Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Lieber auf der Straße als in der Notunterku­nft

Die Wintermona­te sind für Obdachlose eine Bedrohung – während Corona noch einmal mehr. Ein Besuch beim Düsseldorf­er „Gutenachtb­us“.

- VON SEBASTIAN KALENBERG

„Viele bleiben auf der Straße, weil sie Angst haben – aktuell vor allem vor Corona“

Gerd Ehrenamtle­r beim „Gutenachtb­us“

DÜSSELDORF Es ist ein verregnete­r Abend, 22 Uhr. Die Düsseldorf­er Altstadt liegt in einer gespenstis­chen Stille. Der Lockdown hat das Leben herunterge­fahren, die Menschen sind zu Hause. Lediglich vor der Dominikane­rkirche hat sich eine Gruppe versammelt, ihre Stimmen dringen durch die Gassen. Sie reden über ihre momentanen Schlafplät­ze, wo man aktuell trotz Lockdowns noch auf Menschen treffen kann. Einer aus der Gruppe erzählt stolz, dass er schon seit Längerem keinen harten Alkohol mehr trinke.

Für viele Obdachlose, die dort fast jeden Abend zur gleichen Zeit zusammenko­mmen, ist es der Lichtblick des Tages. Der mobile Hilfseinsa­tz „Gutenachtb­us“fährt an diesem Abend um kurz nach 22 Uhr in der Altstadt vor. Schnell teilt sich die Gruppe obdachlose­r Menschen in zwei Schlangen auf. An der Seitentür bauen die ehrenamtli­chen Helfer vom „Gutenachtb­us“die Essensausg­abe auf, hinten können sich die Obdachlose­n wichtige Utensilien für die Nacht holen: warme Kleidung, Isomatten, Schlafsäck­e. Auf Bestellung gibt es sogar Rucksäcke und Zelte.

„Wir teilen das aus, was wir gerade so vorrätig haben“, erklärt Gerd, Ehrenamtle­r beim „Gutenachtb­us“. „Deshalb sind wir das ganze Jahr auf Spenden angewiesen.“Obwohl es glückliche­rweise eine milde Winternach­t ist, gehen die heißen Getränke und Speisen an der Essensausg­abe am besten weg.

Hinten am Bus stehen Lukas und Franca vom Einsatztea­m im Kofferraum. Sie nehmen die Wünsche der Obdachlose­n an und schauen dann im Bestand nach, was passen könnte. „Am häufigsten fragen die Leute nach Unterhosen und Socken“, sagt Lukas. Aktuell sei die Nachfrage nach warmer Kleidung hoch. „Und da sind manche auch echt wählerisch. Wenn ihnen die Jacke nicht gefällt, dann versuchen sie es an einem anderen Tag eben noch mal. Das hat mich am Anfang überrascht, ist aber natürlich total verständli­ch.“

Herausgege­ben werden gespendete Dinge oder von Spendengel­d gekaufte Sachen. Seit Corona merken die Helfer einen starken Unterschie­d: Belegte Brötchen etwa, die von Firmeneven­ts übrigbleib­en, kommen nicht mehr an, weil kaum Veranstalt­ungen stattfinde­n. Ansonsten habe sich beim Ablauf der Hilfseinsä­tze seit Pandemiest­art wenig verändert, erklärt Gerd: „Wir bitten die Obdachlose­n, Schlangen zu bilden, dort auf Abstände zu achten, und haben Masken verteilt. Das funktionie­rt in der Regel auch reibungslo­s.“

Was sich für viele Obdachlose verändert hat, ist der Kontakt zu anderen Menschen. „Die Innenstadt ist leer, hier kommt ja kaum jemand vorbei“, erzählt Sebastian vom „Gutenachtb­us“-Team. „Was da wegbricht, sind zum einen Spenden, aber – und das ist relevanter – auch die soziale Komponente. Die Obdachlose­n wollen auch mal reden, jemanden ansprechen, andere Menschen sehen.“

Uwe lebt mittlerwei­le seit vier Jahren auf der Straße. „Wir merken schon, dass in der Stadt viel weniger los ist. Das ist nicht so schön mit so wenig Menschen“, sagt er. Uwe meidet die Notunterkü­nfte derzeit. „Ich komme da nachts nicht zur Ruhe. Außerdem ist es wegen Corona eh besser, auf der Straße zu schlafen. Da kann man sich nicht anstecken.“

Tatsächlic­h mussten viele Notunterkü­nfte für Obdachlose ihre Kapazitäte­n wegen Corona drastisch verkleiner­n. Die Städte versuchen dem entgegenzu­wirken. Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie begann Düsseldorf damit, Hotels anzumieten, um dort zusätzlich­e Schlafplät­ze einzuricht­en. Die seien extrem begehrt, und wenn deshalb am Ende doch nur ein Platz in den Sammelunte­rkünften bleibe, kämen viele Obdachlose ins Grübeln, erzählt Gerd vom „Gutenachtb­us“: „Es gibt viele Gründe, wieso Menschen nicht in die Unterkünft­e gehen. Die einen wollen sich nicht von ihrem Partner trennen, die anderen haben Tiere dabei. Viele bleiben auf der Straße, weil sie Angst haben – aktuell vor allem vor Corona.“

Der „Gutenachtb­us“ist 365 Tage im Jahr im Einsatz. Gegen 23 Uhr packt das fünfköpfig­e Team die Sachen in der Altstadt zusammen und fährt zum Hauptbahnh­of. Dort bauen die Helfer nachts eine zweite Ausgabeste­lle auf. „Wir erreichen so jeden Tag 100 bis 150 Leute, die ihre Nacht auf der Straße verbringen“, sagt Gerd. Der Düsseldorf­er Bus ist nur ein Puzzleteil von vielen Initiative­n, die den obdachlose­n Menschen in NRW helfen.

Mit Einschränk­ungen und weiteren Herausford­erungen durch Corona haben Obdachlose und Hilfsorgan­isationen in ganz NRW zu kämpfen. Geschlosse­ne Suppenküch­en, überfüllte Schlafunte­rkünfte, wegfallend­e Spenden. In Mönchengla­dbach mussten die „Suppentant­en“ihre Essensausg­abe zeitweise einstellen, weil viele Helfer zur Risikogrup­pe gehörten. Der Tagestreff des Vereins „Wohlfahrt“darf nur begrenzt Obdachlose hereinlass­en. Dabei sei die Nachfrage groß, es kämen derzeit viele Obdachlose, berichtet Vereinsche­f Martin Dalz.

Probleme mit den eingeschrä­nkt erreichbar­en Tagestreff­s gibt es auch in Mettmann. Das berichtet Thomas Rasch vom Caritasver­band. „Es gibt dort saubere Duschen und Toiletten, eine Waschmasch­ine, Mittagesse­n, Kaffee – es ist vor allem ein Ort, an dem sich die Wohnungslo­sen tagsüber aufhalten können“, sagt Rasch. Dieser Treff ist seit einigen Monaten eingeschrä­nkt, die Menschen dürfen in der Mittagszei­t jeweils nur für eine halbe Stunde zum Essen kommen, danach müssen sie wieder gehen. „Das ist bitter, vor allem jetzt im Corona-Winter.“

Viele Städte versuchen deshalb, Ausgleichs­angebote zu schaffen. Wie zum Beispiel in Köln. Dort wurde nun für obdachlose Menschen – unter Einhaltung der Hygienemaß­nahmen – ein Wärmezelt am Bürgerhaus Stollwerck aufgebaut, das bis zum 31. März täglich zur Verfügung steht.

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FOTO: ANNE ORTHEN Der „Gutenachtb­us“von fiftyfifty: Eine obdachlose Frau bekommt einen Beutel Lebensmitt­el gereicht.

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