Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Auch SPD fordert Stopp am Tagebaurand
Wegen des vom Wirtschaftsministerium zurückgehaltenen Gutachtens und großer Differenzen zur Braunkohle Leitentscheidung werden die Rufe nach einem Moratorium lauter. RWE will am Tagebaurand weiter arbeiten.
ERKELENZ Im Streit um die Zukunft des Braunkohlegebiets Garzweiler II hat nun auch die Erkelenzer SPD-Fraktion einen vorübergehenden Stopp aller umsiedlungsrelevanten Prozesse am Tagebau gefordert. Hintergrund sind zum einen, dass eine endgültige neue Leitentscheidung weiterhin auf sich warten lässt und zum anderen die Debatte um ein vom Bundeswirtschaftsministerium ein Jahr lang unter Verschluss gehaltenes Gutachten, nach dem die bedrohten Dörfer am Grubenrand womöglich doch hätten gerettet werden können. „Bis zur abschließenden Entscheidung über eine konsensfähige und wahrhaftige Leitentscheidung muss der Tagebau vor Erkelenz und seinen Umsiedlungsdörfern stillstehen“, fordert SPD-Fraktionschefin Katharina Gläsmann.
In den vergangenen Monaten war auch Tagebaubetreiber RWE massiv in die Kritik geraten, weil der Konzern ungeachtet der unklaren Situation vor allem rund um das Randdorf Lützerath Bäume abgeholzt hatte, unter anderem eine Allee an der rückgebauten Landstraße 277. Auch die Erkelenzer Grünen-Fraktion hatte deswegen ein Moratorium, ein vorübergehendes Ruhen der Arbeiten, gefordert – dies untermauerte die grüne Landesfraktion vor den Weihnachtstagen.
In der Debatte um die neue Leitentscheidung, zu der die Stadt Erkelenz vor Weihnachten ihre Stellungnahme abgab, gibt es zwischen Landesregierung und den betroffenen Kommunen große Meinungsverschiedenheiten, insbesondere was den Abstand zwischen Tagebaurand und Randdörfern betrifft. Erkelenz fordert 1500 Meter, das Land will 400 Meter.
Vielen Kritikern, auch der SPD, fehlt zudem der Beleg, dass die Inanspruchnahme der bedrohten Dörfer Keyenberg, Kuckum, Oberund Unterwestrich sowie Berverath energiepolitisch notwendig ist. Diese Dörfer befinden sich bereits mitten im Umsiedlungsprozess, genau wie die bereits so gut wie vollständig umgesiedelten Lützerath und Immerath.
Umso brisanter ist in diesem Zusammenhang das zurückgehaltene Gutachten. Die Gutachter der Arbeitsgemeinschaft BET Aachen und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young kommen zu dem Ergebnis, dass nach den Vorgaben der Kohlekommission für den Kohleausstieg die Umsiedlung und Inanspruchnahme der Dörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich und Beverath nicht erforderlich ist. Der grüne Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer hatte von einer „bewussten Desinformation des Parlaments und der Öffentlichkeit“gesprochen. Der Erkelenzer Bürgermeister Stephan Muckel hatte eine schnelle Aufklärung gefordert, ob das Gutachten tatsächlich absichtlich zurückgehalten worden sei: „Aber allein der Verdacht ist unglaublich, so etwas untergräbt Vertrauen und das bei einem so sensiblen Thema, bei dem ein gesellschaftlicher Konsens erreicht werden sollte.“Zahlreiche Politiker haben unter anderem NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zu einer Stellungnahme aufgefordert.
Für den Erkelenzer SPD-Fraktionsvize Dieter Spalink sind die Grundannahmen der Kohlekommission, die im vergangenen Frühjahr den Kohleausstieg 2038 bzw. 2035 beschlossen hatte, „bis ins Mark erschüttert“. Katharina Gläsmann meint: „Im Zweifel muss die Kohlekommission der Bundesregierung noch einmal einberufen werden.“Für Katharina Gläsmann steht fest: „Bis Klarheit herrscht, darf RWE nicht einfach weiter Fakten schaffen.“
Der Konzern hingegen hat bereits angekündigt, die Rodungs- und Umsiedlungsarbeiten fortsetzen zu wollen und beruft sich auf den von der Politik beschlossenen Fahrplan. „RWE wird sich an den gesetzlich verankerten Stilllegungspfad halten“, sagte eine Sprecherin. Kohlegegner, vor allem das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“, hatten dem Konzern bereits in den vergangenen Wochen vorgeworfen, im Schatten der Corona-Krise Tatsachen zu schaffen. Im Herbst hatte es unter massiver Polizeipräsenz immer wieder Mahnwachen, Proteste und Blockaden von Demonstranten gegeben.
„Bis Klarheit herrscht, darf RWE nicht Fakten schaffen“Katharina Gläsmann
SPD-Fraktionschefin