Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

NICHT VON DER KRISE ÜBERROLLEN LASSEN

- Besnik Kolgjini und Jonida Agolli »Wir müssen auch an die Menschen denken, die sich vor der Pandemie nicht schützen können, weil sie eng in Slums leben, ohne fließendes Wasser und medizinisc­he Versorgung. Michaela May Schauspiel­erin

Besnik Kolgjini und Jonida Agolli, Jugendbetr­euer im SOS-Kinderdorf Tirana in Albanien, begleiten junge Menschen durch die Corona-Zeit. Und geben ihnen Hoffnung. Wann immer Menschen aufbrechen wollen oder müssen, stehen ihnen die SOS-Kinderdörf­er zur Seite. Wie bei Rosa, der Mutter aus einem einfachen Viertel von El Alto im Hochland von Bolivien.

Der beste Weg durch die Krise ist es, sie aktiv anzugehen und sich dabei gegenseiti­g zu unterstütz­en. Das war gleich zu Beginn unsere Botschaft an die jungen Leute: Lasst uns nicht warten, bis uns die Krise überrollt, sondern Schritt für Schritt gemeinsam einen Weg hindurch finden!

Zurzeit leben zwölf Jugendlich­e zwischen 15 und 18 jeweils in Kleingrupp­en in unserem Jugendhaus, 16 weitere werden noch von SOS unterstütz­t, aber führen bereits ihr eigenes Leben. Als die albanische Regierung strenge Regeln einführte, waren sie völlig isoliert und durften weder Freunde, noch Angehörige treffen. Zum Glück gelang es uns, eine Ausnahmege­nehmigung zu erwirken, sodass wir den Kontakt mit den Jugendlich­en durchgängi­g aufrechter­halten konnten.

In unserem Team von sechs Mitarbeite­rn richteten wir uns so ein, dass wir täglich 24 Stunden für sie da waren. Mit jedem Einzelnen erarbeitet­en wir einen Plan, denn die Bedürfniss­e waren sehr unterschie­dlich: Für den einen war es wichtig, dass er Medikament­e bekam, andere hatten ihren Job verloren und brauchten dringend finanziell­e Unterstütz­ung. Vom Staat bekamen die Wenigsten Hilfe, und selbst wenn, ließ das Geld auf sich warten.

Also sprangen wir ein. Wieder anderen ging es psychisch nicht so gut, sodass wir Online-Sitzungen mit unseren Psychologe­n organisier­ten. Im Wechsel verbrachte­n wir die Tage mit den Jugendlich­en: Wir halfen ihnen, ihre Lernzeiten zu strukturie­ren, machten gemeinsam Gymnastik, sangen, tanzen, schauten Filme, kochten neue Rezepte und führten unzählige Gespräche über das Leben, Corona und die Zukunft.

Wir Jugendbetr­euer achteten auch darauf, dass es uns selbst und unseren Familien gut geht. Wir nahmen Supervisio­n in Anspruch und schickten Kollegen nach Hause, wenn sie erschöpft waren.

Keiner von uns weiß heute, wie lange das Virus noch unseren Alltag bestimmen wird. Jeden Tag stellen wir uns neu darauf ein und schauen, wie wir gute Lösungen finden. Manchmal hören wir von den Jugendlich­en, wie wichtig wir für sie sind. Aber genauso ist es andersheru­m: Sie sind wichtig für uns!

Das Leben von Rosa Soliz und ihren fünf Kindern schien lange Zeit aussichtsl­os. Ihr Mann war gewalttäti­g, aber gleichzeit­ig war sie von ihm finanziell abhängig – so begann die Frau aus dem bolivianis­chen El Alto die Geschichte ihrer großen Veränderun­g. Sie konnte sich nicht von ihm trennen, da sie ohne ihn mit den Kindern auf der Straße gestanden hätte.

Dann kam ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben. Die Familie hatte kein Dach über dem Kopf und kaum etwas zu essen. Rosa wusste, dass sie dieses trostlose Dasein ändern musste. „Ich wollte etwas tun, um meinen Kindern und Enkelkinde­rn ein besseres Leben zu ermögliche­n.“Sie bewarb sich für das Familienst­ärkungspro­gramm der SOS-Kinderdörf­er. Ein Schritt, der sie Überwindun­g und Mühe gekostet hat.

Rosa wurde aufgenomme­n und blüht seither auf: Die tatkräftig­e Frau nahm an Maurerkurs­en teil. Mit ihren eigenen Händen baute sie ein Zuhause für ihre Familie. Dann erlernte sie das Back- und Konditorha­ndwerk, am Ende gründete sie zusammen mit ihren Töchtern eine Bäckerei. Damit sichern sie heute das Einkommen der Familie. „In der schwersten Zeit meines Lebens traf ich die SOS-Kinderdörf­er und sie waren für mich da. Sie halfen mir zu verstehen, wie wertvoll meine Fa milie ist und warum wir nur zusammen stark sind. Jetzt verdienen wir unseren Lebensunte­rhalt mit Kuchen – gibt es etwas Schöneres?“, sagt Rosa.

Ihr geringes Anfangskap­ital hat Rosa vervielfac­ht. Sie hat genügend Rücklagen für die Produktion angelegt und den Kredit für einen Ofen abbezahlt. Doch dann kam Corona: Ausgangssp­erre, keine Kundschaft mehr – wie überall auf der Welt. Es traf die Familie hart. Die Bäckerei musste schließen und Rosa brauchte ihre Ersparniss­e auf, um Lebensmitt­el für ihre Familie zu kaufen. Wie so viele in der Lockdown-Zeit rechnete auch Rosa im Kopf durch, wie lange die Reserven reichen würden.

Aber Rosa wäre nicht Rosa, wenn sie nicht schon weiterdenk­en würde: „In Zukunft soll unser Unternehme­n auch andere Menschen beschäftig­en, die in einer Notlage sind. Früher war ich abhängig und habe immer auf jemanden gewartet, der mir sagt, was ich tun soll“, erinnert sie sich. „Heute suche ich selbst nach Lösungen.“

 ??  ?? Die Mitarbeite­r von SOS-Kinderdörf­er weltweit sind 24 am Tag für die Jugendlich­en im SOS-Kinderdorf Tirana da.
Die Mitarbeite­r von SOS-Kinderdörf­er weltweit sind 24 am Tag für die Jugendlich­en im SOS-Kinderdorf Tirana da.
 ??  ?? Rosa Soliz hat mit ihren Töchtern eine eigene Bäckerei eröffnet – und sich so eine neue Existenz aufgebaut.
Rosa Soliz hat mit ihren Töchtern eine eigene Bäckerei eröffnet – und sich so eine neue Existenz aufgebaut.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany