Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
2021 besiegen wir Corona
Neue Impfstoffe machen Hoffnung, ältere Menschen werden besser geschützt, die Wirtschaft erholt sich: Es gibt keinen Grund, allzu pessimistisch ins neue Jahr zu schauen. Gefragt sind Zuversicht und Solidarität.
Den Satz „Wir schaffen das“verwendet Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerst ungern. Er prägte die Flüchtlingsdebatte und schuf Potenzial für den Aufstieg der ausländerfeindlichen AfD. Dabei hat Deutschland besser als viele anderen Länder den Zuzug von mehr als einer Million Flüchtlingen seit 2015 verkraftet. Viele gerade der jüngeren Menschen fanden einen Job oder eine Ausbildung.
In der Corona-Pandemie wäre der Satz ebenfalls angebracht. Wir befinden uns zwar mitten in einem scharfen und psychologisch eher belastenden Lockdown, aber die Aussichten auf das kommende Jahr und die Zeit danach haben sich deutlich aufgehellt. Dazu trägt vor allem die am Sonntag gestartete Impfkampagne bei. Nach den Zahlen des Robert-Koch-Instituts waren am Mittwochmorgen bereits knapp 80.000 Menschen im ersten Durchgang geimpft. 1,3 Millionen Dosen sollten bis Jahresende bereitstehen und regional verteilt sein.
Und die Erfolgsstory geht weiter. Der Hersteller Biontech/Pfizer wird im Februar in einem Werk in Marburg, das er vom Schweizer Pharmakonzern Novartis erworben hat, mit 300 Mitarbeitern bereits im ersten Halbjahr 250 Millionen Impfdosen produzieren, im ganzen Jahr werden es 750 Millionen sein. Allein damit könnten rund 80 Prozent aller EU-Bürger versorgt werden. Insgesamt wollen die beiden Kooperationspartner 1,3 Milliarden Portionen liefern. Kommen dann noch die weiteren Impfstoff-Aspiranten wie Moderna, Astrazeneca und Curevac hinzu, wird jeder und jede in der EU ein Impfangebot im nächsten Jahr erhalten – voraussichtlich noch vor Herbst.
Schon jetzt verringert jeder Geimpfte die Ausbreitungsgeschwindigkeit des gefährlichen Virus. Es bestehen gute Chancen, dass zumindest die Risikogruppen mit „sehr hoher Priorität“noch im Winter ihre Spritzen erhalten. Die Sterblichkeit würde deutlich zurückgehen. Denn zwei Drittel der bisherigen Corona-Toten sind 80 Jahre und älter. Die Krankheit Covid-19 wird deshalb schon im Frühjahr ihren Schrecken verlieren, da dann überwiegend Menschen angesteckt werden, die beste Chancen auf völlige und rasche Genesung haben. Die Rücksichtnahme auf die ältere und verwundbare Bevölkerung hätte sich ausgezahlt und wird als großer Akt der Solidarität in dieser Pandemie dastehen.
Zudem wird es in der ärztlichen Behandlung der Krankheit im kommenden Jahr Fortschritte geben. „Auch dies führt dazu, dass Sterberaten zurückgehen. Die Effizienz der Behandlung steigt“, meint die Ärztin und Epidemiologin Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Allein am Uniklinikum Köln laufen zehn Studien mit coronainfizierten Patienten. Der Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer zählt zu den international angesehensten Wissenschaftlern auf diesem Gebiet. Sein Kollege Henning Walczak, Direktor des Instituts für Biochemie in Köln, testet bereits mit mehreren Partnern ein Immuntherapeutikum an der Universität Wien in der klinischen Phase II, also der vorletzten Stufe. Die Zeit, bis das Medikament zugelassen wird, ist damit absehbar. Zudem arbeiten an vielen weiteren Universitäten und Forschungseinrichtungen in der Welt Mediziner, Biologen und Biochemiker an besseren Behandlungsmethoden.
Ähnlich ist es beim Thema Impfen, wo derzeit weltweit rund 320 Forschungsprojekte im Gange sind. Und auch die Verfügbarkeit gut funktionierender Schnelltests dürfte dramatisch zunehmen. „Sie könnten bald so normal werden wie das Zähneputzen“, prognostiziert Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Tatsächlich ist die Vision, dass sich Menschen vor einem Besuch bei kranken und älteren Verwandten kurz selbst testen, nicht mehr sehr weit entfernt. Noch sind solche Präparate in Apotheken nicht für jedermann erhältlich. Doch das dürfte sich bald ändern.
Sehr flexibel hat auch die Wirtschaft auf die neue Herausforderung reagiert. Hatten die Bundesregierung und die meisten Ökonomen noch im Frühjahr mit der schwersten Rezession nach dem Zweiten Weltkrieg gerechnet, weil international die Lieferketten zusammenbrachen, so scheint jetzt der Einbruch schwächer zu sein als in der Finanzkrise von 2008 und 2009. In seiner jüngsten Prognose geht das Ifo-Institut in München von einem Rückgang von 5,1 Prozent im abgelaufenen Jahr aus, dem trotz des aktuellen Lockdowns eine Erholung um 4,2 Prozent folgt. Spätestens Ende 2021 wird Deutschland wieder den Stand von 2019 erreicht haben; andere europäische Länder und die USA dürften später folgen.
Es bleiben freilich die Problemfälle. Die Schulen haben sich wegen der starren Lehrpläne und der verpassten Digitalisierung bislang nur unzureichend auf die Corona-Krise einstellen können. Noch immer sind innovative Konzepte wie geteilte Klassen oder Fernunterricht Mangelware. Weiter sind da die Universitäten, die sogar Prüfungen inzwischen fast problemlos abhalten können. Auch andere Institutionen der Bildung und Forschung haben sich auf die neuen Verhältnisse eingestellt und können sogar Rückschläge wegstecken.
Vergessen werden dürfen auch nicht die Kulturschaffenden, die mit den Gastwirten und den Reise- und Transportdienstleistern am meisten unter der Pandemie leiden. Sie hat der zweite Lockdown mit voller Wucht getroffen, nachdem sie im Sommer bereits Hoffnung geschöpft hatten. Hier können aber Fortschritte bei Impfungen helfen. Warum sollten sich Theaterhäuser oder Konzertveranstalter nicht Impfausweise zeigen lassen, um mehr Besucher zuzulassen? Auch dort könnte eine neue Dynamik entstehen.
Mitten im Lockdown mögen solche Aussichten ein bisschen wie Durchhalteparolen klingen. Das sind sie auch zum Teil. Doch es gibt dank der schnellen Entwicklung von Impfstoffen, Schnelltests und besseren Behandlungsmethoden sowie der flexiblen Anpassung der Wirtschaft echte Hoffnungszeichen. Und selbst wenn es eine dritte Welle geben sollte und die ansteckendere Variante sich womöglich schneller durchsetzt als bislang erwartet, wird das Jahr 2021 als Sieg über das Virus in die Geschichte eingehen. Dank des medizinischen und technischen Fortschritts und der großen Bereitschaft in der Bevölkerung, Solidarität zu zeigen, dürfte das Krisenmanagement dann größere Erfolge als 2020 vorweisen. Es besteht sogar die berechtigte Hoffnung, dass ab Mitte des Jahres wieder Normalität einkehren wird.
„Schnelltests könnten bald so normal werden wie Zähneputzen“Sebastian Kurz Österreichs Bundeskanzler