Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„IM WANDEL STECKT EINE GIGANTISCHE CHANCE“
Die großen Onlinehändler und die Corona-Pandemie bringen den Einzelhandel in Bedrängnis und könnten langfristig auch das Stadtbild verändern. Architekt Caspar SchmitzMorkramer erklärt, wie die Stadt der Zukunft aussehen und wie eine erfolgreiche Transformation gelingen kann. Ihr wichtigster Maßstab: der Mensch.
Die deutschen Innenstädte leiden. Schon vor der Pandemie häufte sich die Zahl der leerstehenden Ladenlokale zusehends. Und man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass viele weitere Einzelhändler und Gastronomen nach der Coronakrise auf der Strecke bleiben werden. Laut einer aktuellen Erhebung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW ) verliert der innerstädtische Einzelhandel allein im Dezember bis zu 13,3 Milliarden Euro Umsatz. Im Januar könnten im schlimmsten Fall 8,7 Milliarden dazu kommen. Beide Szenarien berücksichtigen die Geschäftsschließungen im Zuge des harten Lockdowns bis zum 10. Januar. In dieser Zeit werde der Umsatz nahezu vollständig wegbrechen, so das IW. Daten der auf Passantenfrequenzen spezialisierten Firma Hystreet zeigen, dass in der ersten Adventswoche in den Einkaufsstraßen der 20 untersuchten deutschen Großstädte fast 50 Prozent weniger Kunden unterwegs waren als noch 2019.
Profiteure dieser „Zwangslage“sind vor allem die Big Player des Onlineversandhandels. Nach Angaben des IW gaben die Deutschen zwischen November und Januar bis zu 26,2 Milliarden Euro für Online-Einkäufe aus. Das wären bis zu 5,6 Milliarden Euro mehr als noch 2019. Rund die Hälfte der Online-Umsätze in Deutschland mache demnach Amazon. „Wenn nun viele stationäre Händler Amazons Plattform nutzen, um ihre Umsatzverluste auszugleichen, profitiert Amazon durch Gebühren und gewinnt an Attraktivität, da die Auswahl zusätzlich steigt“, schreibt das Institut der Deutschen Wirtschaft.
Was also tun? Wie kann die Innenstadt wiederbelebt und attraktiver werden und damit auch den Onlinehändlern die Stirn bieten? Caspar Schmitz-Morkramer und sein Team haben zwei Jahre lang an dieser Frage geforscht und die viel beachtete Studie „Retail in Transition“aufgelegt. Der Architekt ist Geschäftsführender Gesellschafter der caspar.schmitzmorkramer GmbH mit Sitz in Köln. Das Architektenbüro mit über 100 Spezialisten hat in Düsseldorf unter anderem „New York – The Village“, den Handelsblattbau, den Heinrich-Campus und die Deiker Höfe geplant und erhielt für nationale und internationale Projekte diverse Auszeichnungen. Der Experte kennt sich also aus, wenn er sagt: „Es stimmt nicht, dass unsere Innenstädte sterben werden, sondern lediglich ein bestimmtes Geschäftsmodell, das gerade abgelöst wird durch ein anderes.“
Das Problem: Die klassische europäische Stadt des 19. und 20. Jahrhunderts mit ihren hochwertigen Familiengeschäften, edlen Boutiquen, beschaulichen Cafés, Restaurants und Kunstgalerien verschwinde immer mehr zugunsten großer Handelsketten, deren Filialen in jeder Stadt gleich aussehen und die nur eine Zielgruppe haben: den Konsumenten. „Diese Entwicklung macht die Städte verwechselbar und beliebig“, sagt Schmitz-Morkramer. Es gebe heute anders als früher keinen Grund mehr, gezielt in Düsseldorf, Köln oder Frankfurt einzukaufen. Es müsse deshalb ein radikales Umdenken stattfinden. Und das bedeute nicht, überall ständig wechselnde Pop-Up-Stores aufzubauen, sondern die Stadt insgesamt wieder zu einem Erlebnisraum mit einem eigenen Charakter zu machen. „Die attraktivsten Straßen weltweit bestehen nicht nur aus reinem Handel, sondern aus einem Mix von Handel, Gastronomie, Arbeiten, Wohnen und Kultur.“
Schmitz-Morkramer ist überzeugt: „In dem Wandel, wie wir ihn gerade erleben, steckt eine gigantische Chance.“Da sind zum einen die stationären Händler selbst. Sie müssen seiner Meinung nach verstärkt den Service bieten, den Online-Shops nicht bieten können: die persönliche Beratung, das nette Gespräch, die gezielte Unterstützung. „Als Käufer möchte ich nicht auf einer Plattform aus 5000 Schuhen auswählen, sondern einen Verkäufer, der mir den passenden Schuh bringt.“Allerdings müsse der Handel auch bereit sein, neue Wege zu gehen und zum Beispiel die Bezahlprozesse vereinfachen. „Niemand möchte unnötig lange an der Kasse stehen, wenn im Internet ein Klick ausreicht, um meine Waren zu bezahlen.“So sieht der Experte auch für totgesagte Warenhäuser wie Kaufhof, Karstadt und Co. durchaus eine Zukunft. Die italienische Warenhauskette La Rinascente oder das KaDeWe in Berlin seinen riesige Erfolgsstorys. „Die Frage sei nur, brauchen wir die Art von Kaufhäusern, die auf reinen Konsum ausgerichtet sind?“Vielmehr müssten die Betreiber Flächen optimieren, die Erdgeschosse für das Laufpublikum noch zugänglicher machen und sich von den oberen Etagen verabschieden. Die könnten sinnvoller als Büros oder Wohnungen genutzt werden, ist Schmitz-Morkramer überzeugt. Damit wären die Städte nicht nur während der Geschäftszeiten belebt. Er plädiert dafür, die strikte Trennung, von Büro-, Wohn- oder Einkaufsviertel aufzuheben und mehr die Bedürfnisse des Menschen in den Fokus zu rücken. Auch Kulturangebote und Eventflächen müssten die Innenstädte wieder bereithalten.
Und genau hier sieht er die weitere große Chance auf dem Weg zur modernen Stadt des 21. Jahrhunderts. Schmitz-Morkramer und sein Team sprechen in ihrer Studie vom „Maßstab Mensch“. Wichtiger als die Architektur und die Gebäude einer Stadt seien die Erlebnisse, die die Menschen im ihrer Stadt machen, weiß der Architekt. „Die Menschen müssen sich mit ihrer Stadt identifizieren und sie als Mehrwert begreifen.“Dabei verfolgt sein Büro stets das Credo: „ Die Qualität unserer Arbeit ist einzig davon abhängig, ob sie auch angenommen wird. Wenn die Menschen das Gebäude nicht lieben, wird es irgendwann wieder verschwinden. Der Mensch steht für uns am Anfang eines jeden Projekts.“
Kann der Mensch in der „Smart City“der Zukunft überhaupt noch im Mittelpunkt stehen? Unbedingt, meint Schmitz-Morkramer. Solange die Stadt den Gedanken der Nachhaltigkeit konsequent umsetzt. Um etwa die CO2-Emmissionen dauerhaft zu senken, müsse man neue Ideen entwickeln. Das könne die Fassaden- und Dachbegrünung sein oder in Richtung Urban Farming gehen, wo also das Gebäude selbst zur Produktion von Energie oder Lebensmitteln genutzt wird. Denkbar wäre für ihn auch, den durch Elektromobilität gewonnenen Parkraum für gastronomische Außenbereiche zu nutzen oder Parkhäuser in Logistik-Hubs umzuwandeln. Und warum die ohnehin gewonnenen Nutzerdaten nur Google, Facebook und Co. überlassen? Die Stadt könnte in einer App verschiedene Dienstleistungen intelligent bündeln und zum Beispiel dafür sorgen, dass man von einem Termin pünktlich zum nächsten komme, was langfristig zu mehr Lebensqualität führen werde. „Wir müssen die Digitalisierung als Chance begreifen, nicht als Gefahr.“
Und Corona? Auch hier ist der Architekt ein Optimist: „Ich glaube, dass die Menschen eine tiefe Sehnsucht haben, wieder in die Städte zu gehen, Menschen zu treffen und in den Läden einzukaufen. Es wird derjenige der Gewinner sein, der die Krise dazu nutzt, sich neu aufzustellen. Und der dann in voller Kraft da ist. Der, der noch lange die Wunden leckt und so weiter macht wie vorher, wird es sehr schwer haben.“
Für Caspar Schmitz-Morkramer bleibt es eine ästhetische Gratwanderung, unsere bedrohten Innenstädte zu sanieren. Hier liege eine Gefahr für Architekten heute: „Architektur darf nicht digitales Elend kaschieren, das heißt eine Pseudo-Wirtschaft hinter post-modernem Fassadenklüngel verstecken. Ausgehend von einem Bewusstsein einer Stadt mit alten Werten, jedoch gekoppelt mit frischen zeitgemäßen Ideen, verbergen sich im neuen Stadtbild zahlreiche Antworten und Lösungen für die Fragen unserer Zeit“, fasst er seine Studie zusammen. „Keine Utopien, sondern fassbare, praktikable Lösungen müssen es sein – eine Reminiszenz an die traditionelle europäische Stadt. Oder frei nach Shakespeares ,All the world’s a stage‘ sind die innerstädtischen Straßen und Plätze die Bühne unserer Gesellschaft. Die gilt es wieder zu bevölkern – was bedeutet, das Leben und den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu setzen – ganz Maßstab Mensch.“
»Architektur darf nicht digitales Elend kaschieren