Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
NICHT VON DER KRISE ÜBERROLLEN LASSEN
Besnik Kolgjini und Jonida Agolli, Jugendbetreuer im SOS-Kinderdorf Tirana in Albanien, begleiten junge Menschen durch die Corona-Zeit. Und geben ihnen Hoffnung. Wann immer Menschen aufbrechen wollen oder müssen, stehen ihnen die SOS-Kinderdörfer zur Seite. Wie bei Rosa, der Mutter aus einem einfachen Viertel von El Alto im Hochland von Bolivien.
Der beste Weg durch die Krise ist es, sie aktiv anzugehen und sich dabei gegenseitig zu unterstützen. Das war gleich zu Beginn unsere Botschaft an die jungen Leute: Lasst uns nicht warten, bis uns die Krise überrollt, sondern Schritt für Schritt gemeinsam einen Weg hindurch finden!
Zurzeit leben zwölf Jugendliche zwischen 15 und 18 jeweils in Kleingruppen in unserem Jugendhaus, 16 weitere werden noch von SOS unterstützt, aber führen bereits ihr eigenes Leben. Als die albanische Regierung strenge Regeln einführte, waren sie völlig isoliert und durften weder Freunde, noch Angehörige treffen. Zum Glück gelang es uns, eine Ausnahmegenehmigung zu erwirken, sodass wir den Kontakt mit den Jugendlichen durchgängig aufrechterhalten konnten.
In unserem Team von sechs Mitarbeitern richteten wir uns so ein, dass wir täglich 24 Stunden für sie da waren. Mit jedem Einzelnen erarbeiteten wir einen Plan, denn die Bedürfnisse waren sehr unterschiedlich: Für den einen war es wichtig, dass er Medikamente bekam, andere hatten ihren Job verloren und brauchten dringend finanzielle Unterstützung. Vom Staat bekamen die Wenigsten Hilfe, und selbst wenn, ließ das Geld auf sich warten.
Also sprangen wir ein. Wieder anderen ging es psychisch nicht so gut, sodass wir Online-Sitzungen mit unseren Psychologen organisierten. Im Wechsel verbrachten wir die Tage mit den Jugendlichen: Wir halfen ihnen, ihre Lernzeiten zu strukturieren, machten gemeinsam Gymnastik, sangen, tanzen, schauten Filme, kochten neue Rezepte und führten unzählige Gespräche über das Leben, Corona und die Zukunft.
Wir Jugendbetreuer achteten auch darauf, dass es uns selbst und unseren Familien gut geht. Wir nahmen Supervision in Anspruch und schickten Kollegen nach Hause, wenn sie erschöpft waren.
Keiner von uns weiß heute, wie lange das Virus noch unseren Alltag bestimmen wird. Jeden Tag stellen wir uns neu darauf ein und schauen, wie wir gute Lösungen finden. Manchmal hören wir von den Jugendlichen, wie wichtig wir für sie sind. Aber genauso ist es andersherum: Sie sind wichtig für uns!
Das Leben von Rosa Soliz und ihren fünf Kindern schien lange Zeit aussichtslos. Ihr Mann war gewalttätig, aber gleichzeitig war sie von ihm finanziell abhängig – so begann die Frau aus dem bolivianischen El Alto die Geschichte ihrer großen Veränderung. Sie konnte sich nicht von ihm trennen, da sie ohne ihn mit den Kindern auf der Straße gestanden hätte.
Dann kam ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben. Die Familie hatte kein Dach über dem Kopf und kaum etwas zu essen. Rosa wusste, dass sie dieses trostlose Dasein ändern musste. „Ich wollte etwas tun, um meinen Kindern und Enkelkindern ein besseres Leben zu ermöglichen.“Sie bewarb sich für das Familienstärkungsprogramm der SOS-Kinderdörfer. Ein Schritt, der sie Überwindung und Mühe gekostet hat.
Rosa wurde aufgenommen und blüht seither auf: Die tatkräftige Frau nahm an Maurerkursen teil. Mit ihren eigenen Händen baute sie ein Zuhause für ihre Familie. Dann erlernte sie das Back- und Konditorhandwerk, am Ende gründete sie zusammen mit ihren Töchtern eine Bäckerei. Damit sichern sie heute das Einkommen der Familie. „In der schwersten Zeit meines Lebens traf ich die SOS-Kinderdörfer und sie waren für mich da. Sie halfen mir zu verstehen, wie wertvoll meine Fa milie ist und warum wir nur zusammen stark sind. Jetzt verdienen wir unseren Lebensunterhalt mit Kuchen – gibt es etwas Schöneres?“, sagt Rosa.
Ihr geringes Anfangskapital hat Rosa vervielfacht. Sie hat genügend Rücklagen für die Produktion angelegt und den Kredit für einen Ofen abbezahlt. Doch dann kam Corona: Ausgangssperre, keine Kundschaft mehr – wie überall auf der Welt. Es traf die Familie hart. Die Bäckerei musste schließen und Rosa brauchte ihre Ersparnisse auf, um Lebensmittel für ihre Familie zu kaufen. Wie so viele in der Lockdown-Zeit rechnete auch Rosa im Kopf durch, wie lange die Reserven reichen würden.
Aber Rosa wäre nicht Rosa, wenn sie nicht schon weiterdenken würde: „In Zukunft soll unser Unternehmen auch andere Menschen beschäftigen, die in einer Notlage sind. Früher war ich abhängig und habe immer auf jemanden gewartet, der mir sagt, was ich tun soll“, erinnert sie sich. „Heute suche ich selbst nach Lösungen.“