Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Der kauzige Tiroler

Bundestrai­ner Stefan Horngacher wirkt nüchtern. Bei den Skispringe­rn genießt er einen hervorrage­nden Ruf.

- VON PATRICK REICHARDT UND THOMAS ESSER

OBERSTDORF (dpa) Über Werner Schuster und seine glorreiche Ära spricht im deutschen Skispringe­n kaum mehr jemand. Dass der eloquente Schanzen-Erklärer nach knapp zwei Jahren schon fast in Vergessenh­eit geraten ist, liegt aber weniger an ihm selbst als viel mehr an seinem Nachfolger: Stefan Horngacher.

Im Stile eines nüchternen Lehrers treibt der Bundestrai­ner seit dem Frühjahr 2019 seine Athleten zu Höchstleis­tungen und formte Siegoder-Sarg-Flieger Markus Eisenbichl­er und den zuvor oft biederen Karl Geiger zu konstanten Siegspring­ern, die in den kommenden Tagen etwas schaffen können, was Schuster beim Deutschen Skiverband (DSV) nie vergönnt war: den ersten Gesamtsieg bei der Vierschanz­entournee seit fast 20 Jahren. Geigers fulminante­r Auftaktsie­g von Oberstdorf

nährt diese Hoffnungen. „Auf den Karl kann man sich immer verlassen. Wenn der Karl in seinem Tunnel drin ist, kann er das abrufen. Momentan schwebt er auf einer sehr guten Welle“, sagte Horngacher, der nach dem ersten deutschen Tournee-Einzelsieg seit Dezember 2015 spürbar erleichter­t war.

Dabei wirkt Horngacher in seinen öffentlich­en Auftritten oft etwas spröde und kauzig. Der 51 Jahre alte Tiroler, der zuvor Polen um Vorzeigeat­hlet Kamil Stoch von Erfolg zu Erfolg trieb, ist in dieser Hinsicht kein Vergleich zu Norwegens Alexander Stöckl oder Schuster, die bei Interviews an den Schanzen gerne mit der Wucht der Worte spielen. Auf die Frage nach der Einführung einer Tournee für Frauen hätten Stöckl und Schuster – anders als Horngacher – wohl nie mit „No comment from my side“(„Kein Kommentar von mir“) geantworte­t.

Bei den Athleten aber ist „der Stef“, wie er von seinen Schützling­en

genannt wird, absolut unumstritt­en. Mehr noch: Wenn Eisenbichl­er über sein Verhältnis zu Horngacher referiert, klingt das wie eine einzige Lobeshymne. „Er spielt eine große Rolle, er hat die Fäden in der Hand und managt das. Ich trainiere nach seinem Plan. Da habe ich nie dran gezweifelt oder nachgefrag­t“, sagte „Eisei“, der zwar schon unter Schuster Weltmeiste­r wurde, aber erst in diesem Winter zu einem Podestspri­nger mit großer Stabilität heranreift. Der 29-Jährige sagte, er habe gewusst: „Das ist eine Vision, die kann nur gut sein.“

Der langsame und schrittwei­se Aufbau talentiert­er Skispringe­r, der erst im Laufe der Zeit mit großen Trophäen belohnt wird, ist ein Markenzeic­hen von Horngacher­s Arbeit. In seiner dreijährig­en Ära in Polen gelang so fast alles: Stoch holte nicht nur Olympia-Gold, sondern auch zwei Tourneesie­ge und den Gesamtwelt­cup.

Teamkolleg­e Dawid Kubacki wurde im Endspurt noch Weltmeiste­r, bevor Horngacher in einem TV-Interview im Anschluss an das Saisonfina­le in Planica erzählte, er werde seinen Vertrag in Polen nicht verlängern. Wenige Wochen später war er dann Nachfolger von Schuster, dem er zuvor jahrelang als Assistent zugearbeit­et hatte.

Ex-Athlet Martin Schmitt hält es für einen Trumpf Horngacher­s, seine eigene Handschrif­t auch beim DSV umzusetzen. „Er ist auch mutig genug, Dinge zu hinterfrag­en, und er hat nicht versucht, Werner Schuster zu kopieren“, sagte Schmitt, der TV-Experte bei Eurosport ist.

Nach Geigers Sieg und dem fünften Platz von Markus Eisenbichl­er hofft Horngacher für die nächsten drei Stationen auf eine weitere Steigerung. „Ziel ist es eher, langsam zu beginnen und immer stärker zu werden. Die anderen werden auch nochmal aufs Pedal steigen, da müssen wir mit“, forderte der Chefcoach.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Er gibt vor, woher der Wind weht: Stefan Horngacher, Bundestrai­ner der deutschen Skispringe­r.

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