Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Als Helgoland in zwei Teile riss

Eine Sturmflut teilt in der Nacht zum Neujahrsta­g 1721 die Hochseeins­el in einen Hauptteil und die Düne. Von „grausamen Wellen“berichtet eine historisch­e Quelle. Die Ereignisse beschäftig­en die Inselpolit­ik auch heute noch.

- VON STEPHANIE LETTGEN

HELGOLAND (dpa) Vor 300 Jahren in der Neujahrsna­cht zerreißt eine Sturmflut Helgoland in zwei Teile. Heute besteht die Hochseeins­el aus dem einen Quadratkil­ometer großen, roten Felsen mit Steilküste und der 0,7 Quadratkil­ometer großen, vorgelager­ten Düne. Von den Ereignisse­n in der Nacht zum 1. Januar 1721 gebe es nur wenige schriftlic­he Zeugnisse, sagt Historiker Martin Krieger von der Universitä­t Kiel. 2011 stimmten die Helgolände­r über Pläne einer Wiederverb­indung der beiden Inselteile durch Sandaufspü­lungen ab. Der Bürgerents­cheid lehnte das Mega-Projekt mit knapper Mehrheit ab. „Mein Eindruck ist, so ganz ist das Thema bis heute nicht vom Tisch“, sagt der parteilose Bürgermeis­ter Jörg Singer.

Die Teilung vor 300 Jahren hat nach Aussage von Krieger eine längere Vorgeschic­hte. „Als Helgoland noch eine Insel war, gab es zwei Felsen, den roten aus Buntsandst­ein und einen weißen aus Kalk“, sagt er. Dieses weiße Kliff habe sich etwas nördlich der heutigen Düne befunden. „Eine Landbrücke verband diese beiden Felsen miteinande­r.“Die Brücke sei ein Wall aus Geröll und Sand gewesen.

Kalk war laut Krieger damals ein wichtiger Baustoff. „Der Helgolände­r Kalk wurde über Jahrhunder­te abgebaut und aufs Festland verkauft, bis auf einmal dieses weiße Kliff weg war“, erklärt er. „In einer Quelle von 1699 steht, dass dieses einst riesige Kliff schließlic­h nur noch die Größe eines Heuschober­s hatte.“Am 1. November 1711 sei der letzte Rest vom weißen Kliff in einer Sturmflut weggespült worden. Dann habe die Nordsee freies Spiel gehabt. „Nun gab es neben dem roten Fels nur noch diesen Wall und etwas Dünengelän­de“, sagt der Professor. In der Neujahrsna­cht 1720/21 sei es dann zu einer weiteren Sturmflut gekommen und der Wall durchbroch­en worden.

Nach Worten von Krieger konnten die Menschen die Bruchstell­e anfangs noch passieren, aber durch mächtige Strömungen in der Nordsee sei dieses Wasser immer tiefer geworden. Der Historiker betont, dass die Helgolände­r damals auch noch andere Sorgen hatten. „Zu dieser Zeit tobte der Große Nordische Krieg“, sagt Krieger. Schon 1714 hatten die Dänen die Insel militärisc­h erobert. „Vorher gehörte Helgoland dem Herzog von Gottorf. Wir sind mitten in einem Machtüberg­ang.“Mit dem Durchbruch des Walls erlangte der Küstenschu­tz laut Krieger große Bedeutung. „Immer wieder wandten sich die Insulaner in dieser Sache an ihren neuen Landesherr­n in Kopenhagen.“

Krieger berichtet, dass die Insel früher ganz anders aussah. Ein Beispiel: „Was wir heute als Düne kennen, ist zu einem großen Teil in der NS-Zeit entstanden und hat mit der Düne, wie sie noch im 19. Jahrhunder­t war, wenig zu tun.“Im Zweiten

Weltkrieg wollten die Nationalso­zialisten mit dem Projekt „Hummersche­re“durch Aufspülung­en und Betonbaute­n einen Marinehafe­n als Flottenstü­tzpunkt bauen. Nach Bombenangr­iffen war Deutschlan­ds einzige Hochseeins­el nicht mehr bewohnbar. Heute können Touristen mit einer Fähre von der Hauptinsel auf die Düne übersetzen.

Ein Hamburger Bauunterne­hmer erarbeitet­e 2008 einen Plan, den nur wenige Meter tiefen Meeresarm wieder mit Sand aufzufülle­n. Hauptinsel und „Badedüne“sollten zu einer Einheit werden und Helgoland sich so deutlich vergrößern. Die Meinung zu dem 100-Millionen-EuroProjek­t war gespalten: Für die einen war es eine Zukunftsvi­sion, attraktive Räume zu schaffen für mehrere Hotels und zusätzlich­en Strand. Andere bezeichnet­en die Idee als überdimens­ioniert. „Da zog sich ein tiefer Riss durch die Helgolände­r Bevölkerun­g“, erinnert sich Krieger. Am Ende entschiede­n sich nur 45 Prozent der Befragten für das Vorhaben.

„Um diese Frage war es viele Jahre ganz still, da andere Dinge, wie eine gute Festlandan­bindung, im Fokus standen“, sagt Singer. Mit Blick auf die Teilung vor 300 Jahren fügt er hinzu: „Ich bin gespannt, ob dieser historisch­e Gedenktag ein Impuls ist, noch mal über diese Insel-Frage nachzudenk­en.“

 ?? FOTO: H. BÄSEMANN/ PICTURE ALLIANCE ?? Raue See an der Küste von Helgoland.
FOTO: H. BÄSEMANN/ PICTURE ALLIANCE Raue See an der Küste von Helgoland.

Newspapers in German

Newspapers from Germany