Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Erste Impf-Effekte wird es bald geben“

Der Chef des Virologie-Institus an der Uniklinik Düsseldorf schaut vorsichtig optimistis­ch ins neue Jahr.

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Herr Professor Timm, als Virologe, wie haben Sie das zurücklieg­ende Jahr empfunden?

JÖRG TIMM Dass Virologen so stark in den Fokus der öffentlich­en Wahrnehmun­g gerückt sind, war eine neue Erfahrung. Vergangene­s Jahr um diese Zeit gab es die ersten Meldungen über vermehrte Lungenentz­ündungs-Fälle in Wuhan. Da habe ich noch gedacht: Solche Fälle hat man ja immer wieder, mal sehen, was daraus wird. Was dann passiert ist, habe ich so nicht erwartet.

Wenn Sie nun nach vorne schauen, was haben Sie für ein Gefühl, was den Kampf gegen das Virus angeht?

TIMM In diesem Winter wird sich an der Grundkonst­ellation nichts Wesentlich­es ändern. Aber ich gehe davon aus, dass der nächste Winter anders sein wird. Grundsätzl­ich gehe ich optimistis­ch ins neue Jahr.

Ein wenig Skepsis ist aber dabei.

TIMM Es gibt halt noch viele offene Fragen. Ich glaube, dass die Impfung einen guten Schutz bieten wird, der die Mehrzahl der Menschen vor Infektione­n schützt. Auch wenn es noch nicht sicher geklärt ist, ob es nur ein Schutz gegen Erkrankung, gegen schwere Verläufe oder Infektione­n ist. Aber es wird die Frage bleiben, wie wir als Gesellscha­ft damit umgehen, weil wir ja bald Teile der Bevölkerun­g haben, die geimpft sind, und andere nicht. Irgendwann wird es zum Beispiel Fragen geben, wie wir mit den Aha-Regeln umgehen. Dürfen wir sie weglassen, wer darf sie weglassen? Da wird es einiges an Diskussion­en geben, und möglicherw­eise Spaltpoten­zial.

Wann sehen wir erste Effekte und erhalten etwas Normalität zurück?

TIMM Ich glaube, die ersten Effekte wird es schon bald geben. Wenn wir es schaffen, im ersten Quartal die Risikogrup­pen zu impfen, dann werden wir das schnell merken, was schwere Verläufe und Todesfälle betrifft. Diese Zahlen werden zurückgehe­n. Aber die Hauptfrage wird sein, wann mit einer weiteren Eindämmung des Virus zu rechnen ist. Und das wird wohl so früh nicht sein. Bis wir 60 bis 70 Prozent der Bevölkerun­g geimpft haben, werden wir mit den jetzigen Regelungen weiterarbe­iten müssen. Das wird man sukzessive zurückfahr­en können, aber noch sind wir davon weit entfernt. Wir haben ein kontinuier­liches Infektions­geschehen auf hohem Niveau, da noch mal etwas an Maßnahmen draufzuset­zen, um die Zahlen zu drücken, wird schwer.

Aber auf Lockerunge­n im Sommer dürfen wir uns schon freuen, oder?

TIMM Ich glaube, das geht nur dann, wenn wir auch ein ähnliches Infektions­geschehen wie im vergangene­n Sommer erreichen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir es schaffen, auf ein solches Niveau herunterzu­kommen. Für Mai/Juni kann ich mir das momentan nicht vorstellen, weil das Virus in den letzten zwei Monaten so breit eingesicke­rt ist in der Bevölkerun­g und das Verständni­s für die Notwendigk­eit vieler Maßnahmen in der Breite fehlt. Aber das ist natürlich spekulativ.

Welche Rolle spielt denn die neue Mutation aus Großbritan­nien?

TIMM Was man weiß, bezieht sich auf epidemiolo­gische Beobachtun­gen aus England und nur auf die Verbreitun­g, nicht auf den Krankheits­verlauf. Das basiert aber auf so großen Datenmenge­n, dass man das ernst nehmen muss. Die Sorge, dass diese Variante also eine größere, wohl um 50 Prozent höhere Ansteckung­sfähigkeit hat, sehe ich als absolut gegeben. Wie stark das die Pandemie beeinfluss­t, ist schwer zu sagen. Die wichtigste Frage wird am Ende sein, ob diese Variante ein Problem für die Impfungen darstellt. Das glaube ich nicht, und das sieht aktuell auch erst mal nicht so aus.

Kann sich das Virus abschwäche­n?

TIMM Denkbar ist das. Aus evolutionä­rer Sicht macht es für das Virus am meisten Sinn, eine Infektion auszulösen, die mit einer hohen Virusaussc­heidung einhergeht, aber gleichzeit­ig den Wirt möglichst lange durch die Gegend laufen lässt. Das wäre ein hoher Selektions­vorteil. Dieses Virus ist jedoch nicht so tödlich, dass es einen hohen Selektions­druck gibt, einen weniger schweren Krankheits­verlauf zu verursache­n.

Weiß man denn mehr darüber, wie lange die Immunität anhält?

TIMM Zu den Covid-19-Genesenen ist gerade eine Studie veröffentl­icht worden, dass die meisten über einen Zeitraum von acht Monaten sogenannte Gedächtnis­zellen der Immunität besitzen. Bei anderen Infektione­n, etwa mit endemische­n Coronavire­n, hält die natürliche Immunität nach einer Infektion ungefähr drei Jahre an. Das heißt aber nicht, dass die Immunität danach komplett verloren geht. Wenn man sich dann ansteckt, ist die Erkrankung weniger schwer. Das ist bei der Grippe ähnlich. Wer schon einmal infiziert war, behält in der Regel eine Teilimmuni­tät, die ihn üblicherwe­ise davor bewahrt, auf der Intensivst­ation zu landen. Deshalb geht man auch bei Corona davon aus, dass eine Immunität lange vor schweren Verläufen schützt. Ob die Impfimmuni­tät die gleichen Effekte hat, ist schwer zu sagen, da fehlen einfach noch die Beobachtun­gen. Meine Erwartung wäre aber, dass dies so sein wird.

Dann müsste nicht regelmäßig geimpft werden.

TIMM Ich halte es nicht für unwahrsche­inlich, dass man vielleicht sagt, wir müssen nach drei Jahren mal nachimpfen. Das Virus wird wohl über längere Zeit in der Bevölkerun­g zirkuliere­n, wir werden es nicht komplett verschwind­en lassen können.

Die Impfung ist also wichtig.

TIMM Sie ist sogar essenziell wichtig. Ohne Impfung wird es nicht gehen. Sie ist absolut notwendig, und ich sehe keine überzeugen­den Argumente dagegen. Natürlich kann ich ein Stück weit die Sorgen in der Bevölkerun­g angesichts einer neuen Impftechno­logie verstehen, aber wir müssen eine Nutzen-Risiko-Abwägung machen. Und wenn man die Daten aus den Impfstudie­n sieht, überwiegt der Nutzen eindeutig.

Auch wenn es ein Blick in die Glaskugel ist: Müssen wir in näherer Zukunft mit der nächsten Pandemie rechnen?

TIMM Wir müssen vorbereite­t sein, weil solche Dinge immer wieder mal passieren können. Tendenziel­l werden solche Ereignisse eher zunehmen. Mit der Globalisie­rung, mit der größeren Dichte von Menschenan­sammlungen in einigen Regionen haben wir Rahmenbedi­ngungen, die eine Pandemie begünstige­n. Deshalb muss man sich vorbereite­n.

Eine beunruhige­nde Vorstellun­g.

TIMM Man muss aber auch das Positive betrachten: Wenn wir sehen, dass wir es innerhalb eines Jahres von der Entdeckung eines Virus bis zur Zulassung eines Impfstoffs geschafft haben, dann ist das beispiello­s und phänomenal. Das ist eine sensatione­lle Entwicklun­g.

Wie feiern Sie Silvester?

TIMM Wir feiern in der Familie mit einem Spieleaben­d. Ich halte es für absolut notwendig, sich an die Regeln zu halten. Es wird sicher spürbar sein, wie wir alle Weihnachte­n und Silvester gefeiert haben. Diese Tage werden den Start ins neue Jahr erheblich beeinfluss­en.

JÖRG ISRINGHAUS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Jörg Timm leitet das Institut für Virologie am Unikliniku­m Düsseldorf. Ab dem Sommer sieht er allmählich eine Rückkehr zur Normalität.
FOTO: ANDREAS BRETZ Jörg Timm leitet das Institut für Virologie am Unikliniku­m Düsseldorf. Ab dem Sommer sieht er allmählich eine Rückkehr zur Normalität.

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