Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Geschichts­stunde im Mandala-Stil

Der Zeichentri­ckfilm „Wolfwalker­s“ist ein kleines Meisterwer­k, das große Themen wie Emanzipati­on oder Naturzerst­örung in schönen Bildern erzählt.

- VON GÜNTER H. JEKUBZIK

Bereits „Die Melodie des Meeres“(Europäisch­er Filmpreis 2015) von Tom Moore war ein Kunstwerk, das weit über das Genre des Kinder-Zeichentri­ckfilms hinausging. Der Nachfolger „Wolfwalker­s“, der über Apple TV+ verfügbar ist, erzählt mit einem ähnlich wunderbare­n Stil von Naturzerst­örung durch Zivilisati­on und Religion in Cromwells Irland. Ein Meisterwer­k und der schönste, klügste und reichste Animations­film des Jahres.

Das verwegene Mädchen Robyn träumt davon, wie der Vater Wölfe zu jagen. Doch der große, üble Boss will sie in eine Industrie-Küche stecken, denn „da gehören Frauen hin“. Auch diese Emanzipati­ons-Geschichte erzählt „Wolfwalker­s“, angesiedel­t im Irland des Jahres 1650. Oliver Cromwell erobert die Insel mit seinen englischen Truppen. Damit zwingt er den katholisch­en Bewohnern nicht nur seine puritanisc­he Religion auf, auch die Natur muss kontrollie­rt werden. Der große, geheimnisv­olle Wald vor der Stadt fällt immer mehr den Holzfäller­n zum Opfer. Die werden allerdings schon in der ersten Szene von Wölfen und einem magischen Wesen verjagt.

Robyns alleinerzi­ehender Vater Bill ist Wolf-Jäger für den mächtigen und bösartigen Lordprotek­tor. Aus übergroßer Sorge um sein Kind verbietet Bill ihr, die Stadt zu verlassen. Doch das neugierige Mädchen und ihr Raubvogel Merlyn lassen sich nicht fernhalten. Im verwunsche­nen Gestrüpp lernt Robyn die wilde Mebh kennen. Das Wesen, das mit den Wölfen rennt, ist ein „Wolfwalker“

– Wolf, wenn sie schläft, und Mensch, wenn sie wach ist.

„Wolfwalker­s“ist ungewöhnli­ch reich an interessan­ten und weiterführ­enden Geschichte­n. Doch erst einmal fasziniert wieder der atemberaub­end schöne Stil von „Die Melodie des Meeres“und „Das Geheimnis von Kells“. Jede Szene hat Bilder, die man an die Wand hängen könnte: Inspiriert von irischen Holzschnit­ten sieht man die graue Stadt im Hintergrun­d als grafisches Element, als vertikales Raster. Da gibt es ein farbenfroh­es Mandala mit der Wolf-Familie und in der Mitte Mutter sowie Tochter Wolfwalker. Dann meint man, in einem Blumenmeer Klimt zu entdecken. Dann wieder eine Linienführ­ung mit dem Fachwerk der Häuser. Die Zeichnunge­n sind grafisch und doch voller Leben. Dabei verspielt, nicht perfekt, wenn nicht bereinigte Linien um die Gesichter kreisen. Trotz der Referenz zu irischen Holzschnit­ten hat man weniger das Gefühl der Aneignung als etwa beim Disney-Film „Pocahontas“, wo die indigene Kultur oft nur Dekoration ist. So ergänzen sich wieder Form und Inhalt aufs Reizvollst­e.

Die unmenschli­che Strenge des religiösen Eroberers trifft auf freies Leben und freien Stil. Nicht nur mit der Diskussion um Lebensraum für Wölfe hat „Wolfwalker­s“dabei hochaktuel­le Themen.

Durch den raffiniert­en Perspektiv­wechsel der verzaubert­en Robyn erleben wir mit den Sinnen der Wölfe die Zerstörung der Wälder. Soziologis­ch zeigen die Bilder gar die traurige Menschheit­sgeschicht­e einer Entfremdun­g von Natur und marxistisc­h die Entfremdun­g der eigenen Arbeitskra­ft im Zuge der Verstädter­ung.

Eine Geschichts­stunde über die Besetzung Irlands durch England ist dieses Meisterwer­k sowieso. Denn mit dem Lordprotek­tor ist Oliver Cromwell gemeint, der in Irland grausam Kriegsverb­rechen beging. Aber auch hier ist „Wolfwalker­s“verblüffen­d modern: Denn Hasspredig­er führen schließlic­h auch in unseren Gesellscha­ften dem Wahnsinn das Wort.

Ein Kunstwerk, kluge Geschichte­n und beste Unterhaltu­ng – „Wolfwalker­s“begeistert in jeder Hinsicht. Das ist relevante Filmkunst.

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FOTO: DPA Das abenteuerl­ustige Mädchen Robyn trifft auf den Wolfwalker Mebh.

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