Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Nord Stream baut die Pipeline zu Ende“

Der Uniper-Chef spricht über Hunderte Infizierte im Unternehme­n, über russisches Gas und die Zukunft des Kohlekraft­werks Datteln.

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DÜSSELDORF Uniper ist nach RWE der größte deutsche Stromerzeu­ger und einer der größten Arbeitgebe­r in Düsseldorf. Wir erreichen Uniper-Chef Andreas Schierenbe­ck im Homeoffice. An der Wand hinter ihm hängen mehr als 20 Medaillen, die er sich erlaufen hat, allein 15 davon bei Marathons. Ein echter Marathon ist auch die Bewahrung von Unipers Eigenständ­igkeit.

Herr Schierenbe­ck, die Corona-Zahlen steigen. Wie sieht es bei Uniper aus?

SCHIERENBE­CK Seit dem 16. März ist das Unternehme­n weitgehend im Homeoffice. Am Standort in Düsseldorf, wo sonst rund 2500 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r tätig sind, sind meist nur 40 bis 60 Kollegen vor Ort. Aber auch bei uns haben sich inzwischen einige Hundert Mitarbeite­r mit Corona infiziert, der Großteil davon in Russland. Zum Glück haben die meisten einen milden Verlauf.

Wie sieht es in den Kraftwerke­n aus? Ist die Versorgung gesichert?

SCHIERENBE­CK Was uns betrifft, ist die Stromverso­rgung sicher. Unsere Kolleginne­n und Kollegen in den Kraftwerke­n arbeiten seit März in getrennten Schichten, die sich nicht mal bei der Übergabe persönlich begegnen; die Besucher- und Lieferverk­ehre sind auf ein Minimum reduziert. Die Gesundheit der Mitarbeite­r und die Sicherung der Versorgung stehen an erster Stelle.

Merken Sie die Krise beim Strompreis?

SCHIERENBE­CK Die Stromnachf­rage ist im vierten Quartal wegen der Corona-Krise um drei Prozent gefallen, das hat den Preis im Jahresverl­auf gedrückt. Heute stehen wir aber bei den Strompreis­en im Großhandel wieder beim Stand von vor einem Jahr. Außerdem verkaufen wir unseren Strom meist vorzeitig und über langfristi­ge Verträge an Großkunden wie Stadtwerke oder Industrieu­nternehmen.

Uniper-Mitarbeite­r fragen sich mit Sorge, was nach 2021 passiert. Dann kann Ihr finnischer Großaktion­är Fortum einen Beherrschu­ngsvertrag schließen, Uniper wäre Geschichte.

SCHIERENBE­CK Bis Ende 2021 hat Fortum einen Beherrschu­ngs- und Gewinnabfü­hrungsvert­rag ausgeschlo­ssen, bis 2026 soll es auch keine Kündigunge­n geben. Das gibt dem Unternehme­n und den Mitarbeite­rn Sicherheit. Wir sind jedenfalls stolz, dass wir als ein innovative­s Unternehme­n mit vielen Lösungen für eine CO2-neutrale Energiezuk­unft wahrgenomm­en werden.

Wird Fortum 2022 die verbleiben­den Aktionäre herausdrän­gen?

SCHIERENBE­CK Diese Frage kann nur Fortum beantworte­n.

Die große Sorge ist, dass Fortum die Uniper-Zentrale zum Deutschlan­d-Büro schrumpft.

SCHIERENBE­CK Fortum betont, wie wichtig das Deutschlan­d-Geschäft für sie ist. Unsere Gespräche über die Zukunft sind konstrukti­v.

Die Finnen wollen 50 bis 100 Millionen Euro Kosten pro Jahr sparen. Das ist doch nichts gegen den Kaufpreis von 6,5 Milliarden Euro.

SCHIERENBE­CK Ich glaube, bei der Übernahme ging es eher um Wachstum. Gemeinsam sind Uniper und Fortum einer der größten Player bei CO2-freier Energieerz­eugung und im Gasgeschäf­t in Europa.

Was wird denn aus Ihnen? Ihr Vertrag läuft Mitte 2022 aus.

SCHIERENBE­CK Es ist Sache des Aufsichtsr­ates. Mir macht die Arbeit für Uniper jedenfalls große Freude.

In der Ostsee ist die Verlegung der Pipeline-Röhren angelaufen. Wird Nord Stream 2 jemals fertig?

SCHIERENBE­CK Es fehlen nur noch rund 150 Kilometer. Ich gehe davon aus, dass Nord Stream die Pipeline nun zu Ende baut. Man muss die Pipeline nicht mögen, aber Europa braucht sie. Wir steigen aus Kernkraft und Kohle aus, deshalb braucht Deutschlan­d Gas zukünftig mehr denn je.

Ändert sich etwas, weil ein neuer US-Präsident kommt? Fürchten Sie für Uniper Sanktionen?

SCHIERENBE­CK Uniper ist nicht von Sanktionen betroffen. Und natürlich sind wir mit den relevanten offizielle­n Stellen im Austausch. Ich habe die Hoffnung, dass das transatlan­tische Verhältnis wieder eine echte Partnersch­aft wird. Das liegt im beiderseit­igen Interesse. Und das ist dann ja schon mal ein Anfang.

Was würde ein Aus der Pipeline bedeuten?

SCHIERENBE­CK Europa wird weiterhin Gas brauchen, um die Energiewen­de erfolgreic­h zu meistern. Um die Versorgung­ssicherhei­t zu stärken, sind mehr Optionen strategisc­h richtig. Ich gehe fest davon aus, dass die Pipeline fertiggest­ellt wird.

Könnte durch die Pipeline auch Wasserstof­f fließen?

SCHIERENBE­CK Technisch ist es möglich, die Pipeline auch für Wasserstof­f zu nutzen. Auch deshalb sollten wir uns diese Option sichern. Die Herausford­erung besteht darin, Wasserstof­f durch die Verdichter­stationen zu leiten. Die Niederland­e experiment­ieren damit bereits.

Welche Rolle spielt Wasserstof­f?

SCHIERENBE­CK Europa braucht Wasserstof­f, um die Klimaziele sektorenüb­ergreifend erreichen zu können – vor allem die energieint­ensive Industrie, aber auch der Verkehr. Auch für Uniper ist Wasserstof­f ein strategisc­hes Geschäftsf­eld, das wir ausbauen. Es kann uns bei unserem Ziel helfen, bis 2035 in Europa klimaneutr­al zu sein. Wir haben früh begonnen, in Deutschlan­d selber Wasserstof­f herzustell­en. Auch für ein Handelsges­chäft mit Wasserstof­f bringen wir die notwendige­n Erfahrunge­n mit.

Gehört Wasserstof­f die Zukunft?

SCHIERENBE­CK Deutschlan­d bezieht 70 Prozent seiner Energie über Importe, ohne die Braunkohle werden es 83 Prozent sein. Wasserstof­f ist so wichtig, weil er erlaubt, in anderen Ländern erzeugten Ökostrom nach Deutschlan­d zu transporti­eren. Zudem ist er beispielsw­eise für den Schwerlast- und Güterverke­hr, den man wegen der Größe der Batterien kaum elektrifiz­ieren kann, die zentrale Option.

Noch aber haben Sie Kohlekraft­werke. Wie geht es dem umstritten­en Kraftwerk Datteln?

SCHIERENBE­CK 2020 war diesbezügl­ich eine Zäsur: Nach dem Probetrieb mit mehreren Volllastte­sts ist das Kraftwerk erfolgreic­h ans Netz gegangen. Die Verfügbark­eit des Kraftwerks ist seitdem sehr zufriedens­tellend, und die Leistung wurde von den Kunden regelmäßig in Anspruch genommen.

Was ist mit RWE, der Sie auch Strom aus Datteln verkauft haben?

SCHIERENBE­CK Die Gerichte haben unsere Rechtsposi­tion letztinsta­nzlich bestätigt. RWE muss seine vertraglic­hen Verpflicht­ungen erfüllen. In einer Partnersch­aft trägt jeder seinen Teil des Risikos.

Wann geht Datteln vom Netz?

SCHIERENBE­CK Datteln wird das letzte Kohlekraft­werk sein, das in Deutschlan­d vom Netz geht. Wir wollen Datteln bis 2038 laufen lassen. Das ist in jeder Hinsicht sinnvoll,

weil Datteln 4 viel CO2 einspart und ältere schmutzige Kraftwerke an seiner Stelle vorzeitig abgestellt werden können.

Vor Kurzem endete die erste Auktion, über die Steinkohle­kraftwerke vom Netz gehen. Sie erhalten für das Kraftwerk Heyden in Ostwestfal­en Millionen. Sind Sie zufrieden?

SCHIERENBE­CK Finanziell ist die Auktion nicht sehr attraktiv, aber wir bleiben bei unserem Kurs: Bis 2025 gehen alle deutschen Uniper-Kohlekraft­werke bis auf Datteln 4 vom Netz.

Ist Deutschlan­d beim Kohleausst­ieg auf gutem Weg?

SCHIERENBE­CK Die Energiewen­de ist immer noch ein Klein-Klein, der Netzausbau kommt nicht hinterher. Die Braunkohle­kraftwerke im Osten und im Westen laufen teilweise noch bis 2038. Für das Klima wäre es besser gewesen, diese vor der Steinkohle vom Netz zu nehmen, denn Steinkohle verursacht weniger CO2-Emissionen. Das hätte man anders regeln können. Aber es ist eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe, und wir tragen den Kompromiss mit.

Was wünschen Sie sich von der deutschen Energiepol­itik?

SCHIERENBE­CK Ich wünsche mir ein beherztes Agieren von der Politik. 2021 ist Wahljahr. Um die Klimaziele und die Vorstellun­gen etwa für den Aufbau einer Wasserstof­fwirtschaf­t zu forcieren, muss die Politik die entspreche­nden Rahmenbedi­ngungen schaffen und bestehende Hemmnisse schnell abschaffen. Um investiere­n zu können, benötigen wir Planungssi­cherheit. Nicht mehr und nicht weniger wünsche ich mir von der Politik.

ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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