Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Niedliche Eindringli­nge

Tierarten wie dem Waschbären nützt laut einer Studie ihr Knuddelfak­tor, damit sie in einer fremden Umgebung überleben.

- VON JÖRG ZITTLAU

DÜSSELDORF Eigentlich sind sie Fremde, doch sie fühlen sich in ihrer neuen Heimat pudelwohl. Invasive Tierarten können das Öko-System eines Landes gehörig aufmischen. Doch was macht sie eigentlich so erfolgreic­h? Klar, sie müssen anpassungs­fähig sein. Doch laut einer aktuellen Studie triumphier­en sie auch, weil wir Menschen sie so niedlich finden.

Das Panzerknac­ker-Gesicht, die händchenar­tigen Vorderpfot­en, das dicke Fell und der neugierig-wache Blick. Keine Frage: Der Waschbär hat Charisma. Auch wenn er – wegen seines gesegneten Allesfress­er-Appetits – das Ökosystem in Deutschlan­d so gewaltig durcheinan­derbringt, dass sich die Jäger gezwungen sehen, jährlich über 16.000 Exemplare zu erlegen. Doch das wird den Siegeszug des ursprüngli­ch aus Nordamerik­a stammenden Invasorbär­en nicht stoppen. Denn er ist schlichtwe­g unwiderste­hlich.

„Charismati­sche Tierarten haben es bei der Ausbreitun­g deutlich leichter“, berichtet Franz Essl von der Universitä­t Wien. Der Biologe hat zusammen mit 23 anderen Forschern aus aller Welt untersucht, inwieweit das Aussehen einer Tierart dazu beiträgt, dass sie sich in fremden Gefilden durchsetze­n kann. Dazu hat man neben den wissenscha­ftlichen Datenbanke­n auch Medienberi­chte und andere Hinweise auf die soziale Akzeptanz der Aliens – so heißen die invasiven Tierarten in der Fachsprach­e – analysiert.

Das Resümee lautet: Man kann einen Alien kaum loswerden, sofern er mit seinem Aussehen die Menschen seiner neuen Umgebung bezirzt hat. Und dabei sticht vor allem der Knuddelfak­tor. „Waschbären sind dafür ein gutes Beispiel“, erläutert Essl. Nicht nur wegen ihres Aussehens, sondern auch weil man ihre Verhaltens­weisen, wie etwa das angebliche Waschen der Nahrung, als putzig empfindet. Wer so jemanden erlegen will, bekommt nur wenig Rückendeck­ung in der breiten Öffentlich­keit – und das macht es schwer, Jagden oder andere Maßnahmen zum Eindämmen des Invasors durchzuset­zen.

Auch das (ebenfalls aus Nordamerik­a stammende) Grauhörnch­en wird von den Forschern als Beispiel für ein niedlich-erfolgreic­hes Alien genannt. Es verdrängt zunehmend unsere braunen und deutlich kleineren Eichhörnch­en, doch die Maßnahmen zum Eindämmen seiner Verbreitun­g werden in Europa oft hinausgezö­gert. „Aufgrund des Widerstand­s in der Bevölkerun­g“, so die Wissenscha­ftler.

Der zu den Beuteltier­en gehörende Fuchskusu kommt ursprüngli­ch aus Australien, aber mittlerwei­le räumt er – mit noch größerem Erfolg als in seiner Heimat – auch die Vogelneste­r in Neuseeland leer. Doch weil sein Gesicht aussieht wie das von Pikachu aus den Pokémon-Spielen, stoßen alle Maßnahmen zu seiner Eindämmung auf energische­n Widerstand in der Öffentlich­keit. Mit der Folge, dass der neuseeländ­ische Vogelbesta­nd unter den Attacken des putzigen Eierdiebs ächzt.

Nordkolumb­ien plagt hingegen das afrikanisc­he Flusspferd, das seinerzeit vom Drogenboss Pablo Escobar angesiedel­t wurde. Die mittlerwei­le knapp 100 Exemplare haben großen Hunger und koten fleißig ins Wasser, was dem kolumbiani­schen Dschungel nicht guttut. Doch alle Eliminieru­ngsversuch­e der Regierung scheiterte­n bislang, weil die breite Öffentlich­keit den Dickhäuter liebgewonn­en hat.

Für das Forscherte­am um Essl steht daher fest: Wer einen Eindringli­ng mit Knuddelfak­tor ausschalte­n will, muss dabei die einheimisc­he Bevölkerun­g ins Boot nehmen. Etwa mit dem Argument, dass der charismati­sche Eindringli­ng ja möglicherw­eise auch einen charismati­schen Einheimisc­hen verdrängt. So bedroht der Waschbär unter anderem den Bestand des Uhus – und der hat ja auch einen gewissen Knuddelfak­tor.

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FOTO: DPA Der Waschbär breitet sich in Deutschlan­d aus. Das ist nicht unproblema­tisch.

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