Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Als Helgoland in zwei Teile riss
Eine Sturmflut teilt in der Nacht zum Neujahrstag 1721 die Hochseeinsel in einen Hauptteil und die Düne. Von „grausamen Wellen“berichtet eine historische Quelle. Die Ereignisse beschäftigen die Inselpolitik auch heute noch.
HELGOLAND (dpa) Vor 300 Jahren in der Neujahrsnacht zerreißt eine Sturmflut Helgoland in zwei Teile. Heute besteht die Hochseeinsel aus dem einen Quadratkilometer großen, roten Felsen mit Steilküste und der 0,7 Quadratkilometer großen, vorgelagerten Düne. Von den Ereignissen in der Nacht zum 1. Januar 1721 gebe es nur wenige schriftliche Zeugnisse, sagt Historiker Martin Krieger von der Universität Kiel. 2011 stimmten die Helgoländer über Pläne einer Wiederverbindung der beiden Inselteile durch Sandaufspülungen ab. Der Bürgerentscheid lehnte das Mega-Projekt mit knapper Mehrheit ab. „Mein Eindruck ist, so ganz ist das Thema bis heute nicht vom Tisch“, sagt der parteilose Bürgermeister Jörg Singer.
Die Teilung vor 300 Jahren hat nach Aussage von Krieger eine längere Vorgeschichte. „Als Helgoland noch eine Insel war, gab es zwei Felsen, den roten aus Buntsandstein und einen weißen aus Kalk“, sagt er. Dieses weiße Kliff habe sich etwas nördlich der heutigen Düne befunden. „Eine Landbrücke verband diese beiden Felsen miteinander.“Die Brücke sei ein Wall aus Geröll und Sand gewesen.
Kalk war laut Krieger damals ein wichtiger Baustoff. „Der Helgoländer Kalk wurde über Jahrhunderte abgebaut und aufs Festland verkauft, bis auf einmal dieses weiße Kliff weg war“, erklärt er. „In einer Quelle von 1699 steht, dass dieses einst riesige Kliff schließlich nur noch die Größe eines Heuschobers hatte.“Am 1. November 1711 sei der letzte Rest vom weißen Kliff in einer Sturmflut weggespült worden. Dann habe die Nordsee freies Spiel gehabt. „Nun gab es neben dem roten Fels nur noch diesen Wall und etwas Dünengelände“, sagt der Professor. In der Neujahrsnacht 1720/21 sei es dann zu einer weiteren Sturmflut gekommen und der Wall durchbrochen worden.
Nach Worten von Krieger konnten die Menschen die Bruchstelle anfangs noch passieren, aber durch mächtige Strömungen in der Nordsee sei dieses Wasser immer tiefer geworden. Der Historiker betont, dass die Helgoländer damals auch noch andere Sorgen hatten. „Zu dieser Zeit tobte der Große Nordische Krieg“, sagt Krieger. Schon 1714 hatten die Dänen die Insel militärisch erobert. „Vorher gehörte Helgoland dem Herzog von Gottorf. Wir sind mitten in einem Machtübergang.“Mit dem Durchbruch des Walls erlangte der Küstenschutz laut Krieger große Bedeutung. „Immer wieder wandten sich die Insulaner in dieser Sache an ihren neuen Landesherrn in Kopenhagen.“
Krieger berichtet, dass die Insel früher ganz anders aussah. Ein Beispiel: „Was wir heute als Düne kennen, ist zu einem großen Teil in der NS-Zeit entstanden und hat mit der Düne, wie sie noch im 19. Jahrhundert war, wenig zu tun.“Im Zweiten
Weltkrieg wollten die Nationalsozialisten mit dem Projekt „Hummerschere“durch Aufspülungen und Betonbauten einen Marinehafen als Flottenstützpunkt bauen. Nach Bombenangriffen war Deutschlands einzige Hochseeinsel nicht mehr bewohnbar. Heute können Touristen mit einer Fähre von der Hauptinsel auf die Düne übersetzen.
Ein Hamburger Bauunternehmer erarbeitete 2008 einen Plan, den nur wenige Meter tiefen Meeresarm wieder mit Sand aufzufüllen. Hauptinsel und „Badedüne“sollten zu einer Einheit werden und Helgoland sich so deutlich vergrößern. Die Meinung zu dem 100-Millionen-EuroProjekt war gespalten: Für die einen war es eine Zukunftsvision, attraktive Räume zu schaffen für mehrere Hotels und zusätzlichen Strand. Andere bezeichneten die Idee als überdimensioniert. „Da zog sich ein tiefer Riss durch die Helgoländer Bevölkerung“, erinnert sich Krieger. Am Ende entschieden sich nur 45 Prozent der Befragten für das Vorhaben.
„Um diese Frage war es viele Jahre ganz still, da andere Dinge, wie eine gute Festlandanbindung, im Fokus standen“, sagt Singer. Mit Blick auf die Teilung vor 300 Jahren fügt er hinzu: „Ich bin gespannt, ob dieser historische Gedenktag ein Impuls ist, noch mal über diese Insel-Frage nachzudenken.“