminütiger Aufstieg. Die ersten Meter, der Atem wird schneller. Noch ist das Wetter aufgeklart, Graupelschauer nicht in Sicht, Neuschnee nicht zu befürchten. Die 50 Meter ziehen sich, der Boden ist glitschig, aber noch gut zu begehen. Gipfelstürmer einer Expedition vom ganz frühen Morgen kommen mir entgegen, sind abgekämpft, grüßen zaghaft. Zu mehr scheint die Kraft nicht mehr zu reichen.
Eine 90-Grad-Kurve, der Weg steigt nun immer steiler an. In den Waden zieht’s. Auf dem Hochplateau auf etwa der Hälfte des Weges ist Lager eins – ein Holzstamm als Sitz. Kurze Verschnaufpause. Die Höhen-Uhr zeigt 93,7 Meter über dem Meeresspiegel. Ein Biss in den Müsli-Riegel, nur ja keinen „Hungerast“erleiden.
Selbst Astronautennahrung darf den Magen jetzt nicht belasten.
Vor dem Gipfelangriff ist es die letzte Möglichkeit, die Ausrüstung noch mal zu checken: Steigeisen? Da! Eispickel sind noch nicht notwendig gewesen. Die Sauerstoffflaschen bleiben hier im Lager Zwei zurück. Ich will den Monte-Gipfel wie Messner 1978 den Mount Everest ohne Hilfe bezwingen. Ohne Sauerstoff. Nur nicht als Erster.
20 Meter weiter. Alles zwickt. Erstaunlich, wo ein Mitteleuropäer alles Sehnen, Knochen, Muskeln und Nerven hat. Der Gipfel ist fast erreicht. Von Erfrierungen bin ich bis jetzt zum Glück verschont geblieben. Auf den letzten Metern wird der Weg aber menschenverachtend schwer. Immer mehr Splitsteine. Der Blick in die Tiefe zu den spielenden Kindern auf dem Abenteuerplatz: Der Horizont verschwimmt.
Die Luft wird immer dünner. Die Angst vor der Höhenkrankheit läuft immer mit. Mit den letzten Reserven geht es hinauf zum Gipfel. 133 Meter über dem Meeresspiegel. Geschafft! Ich setze mich, nehme einen Schluck aus der Wasserflasche. Nicht zu viel, denn es muss noch für den Abstieg reichen. Die Aussicht auf den Niederrhein ist grandios.
Die Entscheidung für diese Süd-Route über den Weg war richtig. Am Ostsattel durch das Gestrüpp (ohnehin nicht erlaubt, denn die Behörden geben für dortige Aufstiege gar kein Permit) wären wohl Sauerstoffflaschen und jede Menge Sherpas notwendig, um oberhalb der Todeszone von 110 Metern über Normalnull überleben zu können.
Plötzlich zeichnet sich eine ältere Dame mit einem Hund am Horizont ab. Sie kommt näher. „Ein schöner Tag heute für einen Spaziergang, nicht?“Die Dame war vor mir gemütlich auf den Monte Klamott gelaufen. Wie ich ohne Sauerstoff-Hilfe. Respekt!