Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Stephan Muckel: „Erkelenz soll Wissenschaftsstandort werden“
Der Erkelenzer Bürgermeister über seine Ziele, erste schwierige Entscheidungen und neue Bauprojekte in der Innenstadt.
ERKELENZ Seit knapp acht Wochen ist Stephan Muckel (CDU) Bürgermeister von Erkelenz – im kommenden Jahr will der 40-Jährige der Stadt seinen Stempel aufdrücken. Im Interview erklärt er, was er 2021 vorhat.
Herr Muckel, bei Ihrer ersten Stadtratssitzung im November schienen Sie noch etwas überwältigt gewesen zu sein. Haben Sie sich mittlerweile eingelebt?
MUCKEL In der ersten Ratssitzung war ich sowas von tierisch nervös, als wäre das meine erste Sitzung überhaupt gewesen (lacht). Das konnte ich, glaube ich, auch nicht überspielen. Ich habe die Mitteilungen vergessen, die kamen dann zwei Tagesordnungspunkte später. Ich habe schon viele Sitzungen mitgemacht, aber selbst Bürgermeister zu sein, vereidigt zu werden und die Amtskette zu bekommen, das war sehr emotional.
Was hat Ihre ersten Wochen bestimmt?
MUCKEL Das Thema Braunkohle und unsere Stellungnahme zum Entwurf der Leitentscheidung hat die ersten Wochen geprägt. Die Sitzung in unserem neuen Ausschuss war mit über drei Stunden eine denkwürdige. Ich denke, wir haben einen guten Kompromiss gefunden. Unsere Position bleibt klar: Der Tagebau so klein wie möglich, der Abstand so groß wie möglich und der Kohleausstieg so früh wie möglich. Gut finde ich auch, dass in der Politik mittlerweile weitestgehend Konsens ist, die Umsiedlung abzuschließen. Das heißt nicht, dass wir voreilig die Fläche der Dörfer dem Tagebau preisgeben wollen, aber sozialverträglich sein heißt auch, eine Umsiedlung abzuschließen. Wenn die Fläche der Dörfer aus irgendwelchen Gründen verschont wird, müssen wir eine gemeinsame Entscheidung treffen, was mit den Flächen und den zurückbleibenden Menschen passiert.
Blicken wir nach vorne. Wie soll sich die Stadt im neuen Jahr entwickeln?
MUCKEL Jetzt gerät auch der Tagebaurand in den Fokus, Dörfer wie Holzweiler, die verschont werden. Dort wird mit dem Umbau der Alten Schule sichtbar etwas passieren. Auch
Gerderath hat sich gut entwickelt. Durch die Umsiedlungen fokussiert sich viel auf den Stadtkern, das sehe ich als große Chance für die Nah-Mobilität. Jetzt müssen wir es schaffen, die Taktung des Erka-Busses zu verbessern und mehr Leute zum Radoder Busfahren zu bewegen.
Welche Projekte werden wichtig?
MUCKEL Wir werden mit dem InHK 2030 (Anm. d. Red.: Integriertes Handlungskonzept für die Innenstadt) und der Umgestaltung des Franziskanerplatzes starten, am Umsiedlungsstandort im Norden die soziale Infrastruktur weiter ausbauen, im Oerather Mühlenfeld entsteht ein Kindergarten und ein Quartierszentrum. Es wird sich auch im Osten etwas tun, wir wollen Wissenschaftsstandort werden und befinden uns in guten Gesprächen.
Wie sehen Sie die Chancen dazu?
MUCKEL Ein Vorwurf der Tagebauanrainer
an die Regierung war immer: Gebt nicht das ganze Geld an die Hochschulstandorte, sondern denkt auch an den Tagebaurand. Unser Ziel ist, Erkelenz zum Wissenschaftsstandort zu machen. Wir sind ein alter Maschinenbaustandort, haben ein paar große Firmen mit Hegenscheidt und MH Wirth und viele kleine im Gewerbepark Gipco, haben ein großes, gutes Krankenhaus und bei uns gibt es Landund Ernährungswirtschaft. Das sind gute Anknüpfungspunkte, um eine Dependance oder eine neue Forschungseinrichtung nach Erkelenz zu holen. Studenten, Wohnheime, ein Coworking-Space, ein Gründerzentrum in die Region zu bekommen, das würde der Stadt guttun. Der Standort zwischen Rheinschiene und Aachen liegt gut, durch unsere Partner im Zukunftsverband Rheinisches Revier erhalten wir gute Signale. Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen.
Sind Sie in den ersten Wochen schon vor eine Wand gelaufen? Was war bislang Ihr größtes Problem?
MUCKEL Wenn ich vor einer Wand stehe, versuche ich die Tür zu finden. Aber natürlich gibt es Diskussionen und schwere Entscheidungen, die man vorbereiten muss. Zum Beispiel bei den Eltern am Cusanus-Gymnasium, die Acrylglaswände und Luftfilter für die Schulklassen haben wollten (Anm. d. Red.: Auf Empfehlung der Verwaltung lehnte der zuständige Ausschuss ab). Das hat mich nicht losgelassen, die Empfehlung, das nicht zu machen, spricht man nicht mal eben so aus. Ich habe viele, viele Gespräche geführt und bin letztlich zu dieser Meinung gekommen. Da hoffe ich, dass Eltern unsere Position nachvollziehen können und nicht sagen, dass uns Kinder nichts wert sind, wie ich es auf Facebook gelesen habe. Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf. Wenn man sich unseren Haushalt anguckt, geben wir sehr bewusst und gerne viel Geld für Kinder und Jugendliche aus. Wenn Luftfilter der Königsweg gegen das Coronavirus gewesen wären, wäre es am Geld nicht gescheitert.
Trotz Corona-Krise wird die Stadt im neuen Jahr 28 Millionen Euro investieren, deutlich mehr als in den Vorjahren. Wie kommt es dazu?
MUCKEL Wir können es uns durch das gute Wirtschaften in den vergangenen Jahren leisten. Das sind sinnvolle Investitionen, die auch an vielen Stellen durch private Dritte ergänzt werden und auch Folgeinvestitionen auslösen sollen. Wir investieren in die Erkelenzer Innenstadt, sehen parallel dazu auch, wie viele Baukräne sich in der Stadt im privaten Bereich drehen. Das ist ein Zeichen, dass unsere Investition angenommen wird. Beim alten Kaisers ist etwas in Bewegung, dass dort etwas Neues entstehen soll, ist ganz in unserem Sinne. Dort wird etwas passieren,
mit dem Ziel, im Erdgeschoss Einzelhandel zu etablieren und darüber Wohnungen zu schaffen. Uns liegt eine Bauvoranfrage vor. Auch am alten Amtsgericht wird man im nächsten Jahr eine deutliche Veränderung sehen, auch da wird ein Investor bauen. Am Markt gibt es einige Leerstände, da habe ich mit den Eigentümern schon Gespräche terminiert.
In der Innenstadt soll sich viel tun. Momentan geht es aber vielen Unternehmern schlecht. Gibt es bald in Erkelenz zwar gute Infrastruktur, aber nur noch wenig Einzelhandel?
MUCKEL Die Gefahr ist natürlich da, keine Frage. Wir haben uns vor zwei Wochen mit dem Gewerbering und dem Dehoga getroffen, es ging genau um dieses Thema. Dort entstand die Idee, die Unternehmer finanziell beim Ausbau ihrer Online-Präsenz mit Digitalisierungsgutscheinen zu unterstützen. Man muss ja nicht immer bei Amazon kaufen, sondern kann auch den lokalen Einzelhandel digital unterstützen. Wir hoffen auf ein Frühlingserwachen, wollen die Innenstadt wieder zum Leben erwecken und hoffen, dass dann noch möglichst viele Unternehmer da sind. Wir tun als Stadt, was wir können, haben etwa Sondernutzungsgebühren für die Außengastronomie erlassen und beraten bei der Corona-Soforthilfe. Wir alle hoffen, dass die Innenstadt wieder blüht, wenn der Impfstoff da ist und die Beschränkungen nachlassen.