Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
VERANTWORTUNG FÜR DAS GANZE
»Über all dies ist ein neuer gesellschaftlicher Dialog nötig
Während der Lockdown als Entschleunigung wahrgenommen wird, drückt die verstärkte Digitalisierung aufs Tempo. Diese Gleichzeitigkeit von Widersprüchen stellt jeden einzelnen in unserer Gesellschaft vor Herausforderungen, ist die Erfahrung von Donner & Reuschel-Chef Marcus Vitt.
Alle Informationen sind sofort und überall verfügbar und lösen Erwartungen und Reaktionen aus. Diese Erwartungshaltung hat sich insbesondere durch die beschleunigte Digitalisierung noch mehr durchgesetzt, meint Marcus Vitt. Der Vorstandssprecher der Privatbank Donner & Reuschel, die auch in Düsseldorf zuhause ist, ist überzeugt: „Die gefühlte Geschwindigkeit unseres Lebens hat im Pandemie-Jahr enorm zugenommen: Information – Reaktion – neue Information – angepasste Reaktion und so weiter.“Die Corona-App ist für Vitt eines der Beispiele dafür: „Der Staat lebt die Erwartungshaltung, dass jeder Bürger, egal welchen Alters, über ein modernes und aktuelles App-fähiges Smartphone verfügt und damit permanent lebt und kommuniziert.“
Da die Gesellschaft eigentlich keine Wahl hatte, herrschte und herrscht noch immer eine „Wir schaffen das“-Mentalität. Beharrungsvermögen und Veränderungsresistenz traten dahinter zurück und ein Großteil der Deutschen war plötzlich bereit zu Neuem, dem sie vorher mit Skepsis begegnet waren. Auch diese einmalige Bereitschaft im Krisenmodus trug zur Beschleunigung bei.
Und nicht zuletzt verändern sich Unternehmen in enormem Tempo. „Seit Frühjahr haben viele Menschen Erfahrungen mit Home-Office, Cloud-Business und Videokonferenzen gesammelt und Firmen schufen einen komplett neuen Vertriebswege-Mix“, beschreibt Bank-Chef Vitt. Statt nur die Besucher ihres Restaurants zu bewirten, verkaufen Gastronomen mittlerweile ihr Essen zum Mitnehmen und liefern deutlich mehr als früher aus. Neu sind auch komplexe Gerichte wie die Weihnachtsgans zum Fertiggaren zu Hause mitsamt Kochanleitung per Youtube-Video aus einer Event-Box. Es entstanden völlig neue Produkte und Dienstleistungen, zum Beispiel, dass seit dem ersten Lockdown digitale Stadtführungen in Düsseldorf angeboten werden: Der Guide geht mit seinem Smartphone durch die Stadt und überträgt per Videokonferenz die Führung live in die heimischen Wohnzimmer, wo seine Gäste auf dem Sofa sitzen, ihm zuschauen und sogar Fragen stellen können.
„Über all dies ist ein neuer gesellschaftlicher Dialog nötig“, fordert Vitt. So sehr digital affine Menschen diese Veränderungen herbeigesehnt haben, so sehr überfordern diese Neuerungen viele andere. Insbesondere, dass die Politik je nach Situation in enormer Schnelligkeit auch harte Entscheidungen fällt, erscheine oft improvisiert und willkürlich. In der Pandemie scheint kein Verlass mehr auf Erfahrungswerte zu sein – daher sind viele Menschen verunsichert. „Dieser Verunsicherung kann nur durch noch mehr Begleit-Kommunikation begegnet werden“, weiß Vitt aus seiner langjährigen Erfahrung als Führungskraft. „Im Grunde ist das vergleichbar mit der Fusion zweier Unternehmen, wo auch enorm viel kommuniziert werden muss, damit die Mitarbeiter das neu entstehende Unternehmen mittragen und voranbringen.“Vitt hatte in den Jahren 2009 und 2010 den Zusammenschluss der Hamburger Conrad Hinrich Donner Bank mit dem Bankhaus Reuschel & Co. in München zur neuen Donner & Reuschel Bank maßgeblich vorangetrieben.
Gleichzeitig zur Beschleunigung sorgte der Lockdown aber für das genau gegenteilige Empfinden einer Entschleunigung. Denn Menschen verbringen viel mehr Zeit allein zuhause oder im allerengsten Familienkreis. Auch Vitt zählt dazu. Das fast wöchentliche Pendeln zwischen der Zentrale in Hamburg und dem wichtigsten zweiten Standort in München entfällt. Der ehemalige Vielflieger hat nun schon zehn Monate lang keinen Flughafen betreten. Sollte doch eine Reise nötig sein, fährt er sicher im Einzelabteil im Nachtzug. „Mein CO2-Fußabdruck hat sich dadurch deutlich verbessert“, freut er sich über den Klimaschutzeffekt. Zudem bescherte ihm der Wegfall von gesellschaftlichen Veranstaltungen mehr Zeit an Abenden als jemals zuvor. Die nutzt er für intensive Gespräche mit der Familie ebenso wie für virtuellen Austausch im Freundeskreis.
Dabei drehen sich die Themen natürlich viel um Corona und Medizin – und dabei kann Marcus Vitt durchaus mitreden. Denn der Vorstandssprecher von Donner & Reuschel hat vor seiner Banker-Karriere als Rettungssanitäter gearbeitet und träumte einst davon, Arzt zu werden. Zudem leitet einer seiner drei Brüder ein Biotech-Unternehmen. Schon früh realisierte Vitt aufgrund dieser intensiven Beschäftigung mit dem Medizin-Umfeld, welcher Umbruch durch das neue Coronavirus bevorsteht. Als Unternehmenschef ließ er deshalb das Privatbankhaus bereits im Februar zweimal den Lockdown im Homeoffice proben und bereitete so seine mehr als 500 Mitarbeiter auf das Arbeiten aus der Privatwohnung vor. Ab Mitte März, also schon vor dem offiziellen Lockdown, schickte er dann die gesamte Belegschaft nach Hause – und freut sich: „Es klappte alles reibungslos.“
Auch bei den Hygienevorkehrungen vor Ort dachte Vitt weiter: „Während andere Unternehmen Desinfektionsmittel besorgten, kaufte ich solche mit hautpflegenden Eigenschaften gegen trockene Hände.“Schon im März ließ er zudem Stoffmasken fertigen. „Das Donner & Reuschel-Logo ist sehr klein darauf, denn ich wollte sicherstellen, dass unsere Mitarbeiter und Kunden sie auch tragen und nicht als Werbung ablehnen“, erzählt er.
Ob als Bankvorstand oder als Privatmann: Vitt schätzt es, sich für die Gesellschaft zu engagieren: „Ich stelle sehr gern Mitarbeiter ein, die ein Ehrenamt ausüben.“Er selbst engagiert sich vielfältig im Charity-Umfeld, zum Beispiel im Kuratorium bei „Children for a better World“. „Die Pandemie hat gezeigt, dass jeder Verantwortung für das Ganze übernehmen kann und auch muss.“Die Bewältigung der Pandemie fängt bei jedem Einzelnen persönlich an, ich für alle, aber natürlich dann auch alle für mich.