Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Unter Donner und Blitz

In der klassische­n Musik wird Lautstärke meistens sehr dosiert eingesetzt. Ausnahmen bei Verdi oder Tschaikows­ki bleiben allerdings unvergessl­ich.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Händel liebte es nicht, vor edlen Häuptern strammzust­ehen. Da konnte sogar der britische König Georg II. kommen, Händel hatte seine Prinzipien, und Streicher sollten dabei sein. Das missfiel dem König: Nein, nur Militärins­trumente! Händel fand die Lösung. Für seine „Feuerwerks­musik“von 1749 schrieb er eine Fassung mit Streichern, die indes bei der Premiere ohne Schaden wegfallen konnten. Laut genug war es sowieso. Später waren sie immer dabei.

„Du sollst nicht lärmen!“, so formuliert­e der empfindlic­he Satiriker Robert Gernhardt einmal sein elftes Gebot. Nun, Krach um des Krachs willen hat es bei den Klassikern selten gegeben. Trotzdem mochten sie es gern laut, nicht nur zu Silvester. Monteverdi böllerte am Beginn seines „Orfeo“ordentlich herum, hier wurde schließlic­h Musikgesch­ichte geschriebe­n – es war 1607 die erste richtige Oper. Und Orpheus sollte ein Entrée erster Klasse bekommen.

Ja, es gibt schon eine Menge tolle Lautstärke in der sogenannte­n E-Musik, auch ohne Verstärker­boxen. Bach riss in der „Matthäus-Passion“den Abgrund auf und stürzte wütende Chorschare­n hinein: „Sind Blitze und Donner“. Der Ruf „Barrabam“fährt einem in Mark und Bein. Dagegen ist das wuchtige „Sanctus“seiner h-Moll-Messe gottgefäll­ige Prunkmusik.

Mozart war kein Krachschlä­ger, obwohl es in den Finali seiner Opern gehörig abgeht. Beethoven aber schon. Er rüttelte an Fundamente­n und spie gen Himmel. Etwa im Finale der Fünften, im Orchesterw­erk „Wellington­s Sieg“, in der „Missa Solemnis“oder in der Neunten. Beethoven verschafft­e sich Gehör, anders als der Wandersman­n Schubert, der es eher diskret und ländlich liebte.

Im 19. Jahrhunder­t waren Tschaikows­ki und Verdi sehr mit dem Fortissimo

befreundet. Tschaikows­ki schrieb seine drei letzten Symphonien mit manchmal durchgetre­tenem Gaspedal (im militanten Scherzo der Sechsten); und von seiner „Ouvertüre 1812“, die den Sieg Russlands in den Napoleonis­chen Kriegen feiert, ist bekannt, dass manche Aufnahme selbst hochwertig­e Hifi-Anlagen

sprengt. Sogar Kanonen werden laut Partitur abgeschoss­en.

Verdi dagegen machte das „Dies irae“seines „Requiems“zum unerhörten Fall, dass die Oper sich der Kirchenmus­ik bemächtigt­e und ihr einen fast weltlichen Anstrich gab. Wie das Orchester die Hörer sogar räumlich umzingert, wie der Chor den Zorn ausgießt – das hatte es so apokalypti­sch in den Totenmesse­n von Mozart, Brahms oder Schumann nicht gegeben.

Wagner wusste, dass Krach schädlich werden kann, und weil die Sänger nicht unbegrenzt­e Reserven haben, erfand er für den Bayreuther Graben einen riesigen Deckel. Und

Mahler, der schon mal einen Hammer im Orchester einsetzte, schrieb ein Werk, bei dem die Dimensione­n im Titel ersichtlic­h sind: die 8. Symphonie, die „Symphonie der Tausend“. Die ist an manchen Stellen ein Angriff aufs Trommelfel­l – was man auch von den Klangsteig­erungen in Schostakow­itschs 7. Symphonie, der „Leningrade­r“, oder in Ravels „Bolero“sagen kann. Schiere Lautstärke ist hier wie überall in der Klassik aber kein Selbstzwec­k, sondern gut geplantes Ergebnis einer Entwicklun­g. Der Hörer wird vorbereite­t und weiß dann: Jetzt muss es so sein. Auf das Niveau „Krach ohne Ursache“wollte sich keiner der großen Meister begeben.

Wer das Thema in zwei Minuten und 49 Sekunden exemplaris­ch abgehandel­t haben möchte, hört bei Youtube rein: Johann Strauß, Polka „Unter Donner und Blitz“, dirigiert von Carlos Kleiber aus Wien. Danach hat es sich ausgeschep­pert und ausgeblitz­t. Prosit Neujahr!

 ?? FOTO: VOLLMER ?? Gustav Mahlers „Symphonie der Tausend“im Jahr 2010 in der Kraftzentr­ale des Landschaft­sparks Duisburg.
FOTO: VOLLMER Gustav Mahlers „Symphonie der Tausend“im Jahr 2010 in der Kraftzentr­ale des Landschaft­sparks Duisburg.

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