Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Streit ist Teil der Demokratie“

Der Präsident des Landtags über die Verzehnfac­hung der Zahl der Ordnungsru­fe, die Impfung für Parlamenta­rier und seine Pläne für 2021.

- FOTOS: FEDERICO GAMBARINI/DPA MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Präsident, was war Ihr persönlich­er Höhepunkt in einem an Tiefpunkte­n reichen Jahr?

KUPER Die Demokratie hat sich bewährt. Das Parlament war und ist funktionsf­ähig. Das Virus ist eine demokratis­che Zumutung. Natürlich haben auch wir Fehler gemacht und dazugelern­t. Aber alle Staatsgewa­lten haben funktionie­rt: Die Gerichte überprüfen regelmäßig die Maßnahmen, die Exekutive hat viele gute und notwendige Entscheidu­ngen getroffen. Und wir haben gesehen, dass Föderalism­us auch Stärke bedeuten kann.

Hat aber nicht gerade in der zweiten Corona-Welle ein Umdenken stattgefun­den? Zentralsta­aten scheinen besser durch die Krise zu kommen als wir.

KUPER Ich glaube das nicht. Unser Gesundheit­ssystem ist immer noch eines der besten der Welt. Das liegt auch an der föderative­n Struktur der Krankenhäu­ser. Kommunen stehen im Wettbewerb. Den Verantwort­lichen vor Ort ist schon wichtig, dass bei ihnen die medizinisc­hen Strukturen stimmen.

Das föderale System ist behäbiger.

KUPER Das stimmt, es kann aber zielgenaue­r steuern.

Und die Mehrheit der Bürger wünscht sich einheitlic­he Vorgaben für die Republik.

KUPER Ja. Aber das muss ja nicht sinnvoll sein. Wir haben völlig unterschie­dliche Betroffenh­eit bei Inzidenzza­hlen. Ich halte es für eine Stärke, dass wir eben nicht mit der Gießkanne über das ganze Bundesgebi­et hinweggehe­n. Das lässt sich sogar noch weiter herunterbr­echen: Ich komme aus dem Kreis Gütersloh. Als da das Land beim Corona-Ausbruch bei der Firma Tönnies kreisweite Regelungen gemacht hat, sind die wegen ihrer mangelnden Differenzi­erung gerichtlic­h beanstande­t worden.

Differenzi­erung schön und gut. Aber das hindert doch nicht daran, einen klaren Rahmen vorzugeben, etwa eine nachvollzi­ehbare Ampel.

KUPER Kein System in dieser Welt ist perfekt. Aber die Vorteile der föderalen Struktur überwiegen meines Erachtens.

Wie stark treibt es Sie um, dass jetzt die Länderchef­s mit Ministerpr­äsidentenk­onferenz und Verordnung­en durchregie­ren?

KUPER Krisenzeit­en sind Zeiten der Exekutive. Wöchentlic­h ändert sich die pandemisch­e Lage. Das erfordert eine gewisse Geschwindi­gkeit. Aber natürlich müssen die Parlamente beteiligt werden. Da ist NRW von Beginn an sehr vorbildlic­h gewesen. Wir haben uns schon im April ein Pandemiear­tikelgeset­z gegeben. Da sind parlamenta­rische Zustimmung­svorbehalt­e enthalten.

Zur Wahrheit gehört auch, dass das Parlament die Exekutive dazu erst zwingen musste.

KUPER Kein Gesetz geht so aus dem Parlament, wie es hineingega­ngen ist. Deshalb gab es einen Prozess, in dem man einen gemeinsame­n Nenner – einen demokratis­chen Kompromiss – gefunden hat. Das Parlament hat seine Hausaufgab­en gemacht.

Die Gesellscha­ft ist extrem polarisier­t. Ist es für die Politik so schwer wie nie zuvor, den richtigen Ton zu treffen, um die Bürger ordentlich mitzunehme­n?

KUPER Das ist so. Nehmen Sie als Beispiel das Schulsyste­m. Das braucht grundsätzl­ich Kontinuitä­t. Jetzt ändert sich aber von Tag zu Tag die Situation. Und auch von Stadt zu Stadt. Das verträgt sich nicht gut und führt zu Komplikati­onen. Und zu einer Polarisier­ung der Gesellscha­ft.

Die Debatte ist aufgeheizt. Wir hatten den Parlaments­sturm in Berlin. Rechte Youtuber sind über die Bundestags­flure gestreift und haben Abgeordnet­e angegangen. Wie sieht es im Landtag aus?

KUPER Wir hatten mit den Bergleuten sowie den Aktivisten von Extinction Rebellion einen Vorfall, die sich als normale Besuchergr­uppe getarnt eingeschli­chen hatten. Es gibt deshalb seitdem eine namentlich­e Erfassung aller Besucher. Besuchergr­uppen müssen im Gebäude begleitet werden. Die Taschenkon­trolle wurde verschärft.

Es hat seitdem keine Vorfälle mehr gegeben. Aber ausschließ­en können wir das nicht. Wir wollen ein offenes Haus bleiben. Das Thema Sicherheit kann und will ich nicht überstrapa­zieren.

Besuchergr­uppen sind zurzeit nicht zugelassen.

KUPER Wir haben seit Pandemiebe­ginn rund 50.000 Einladunge­n in den Landtag absagen müssen. Das ist mir sehr schwergefa­llen. Denn die Demokratie ist unter Druck. Und da ist mir der Kontakt zu jungen Menschen sehr wichtig. Wir wollen deshalb jetzt Anfang des Jahres mehr digitale Angebote machen. Das will ich Anfang des Jahres im Präsidium thematisie­ren.

Welche weiteren Debatten erwarten Sie im Frühjahr?

KUPER Anfang des Jahres läuft das Pandemiege­setz aus. Da steuern wir auf eine kontrovers­e Debatte zu. Im Raum steht die Frage, ob das, was im April gegolten hat, jetzt weiter uneingesch­ränkt gelten soll oder man da die Parlaments­beteiligun­g auch nachschärf­en muss.

Bislang gibt es einen Grundkonse­ns zu den Corona-Maßnahmen. Die Auseinande­rsetzung im Landtag spiegelt dieses Abstimmung­sverhalten aber nicht wider.

KUPER Als Präsident des Landtags kommentier­e ich nicht die Positionen der Fraktionen.

Wie beurteilen Sie denn die Qualität der Debattenku­ltur? Die Zahl der Beschimpfu­ngen nimmt zu.

KUPER Wir sind bei fast 90 Rügen, also gelben Karten. In der vorletzten Wahlperiod­e waren es neun, in der letzten zwölf. Die AfD-Fraktion erhielt etwas mehr als die Hälfte der Rügen. Die größte Herausford­erung der Nachkriegs­zeit spiegelt sich auch in den Redebeiträ­gen wider. Die Debatte ist emotionale­r, hitziger. Das ist nur natürlich. Unsere Spielregel­n hegen das ein. Wir, das sitzungsle­itende Präsidium, sind die Schiedsric­hter im Plenum.

Wie enttäuscht sind Sie denn persönlich von der Verzehnfac­hung der Zahl der Rügen?

KUPER Wenn man Parlamente in der Welt anschaut, gibt es andere Kaliber. Streit ist Teil der Demokratie und gehört ins Parlament. Rote Karten mussten wir nicht verteilen. Und ich hoffe, dass es dabei auch bleibt.

Eine Verschärfu­ng der Spielregel­n ist nicht nötig? Etwa ein Ordnungsge­ld?

KUPER Nein. Das wurde mal diskutiert, als die Zahl der Rügen sprunghaft nach oben schnellte. Andere Länder wie das Saarland und auch der Bundestag haben so etwas. Noch benötigen wir es nicht. Ob es so bleibt, muss man sehen.

Wie groß ist die Gefahr, dass der Landtag zum Supersprea­der wird?

KUPER Wir versuchen das Risiko bestmöglic­h zu minimieren. Mehr als 1000 Menschen aus dem ganzen Land kommen an Plenartage­n hier her. Wir könnten 1500 Menschen pro Woche testen. Derzeit nehmen das Angebot im Durchschni­tt rund 300 Personen wahr. Und wir haben in jeder Testwoche positive Fälle. In allen Fraktionen gab es Covid-Fälle, soweit wir das wissen.

Trotzdem finden zehnstündi­ge Plenardeba­tten statt.

KUPER Ich verstehe jeden, der das kritisch sieht. Aber gerade jetzt ist es doch wichtig, dass der Landtag Handlungsf­ähigkeit beweist. Mit Plexiglasw­änden an den Plätzen, Abstandsvo­rgaben sowie der Einführung der Maskenpfli­cht haben wir das erreicht. Der Hygiene-Professor Exner hat bei einer Begehung Handlungse­mpfehlunge­n gegeben, die wir allesamt umgesetzt haben. Die Abgeordnet­en sind die Letzten, die von Bord gehen sollten.

Nach der Logik könnte man auch sagen, die Abgeordnet­en müssten die Ersten sein, die geimpft werden müssen.

KUPER Hochrisiko­patienten, das medizinisc­he Personal, Feuerwehrl­eute und Polizisten, Lehrer und Erzieher sollten weiter vorne in der Reihe stehen.

Wie steht’s um Bonuszahlu­ngen an die Mitarbeite­r?

KUPER Ist derzeit kein Thema bei uns. Das sieht der Tarifvertr­ag der Länder nicht vor.

Wie wohl fühlen Sie sich persönlich hinter dem Acrylglas?

KUPER Es ist ein notwendige­s Übel, um sicher tagen zu können. Zwischenru­fe sind allerdings nicht immer zu verstehen.

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Blick in den Plenarsaal des Landtags Ende November: Die Plätze sind für den Infektions­schutz mit Acrylglas getrennt.
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André Kuper (CDU) ist seit 2017 NRW-Landtagspr­äsident.

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