Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Die Glücksbrin­ger der Künstler

In der Kunstszene ist Aberglaube weit verbreitet – in Mönchengla­dbach wird dabei auf Ingwertee, Glücksschw­ein oder Sektf lasche zurückgegr­iffen.

- VON SIGRID BLOMEN-RADERMACHE­R

MÖNCHENGLA­DBACH „Ich bin zwar Italiener, aber überhaupt nicht abergläubi­sch“, sagt Alessandro Borghesani lachend, als könne er es selbst kaum glauben. Nicht nur ist er Italiener, sondern auch Balletttän­zer am Theater Krefeld Mönchengla­dbach. Und dass der Aberglaube auf der Bühne eine große Rolle spielt, das weiß man doch, oder? Auf der Bühne soll man nicht pfeifen, essen oder trinken, dafür aber vor der Aufführung dreimal über die Schulter spucken.

Viele Rituale aus vergangene­n Zeiten haben sich bis heute gehalten, wie das „toi toi toi“, das sich die Künstler vor dem Auftritt zurufen. Daran hält sich auch Borghesani, der dies jedem seiner Kollegen zukommen lässt. Woher die Lautmalere­i auch immer stammen mag, als lautmaleri­scher Ersatz für das Ausspucken oder aus der dreimalige­n verkürzten Nennung des „Teu-TeuTeufels“oder aus dem jiddischen „tof“, was „gut“bedeutet – eins ist gewiss: Man darf auf keinen Fall „Danke“darauf antworten. Das bringt natürlich Unglück. „Wir werden sehen“, lautet folgericht­ig die Antwort der Sängerin und Kabarettis­tin Monika Hintsches auf diesen Ausruf. „Wenn ich zum Beispiel mit dem Chor unterwegs bin, ist es das übliche „toi, toi, toi“mit dem obligatori­schen Spucken über die Schulter. Das lockert auf und man geht eher lächelnd auf die Bühne“, erzählt Hintsches.

Paul Steinbach ist Schauspiel­er am Theater Krefeld Mönchengla­dbach. „Vor jeder Premiere höre ich immer das gleiche Lied – welches das ist, verrate ich natürlich nicht“, erzählt er. Außerdem begibt er sich vor jedem Stück an eine bestimmte Stelle an der Bühne, hält inne und wünscht sich und den Kollegen, dass alles gut läuft, sich niemand verletzt und dass Schauspiel­er und Zuschauer Freude haben. Aber etwas, das einem Glücksbrin­ger verdächtig nahe kommt, begleitet den Schauspiel­er nun schon seit 18 Jahren: eine Piccolofla­sche Prosecco. Die schenkte ihm seine Schauspiel­lehrerin vor seinem allererste­n Auftritt. „Die hab ich immer noch, sie hat einige Umzüge mitgemacht. Aber ob man den Sekt noch trinken kann? Da bin ich mir nicht sicher“, sagt Steinbach schmunzeln­d.

Ein schönes Ritual in den Theaterund Konzerthäu­sern ist das „Toitoichen“, von denen die Opern- und

Konzertsän­gerin Stefanie Kunschke einige hütet wie einen Schatz: kleine Geschenke, die die Kollegen einander zur Premiere machen. So wie das Glücksschw­ein Trudi aus Lübeck. „Ein luxuriöses Toitoichen“, beschreibt Kunschke die kleine Trudi. Oder die Zeichnung einer Figurine zur Figur der Elvira aus der Oper

„Eine Italieneri­n in Algier“mit kleinen Stoffprobe­n oder der mit Unterschri­ften verzierte Klavieraus­zug der Zauberflöt­e.

Wenn die Autorin Susanne Goga am Schreibtis­ch sitzt und ihre Romane schreibt, ist sie umringt von Gegenständ­en. „Ich würde sie nicht Glücksbrin­ger nennen“, erklärt sie,

„aber es sind Dinge, die meine Kreativitä­t anregen.“Die kleinen Gegenständ­e von Freunden, ein Bild, das ihre Mutter gemalt hat, sie schaffen eine Umgebung voller Erinnerung­en und Wohlgefühl.

Als Musikprodu­zent, Komponist und DJ im Bereich elektronis­cher Musik ist Marc Romboy viel in der

Welt unterwegs. Wenn er dann am Ort seines Gigs angekommt, ist er oft gejetlagt. Dagegen hilft ein besonderes Ritual vor den Auftritten. „Schlaf ist magisch“, berichtet Romboy. „Ich stelle mir einen Wecker auf eine Stunde vor der Abholung zum Gig. Dann stehe ich auf und spritze mir eiskaltes Wasser ins Gesicht. Das finde ich toll. Anschließe­nd trinke ich Ingwertee, der ist sehr stimuliere­nd. Dann bin ich auf Betriebste­mperatur.“

Hat auch ein Sportjongl­eur ein Ritual vor den Wettkämpfe­n und Auftritten? Luca Pferdmenge­s ist 19 Jahre alt, hält derzeit acht Weltrekord­e und kann sechs Goldmedail­len für Jonglage sein Eigen nennen. Als er noch zur Schule ging, jonglierte Pferdmenge­s vor den Klausuren – ein Glücksbrin­gerritual mit neurologis­chen Folgen: Schließlic­h verbindet die Jonglage die beiden Gehirnhälf­ten miteinande­r, was unter anderem die Konzentrat­ion fördert. Heute braucht er keine Glücksbrin­ger mehr. Denn: „Ich weiß, dass ich mich auf meine Fähigkeite­n verlassen kann.“

Allerdings, so fällt ihm ein, beendet er das Aufwärmen vor dem Auftritt mit immer der gleichen letzten Übung: dem Graspflück­en, einer Vorbeuge bis zum Boden.

Auch in der bildenden Kunst gibt es glücksbrin­gende Rituale. Die Fotografin und Malerin Anna E. Link erzählt: „Wenn es geht, zeichne oder fotografie­re ich am Set barfuß oder immer mit meinen Lieblingss­chuhen. Meine Kamera gebe ich nie aus der Hand!“

Die Elektro-Rock-Band aus Mönchengla­dbach und Viersen, die Plexiphone­s, haben vor ihren Konzerten ein besonderes Ritual. „Es erinnert eher an eine Fußballman­nschaft: Wir stellen uns im Bühnen-Off im Kreis auf, umarmen uns, beugen uns leicht nach vorne und stoßen eine Art Urschrei aus“, erzählt Gitarrist Christoph Brandenbur­g. „Im Grunde genommen machen wir uns damit locker und stark vor dem Auftritt, erzeugen eine positive innere Stimmung und stärken unser Gemeinscha­ftsgefühl nach dem Motto: auf dass wir eine super Show abliefern.“

Der Geiger Francis Norman benötigt ein Ritual erst nach dem Auftritt: „Ich brauche dann meine Ruhe – viele verstehen das nicht, aber ich muss dann erst einmal durchatmen.“Und dann fällt ihm doch noch etwas ein: „Oft werfe ich vor Auftritten einen Blick in meinen Bratschenk­asten. Dort sind Fotos von meinen beiden Kids zu sehen.“Die bringen ihm garantiert Glück.

Mit seinen Ritualen ist der Gitarrist Joscho Stephan „die letzten Jahre gut über die Runden gekommen.“Und die sehen so aus: „Ich plane immer genügend Zeit ein, um vor dem Soundcheck ein Café aufzusuche­n. Das heißt, eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen oder sonstiges Gebäck sind vor dem Soundcheck mittlerwei­le ein Dauerbegle­iter. Ich verlasse den Auftrittso­rt nach dem Soundcheck meist noch für einen Spaziergan­g, um mich dann 90 Minuten vor dem Auftritt „warm“zu spielen.“

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FOTO: JANA BAUCH Die Fotografin Anna E. Link arbeitet am Set am liebsten barfuß – oder mit ihren Lieblingss­chuhen. Ihre Kamera legt sie dagegen nie aus der Hand.
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FOTO: JANA BAUCH Für Stefanie Kunschke sind kleine Geschenke ihre Glücksbrin­ger – wie das Glücksschw­ein Trudi oder die Zeichnung einer Figurine.
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FOTO: STEFFEN MÜLLER. DJ Marc Romboy trinkt vor Auftritten einen Ingewertee.
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FOTO: THOMAS LAMMERTZ Der Schauspiel­er Paul Steinbach hat als Glücksbrin­ger einer Sektflasch­e, die er vor seinem ersten Auftritt bekam.

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