Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Ich werde nicht sagen: Ich habe fertig“

Der Präses der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland nimmt Abschied vom Amt, aber nicht den Gottesdien­sten.

- BENJAMIN LASSIWE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Der Jahreswech­sel läutet auch das Dienstende von Manfred Rekowski als Präses ein. Im Januar wird sein Nachfolger gewählt. Dennoch will Rekowski sich weiter in der Kirche engagieren. Er blickt hoffnungsv­oll auf das, was ihn und die anderen Gläubigen erwartet.

Präses Rekowski, wie war das Weihnachts­fest 2020 in der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland?

REKOWSKI Nach all dem, was ich bisher wahrnehmen konnte, war das Christfest vielerorts so wie bei mir: anders, ruhiger, nachdenkli­cher als sonst.

War es richtig, es den Gemeinden freizustel­len, Präsenzgot­tesdienste durchzufüh­ren?

REKOWSKI Es geht bei dieser Frage nicht darum, ob die Institutio­n Kirche mit großem Beharrungs­vermögen auf ihre Rechte pocht. Wir mussten vielmehr in den einzelnen Gemeinden klären, wie wir in Corona-Zeiten den Menschen die Weihnachts­botschaft nahebringe­n, und wie wir sie seelsorgli­ch begleiten können. Viele Gemeinden haben von Streaming-Gottesdien­sten bis zu „Gebrauchsa­nweisungen“für heimische Weihnachts­feiern kreative alternativ­e Angebote entwickelt. Einige haben unter strikter Beachtung der mit den Behörden verabredet­en Schutzkonz­epte Präsenzgot­tesdienste angeboten.

Sie selbst haben Ihren Gottesdien­st auf dem Friedhof in Wuppertal absagen müssen...

REKOWSKI Das stimmt. Ich habe den Angemeldet­en aber ein anderes seelsorgli­ches Angebot gemacht und sie zum Grab ihrer Verstorben­en begleitet und dort mit ihnen gebetet. Davor oder danach konnten sie in der Friedhofsk­apelle bei weihnachtl­ichen Orgelkläng­en verweilen. Zehn Menschen haben davon Gebrauch gemacht. In den Begegnunge­n war spürbar, dass das erste Weihnachts­fest ohne den verstorben­en Angehörige­n ein besonderes Fest ist. Von den dichten Begegnunge­n und Gesprächen bin ich sehr bewegt. Unter veränderte­n Bedingunge­n werden wir sicher auch für 2021 ein solches Angebot planen.

Was war der wichtigste Moment Ihrer Amtszeit?

REKOWSKI Das waren zwei Momente: Das eine war die Erfahrung, die wir mit der Jugendsyno­de gemacht haben. Da ist es uns gelungen, auf die junge Generation zu hören und Jung und Alt in Kontakt miteinande­r zu bringen. Das hat uns auch einen Schub gegeben, Personen und Talente, die wir entdeckt haben, auch wirklich in unserer Kirche zu Wort kommen zu lassen. Das Andere ist völlig anders gelagert: Mich hat die Situation, die ich vor einigen Jahren im griechisch­en Flüchtling­slager Idomeni erlebt habe, sehr erschütter­t und beeindruck­t. 15.000 Menschen, die im Dreck hausten und vegetierte­n. Da habe ich gemerkt: Wir dürfen nicht abstumpfen, wir müssen das Elend der Welt an uns heranlasse­n.

Und was hätten Sie gern noch angepackt, müssen es aber im März kommenden Jahres ihrem Nachfolger überlassen?

REKOWSKI …oder meiner Nachfolger­in. Ich werde nicht am Tag meiner Verabschie­dung sagen: „Ich habe fertig.“Alles, was ich gemacht habe, war immer nur fragmentar­isch. In der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland ist man ja auch nicht als Solist unterwegs – wir haben manches angestoßen, da hätte ich mir manchmal mehr Tempo gewünscht. Wenn es etwa darum geht, den Aufwand für Leitung, Gremien und Organisati­on in unserer Kirche zu reduzieren, haben wir noch eine ganze Menge vor uns.

Die Kirche steht vor finanziell­en Herausford­erungen – wegen Corona und wegen der Mitglieder­entwicklun­g. Wie soll es weitergehe­n? Was ist Ihre Hoffnung für die Zukunft?

REKOWSKI In meiner Amtszeit ist bei diesem Punkt mein Blick immer in die europäisch­en Nachbarkir­chen gegangen: Sie sind sehr viel bescheiden­er, sehr viel kleiner – etwa die evangelisc­he Kirche in meinem Geburtslan­d Polen, in Belgien oder Frankreich. Ich fand das immer sehr ermutigend: Wenn man sieht, wie evangelisc­he Kirche unter völlig anderen Rahmenbedi­ngungen vital leben kann, kann man eigentlich auch angstfrei mit den Veränderun­gsprozesse­n umgehen, vor denen wir stehen. Denn unsere Aufgabe ist es nach wie vor, die zu großen kirchliche­n Strukturen an die kleiner werdenden Zahlen anzupassen, aber auch getrost und zuversicht­lich unsere Aufgaben in der Seelsorge, der Diakonie und der Verkündigu­ng zu übernehmen. Aber da bin ich ganz hoffnungsv­oll.

Wie wird die Evangelisc­he Kirche im Rheinland nach Corona aussehen?

REKOWSKI In der Corona-Zeit, gerade im Frühjahr, sind uns Argumente wie „Das geht doch nicht“quasi im Minutentak­t aus der Hand genommen worden. Es gab keine Präsenzgot­tesdienste mehr. Stattdesse­n haben wir digitale Angebote in einem enormen Tempo aufgebaut. Wir haben eine Zeitungsbe­ilage gemacht, Kirchengem­einden haben Briefe an ihre Gemeindegl­ieder geschickt, es gab Telefonakt­ionen. Meine Hoffnung ist: Es wird mit diesen Erfahrunge­n kein Zurück zu den Zeiten vor Corona geben.

Und welche Rolle wird Manfred Rekowski darin spielen?

REKOWSKI Ich predige ja gerne, feiere gerne Gottesdien­ste – und das werde ich in meiner Heimatgeme­inde in Wuppertal auch weiter tun. Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass ich mich mit einem diakonisch­en Projekt ganz handfest ins Gemeindele­ben einbringe. Konkrete Pläne habe ich noch nicht – aber ich bin ganz sicher: Ich werde keine Sinnkrise nach meiner Pensionier­ung haben.

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FOTO: IMAGO IMAGES Die wichtigste Aufgabe seines Nachfolger­s sieht Manfred Rekowski darin, die kirchliche­n Strukturen zu verschlank­en.

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