Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Umstrittener Sieger, streitender Verlierer
Auch das Börsenjahr war ein besonderes. Gewinner-Aktie war der Dax-Neuling Delivery Hero. Absteiger des Jahres: das Bayer-Papier.
DÜSSELDORF Milliarden weg, Bilanzen manipuliert, Manager in Haft oder auf der Flucht: Der spektakuläre Betrug beim Finanzdienstleister Wirecard hatte viele Folgen. Eine davon ist der geplante Umbau der deutschen Börsenlandschaft, bei dem es unter anderem darum geht, dass demnächst kein Unternehmen mehr in den Dax kommen soll, das seine Profitabilität nicht schon nachhaltig unter Beweis gestellt hat. Hätte diese Regel schon vor vier Monaten gegolten, wäre der große Dax-Gewinner gar nicht dabei: Delivery Hero, das weltweit Online-Bestellplattformen für Essen betreibt und nach dem Zwangsabstieg von Wirecard in den wichtigsten deutschen Aktien-Index nachrückte, hat noch nie Gewinn gemacht. Trotzdem beträgt das Kursplus seit August 70 Prozent. Damit hat die Aktie des Unternehmens, die am Mittwoch zum Börsenschluss mit 126,80 Euro notierte, die beste
Jahres-Performance hingelegt.
Aber kann die Aktie im Dax auf Dauer ein lohnendes Investment sein? „Delivery Hero ist eine Wette auf die Zukunft“, sagt Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Natürlich sei das Geschäft mit Essenslieferdiensten,
das in der Corona-Krise noch mal einen Schub bekommen habe, ein wachsender Markt, aber die Margen seien nicht hoch: „Am Ende muss man zu den drei bis fünf Unternehmen gehören, die sich den Markt aufteilen werden“, glaubt Kurz. Fazit: Delivery
Hero boomt, bleibt aber ein unsicherer Kantonist.
Was man von Bayer früher nie behaupten konnte. Doch der Kauf des US-Agrarkonzerns Monsanto hat vieles verändert. Am Finanzmarkt ist durch die vielen Klagen gegen Monsanto wegen des glyphosathaltigen Unkrautvernichters Roundup viel Vertrauen verloren gegangen. Die Folge: Die Bayer-Aktie hat mehr als 32 Prozent verloren und damit den steilsten Absturz eines Dax-Wertes in diesem Jahr erlebt. Am Mittwoch schloss sie bei 48,46 Euro. Über 20 Milliarden Euro Börsenwert
sind so – zumindest auf dem Papier – 2020 verlorengegangen. Wie kommt man aus diesem Tal wieder raus?
„Bayer muss drei wichtige Fragen klären“, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Deka Investment. Erstens, wann und zu welchem Preis Bayer den Rechtsstreit mit den Klägern lösen kann. Zweitens, womit das Unternehmen die Pharma-Pipeline füllen wolle, wenn 2024 wichtige Patente auslaufen. Drittens, wann die Agrarsparte, in der es zuletzt Abschreibungen in Milliardenhöhe gab, zum erhofften Wachstum zurückkehrt. Diese Unsicherheit hat auch Folgen für Konzernchef Werner Baumann. „Der Kapitalmarkt hat derzeit kein Vertrauen in die Strategie von Bayer. Baumann muss Erfolge vorweisen, oder er muss seine Strategie ändern“, so Speich. Nach Einschätzung von Branchenkennern könnte die Hauptversammlung Ende April zur Nagelprobe für ihn werden.