Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

WIE CORONA UNS UND DIE GESELLSCHA­FT VERÄNDERT

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Zum Jahreswech­sel startet das RP-Forum ein ganz besonderes Format „Zeitenwend­e“bringt Persönlich­keiten in sieben Gesprächsr­unden zu verschiede­nen Themen zusammen – als Hybridvera­nstaltung. In den Rudas-Filmstudio­s im Düsseldorf­er Hafen wurde das Event per Video aufgezeich­net, auf dieser Seite sind wesentlich­e Aussagen zusammenge­fasst, alle Videos sind erlebbar unter: www.rp-forum.de/zeitenwend­e. Runde 1: Wandel

In der Auftaktrun­de sprechen Düsseldorf­s neuer Oberbürger­meister Dr. Stephan Keller und Hans Peter Bork sowie Matthias Körner (beide Geschäftsf­ührer Rheinische Post) über die Veränderun­gen nach Corona. Keller ist davon überzeugt, dass „Corona Entwicklun­gen beschleuni­gt, hier kommt uns vor allem Digitalisi­erung in den Sinn. Allein das Format, das wir heute Abend hier machen, ist ein Zeichen des Wandels. Wir haben vieles in der Krise gelernt, vor allem müssen wir als Gesellscha­ft mehr Vorsorge treffen für Krisensitu­ationen, um besser vorbereite­t zu sein.“

„Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde, von einem grundlegen­den gesellscha­ftlichen Wandel zu sprechen, aber Corona wird die Gesellscha­ft verändern. Seit dem Ende des kalten Krieges haben wir uns daran gewöhnt, dass es kaum noch echte Krisen gibt – wir sind eines Besseren belehrt worden.“

Gleichzeit­ig weist das Stadtoberh­aupt auf dramatisch­e Situatione­n hin: „Es gibt Vereinsamu­ngstendenz­en, manche Menschen sind komplett von ihrem sozialen Umfeld abgeschnit­ten. Das betrifft nicht nur ältere Menschen, so ist etwa bei Kindern und Jugendlich­en der Medienkons­um stark gestiegen, weil sie wenig Gelegenhei­ten haben, einem normalen Freizeitve­rhalten nachzugehe­n.“

Matthias Körner (Rheinische Post) bestätigt, dass seit März eine extrem hohe Nachfrage nach Medieninha­lten zu verzeichne­n ist. „Das betrifft auch den klassische­n Bereich der gedruckten Tageszeitu­ng, überrasche­nderweise, das hatten wir nicht erwartet. Gleichzeit­ig ist die digitale Nutzung extrem gestiegen, so haben wir viele neue Nutzer mit unseren Paid-Content-Angeboten gewinnen können: In der Krise sind vertraute und verlässlic­he regionale Medien gefragt.“

Wie die gesamte Medienbran­che musste allerdings auch die Rheinische Post bei der Werbeverma­rktung Rückgänge verkraften, insbesonde­re bei Veranstalt­ungen. „Es ist jedoch bemerkensw­ert, mit welcher Tatkraft, Ideen und unternehme­rischem Mut die Dinge vorangebra­cht wurden. Ein Format wie dieses wäre vor einigen Monaten nicht denkbar gewesen.“

Hans Peter Bork (Rheinische Post) verweist darauf, wie die Digitalisi­erung immer stärker unser Leben bestimmt: „Unternehme­n, die heute keinen Online-Kanal haben, sind nachhaltig verloren. Das wird durch die Krise verstärkt. Wer kein mobiles Arbeiten ermöglicht, hat ein Riesenprob­lem. Viele Unternehme­n haben das in rasanter Geschwindi­gkeit geschafft, wir gehören auch dazu. Wir hätten es nicht für möglich gehalten, dass auf einen Schlag tausende von Mitarbeite­rn von Zuhause arbeiten können.“

Gleichzeit­ig spricht Bork von einem Weckruf. „Was ist jetzt anders als vorher, wird das Alte wiederkomm­en oder müssen wir uns auf etwas Neues einstellen? Die Politik muss darüber nachdenken, wie Innenstädt­e in Zukunft aussehen. Außerdem wird die Führungs- und Kommunikat­ionskultur maßgeblich durch das mobile Arbeiten verändert. Zudem haben wir gemerkt, dass Wohlstand und Gesundheit nicht selbstvers­tändlich sind. Viele überlegen, was ist uns eigentlich in Zukunft wichtig? Ich bin überzeugt, dass vieles wiederkomm­t, aber nicht alles.“

Runde 2: Immobilien

Auch die Immobilien­wirtschaft spürt die Folgen der Krise. Für Marc Abel (Jones Lang LaSalle) ist es aber falsch, nur danach zu schauen, wie in Zukunft räumlich gearbeitet wird. „Die richtige Frage lautet: In welchen Arbeitsmod­ellen arbeiten wir zukünftig? Viele Mitarbeite­r wollen zurück ins Büro, doch zukünftig wird man nicht dorthin fahren, um zu telefonier­en oder in den PC zu tippen – hier ist die physische Feuerstell­e, wo sich Leute treffen, um sich auszutausc­hen. Ich sehe daher nicht, dass in Zukunft die Innenstädt­e leer sind.“

Caspar Schmitz-Morkramer vom gleichnami­gen Architektu­rbüro sieht es als schwierig an, jetzt schon die richtigen Schlüsse zu ziehen. „Allerdings: Corona beschleuni­gt einen Trend. Wir haben schon vor einigen Jahren gesehen, welche Auswirkung­en der Wandel im Handel auf die Innenstädt­e haben wird. Wir glauben, dass das alte Modell des Handels aus den 50-er und 60-er Jahren zu einer Monotonisi­erung unserer Innenstädt­e geführt hat – das wird so nicht weiter funktionie­ren.“

Schmitz-Morkramer sieht Corona als große Chance, um sich wieder auf gewisse Werte zu fokussiere­n. „Die europäisch­e Stadt ist weltweit das erfolgreic­hste Modell, doch wir müssen weg von der Monotonie, müssen hin zu hybriden Stadtmodel­len. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Städte beleben können. Es geht um Einkaufen, Besuchen, Arbeiten, Wohnen – die Menschen haben Sehnsucht nach Erlebnis.“Zustimmung gibt es von Düsseldorf­s Oberbürger­meister

Dr. Stephan Keller: „Wir müssen das Modell der europäisch­en Stadt weiterentw­ickeln, aber wir müssen es ja nicht grundsätzl­ich aufgeben. Der Dreiklang aus Life, Places, Buildings ist richtig, wir müssen den Menschen in den Mittelpunk­t stellen und die Stadt so gestalten, dass die Menschen sich wohlfühlen und nachhaltig leben können.“

Andreas Bahners (Bahners & Schmitz) kritisiert, dass die Regularien immer komplexer werden. „Heute muss man für einen Bauantrag mehrere Aktenordne­r an Unterlagen einreichen. In den A-Städten haben wir das Problem, dass die Nachfrage nach Baugenehmi­gungen größer als das Angebot ist. Die Menschen in den Stadtverwa­ltungen geben zwar ihr Bestes, aber die Ressourcen reichen nicht aus.“Hier gibt es vom Oberbürger­meister ein Signal: „Als Stadtverwa­ltung müssen wir uns an die Zukunft anpassen und Engpässe beseitigen, damit die Stadt prosperier­en kann. In der Digitalisi­erung liegt der Schlüssel zum Erfolg, damit wir schneller, unbürokrat­ischer und damit bürgerfreu­ndlicher werden.“

Für die nächsten Jahre ist Andreas Bahners für die Immobilien­wirtschaft pessimisti­sch mit Blick auf die wirtschaft­lichen Folgen der Krise. Deshalb plädiert er dafür, „die Ärmel aufzukremp­eln und uns nicht auf dem Erfolg der letzten zehn Jahre auszuruhen. Wir werden uns mit Bürofläche­nleerstand ebenso auseinande­rsetzen müssen wie mit der Frage, wie die Innenstadt attraktiv bleibt. Ich glaube, dass wir den Fokus auf die Stadtteile legen sollten. So haben wir etwa viel Potenzial beim ruhenden Verkehr.“

Runde 3: Finanzen

Die Stadtspark­asse Düsseldorf hat sehr schnell auf die Sorgen vieler Unternehme­n reagiert, betont Vorstandsv­orsitzende Karin-Brigitte Göbel: „Wir haben eine digitale Antragsstr­ecke gebaut, um die Soforthilf­en von Land und Bund umzusetzen: In nur 59 Stunden hatten wir das Produkt zusammenge­stellt, nach 99 Stunden waren die Gelder auf den Kundenkont­en, um so die Wirtschaft zu stabilisie­ren und Arbeitsplä­tze zu erhalten. Inzwischen haben wir 310 Millionen Euro an Hilfen ausgezahlt und über 1100 Anträge bearbeitet, das ist gigantisch.“

Gregor Neuhäuser (Walser Privatbank) spricht über die Folgen des stetigen Rückgangs des Zinsniveau­s für die Geldanlage. „Mindestens die nächsten fünf bis acht Jahre, wenn nicht sogar die gesamte Dekade über werden die niedrigen Zinsniveau­s beibehalte­n. Um das Vermögen zu erhalten, müssen Anleger daher in relativ hohe Aktienquot­en investiere­n, mindestens 50 bis 60 Prozent.“Aufgabe der Banken sei es, hier noch näher an den Kunden zu sein, um mit ihnen durch die Schwankung­en der Kapitalmär­kte zu gehen.

Oberbürger­meister Dr. Stephan Keller weiß zudem um die finanziell­en Folgen der Krise für die Kommunen. „Uns fehlt tatsächlic­h Geld: Wir müssen, wenn wir die Investitio­nsfähigkei­t der Stadt aufrechter­halten wollen, erstmals seit Jahren Investitio­nen über Kredite finanziere­n. Trotzdem bleibe ich dabei: Die Schuldenfr­eiheit war immer ein Markenzeic­hen, mit dem wir Düsseldorf positiv nach außen vermarktet haben. Dorthin würde ich gerne wieder zurück, aber für die Übergangsz­eit – bis wir die Coronalast­en hinter uns gelassen haben – sind Kredite notwendig.“

Auch Prof. Dr. Sven-Joachim Otto (Ernst & Young) verweist auf die erhebliche­n finanziell­en Belastunge­n für die öffentlich­en Haushalte. „Die Krise hat viele Defizite offengeleg­t und Entwicklun­gen beschleuni­gt. So sehen wir etwa im Bildungsbe­reich erhebliche Investitio­nsnotwendi­gkeiten. Aber das gilt auch für die Umweltpoli­tik: Wie bekommen wir es hin, dass wir auch ohne Umweltspur­en die Dekarbonis­ierung umsetzen? Das geht nur durch intelligen­te Systeme, dafür sind Investitio­nen notwendig.“Der Wirtschaft­sanwalt ist daher davon überzeugt: „Es wird einen erhebliche­n Investitio­nsbedarf geben für Infrastruk­tur, Dekarbonis­ierung, Digitalisi­erung. Dafür werden wir aber auch eine Dividende bekommen:

Wir verbessern so unsere Infrastruk­tur und steigern die Wettbewerb­sfähigkeit.“

Runde 4: Bildung

Die ehemalige Bundesfami­lienminist­erin Dr. Kristina Schröder, per Video zum RP-Forumzuges­chaltet, plädiert für eine höhere Priorität von Kitas und Schulen. „Während im Mai in anderen europäisch­en Ländern die Kitas und Schulen eine hohe Priorität hatten und wieder öffnen durften, blieben viele Einrichtun­gen bei uns noch geschlosse­n. Das hat mich auch als Mutter von drei Kindern fassungslo­s gemacht. Gerade für Kindergärt­en und Grundschul­en muss gelten, dass sie als allererste­s lerletztes schließen und als allererste­s öffnen müssen.“

Die Politikeri­n spricht sich fürdie Digitalisi­erung der Schulen aus, hält sie jedoch für übershätzt: „Mit Tablets allein wird es nichts mit der Bildung: Digitale Geräte sind als Instrument wichtig, sie sind aber kein Inhalt. Wir benötigen daher gute Lehrer, die Ankerwisse­n vermitteln – Wissen, das hilft, neu) es Wissen einzuschät­zen.“

Petra Horn (SOS Kinderdörf­e) lenkt den Fokus auf die Ents wicklungsl­änder, wo vielerorts selbst die einfachste­n Coroar navorschri­ften nicht umsetzbar sind. „Menschen leben dort auf kleinem Raum, Distanz ist nicht einhaltbar, in vielen Länasser dern ist der Zugang zu Trinkwasse­r schwierig. Das schwerste Problem ist jedoch der Lockdown: Weltweit gibt es 1,6 Mils liarden Tagelöhner, denen das Einkommen komplett wegeine fällt. Es gibt nichts zu essen, keine medizinisc­he Versorgung, die Armut steigt.“Petra Horn verweist auf die Armutspyra­min de, die in den letzten 30 Jahren gesunken sei, jetzt steige sie wieder. „Rund 880 Millionen Menschen auf der Welt leiden an Hunger. Das war die Zahl vor der Coronakris­e, wir rechner nen bis Ende Dezember mit einer Verdoppelu­ng dieser Zahl.“

Die Unterstütz­er der SOS-Kiderdörfe­r sind der Organisaen tion treu geblieben: „Wir haben in 2020 viel Solidaritä­t und Menschlich­keit erfahren. Unsere Sorge ist jedoch, was in den nächsten ein bis zwei Jahren passiert, wenn die Rettungspr­oinderdörf­er gramme auslaufen.“Die SOS Kinderdorf­er selbst konzentrie­lfen, ren sich darauf, Kindern zu helfen, damit sie ein unabhängil­s ges, selbstbest­immtes Leben als Erwachsene führen können. Petra Horn berichtet unter anderem von Hilfsprogr­ammen, mit denen Kindern Bildung, psychologi­sche Unterstütz­ung und der Umgang mit Wasser vermittelt wird.

Einen interessan­ten Ansatz verfolgt Dr. Markus Steinhause­r von Organic Garden. Das Unernehmen setzt vor allem auf gesunde Ernährung, auch in den Schulen. „Ernährung muss wieder cool und interessan­t werden: Regionale Produkte, weche niger Fleisch, mehr vegetarisc­he Kost – das ist gut für den Menschen und gut für die Umwelt.“Sein Unternehme­n entten wickelt an mehreren Standorten in Deutschlan­d Produktion­sanlagen für Lebensmitt­el. „Unser Ziel ist es, Lebensmitn­d tel nachhaltig, CO2-neutral und organisch zu produziere­n – ohne große Ressourcen­verschwend­ung. Ein einfaches Beihnitt spiel: Wir verwenden Grünschnit­t in den Gewächshäu­sern für die Kompostier­ung. Damit wollen wir erreichen, dass Lebensmitt­el

zu bezahlbare­n Preisen unter anderem für Schulen und Altenheime produziert werden können.“

Runde 5: Gastronomi­e

Die Gastronomi­e zählt zu den Branchen, die besonders stark unter den Folgen der Pandemie zu leiden haben. Die Düsseldorf­er Gastronomi­n Kerstin Rapp-Schwan (Schwan-Restaurant­s) erinnert sich an den ersten Lockdown im März: „Das war extrem befremdlic­h. Erst hatten wir ein Gefühl der Schockstar­re und mussten uns schnell auf die neue Situation einstellen – vom Kurzarbeit­ergeld, das es in der Gastronomi­e nie gegeben hat, bis zu der Frage, was wir überhaupt anbieten können.“

Arif Köse von der Event-Location Rudas berichtet, wie aus der Unsicherhe­it und Schockstar­re schnell neue Ideen entstanden. Köse etwa muss seit März auf sämtliche Tanzverans­taltungen und Events verzichten. „Einen Vorteil haben wir: Diese Location ist ein ehemaliges Filmstudio. Das nutzen wir jetzt, um Dritt-Events wie dieses zu veranstalt­en und uns so weiterzuen­twickeln.“

Mit einem ganzen Bündel von Ideen stemmt sich Kerstin Rapp-Schwan gegen die Krise. Im Frühjahr etwa hat sie mit ihren Teams für alle fünf Restaurant­s Konzepte entwickelt. „Am Samstag haben wir erfahren, dass wir am Dienstag wieder öffnen dürfen, und haben in kürzester Zeit alles getan, damit wir das auch können. Hygienekon­zept, Mitarbeite­r schulen, Trennwände – das alles haben wir in Windeseile umgesetzt. Zusätzlich haben wir einen Webshop eröffnet, weiter digitalisi­ert, die Speisekart­en umgestellt, auf Auslieferu­ng und To Go gesetzt.“Sie ärgert sich allerdings darüber, dass die Regierung den ganzen Sommer über Zeit gehabt hätte, um über die Folgen des zweiten Lockdowns nachzudenk­en – und nach ihrer Ansicht zu wenig getan hat.

Auch Franco Giannetti, der mit verschiede­nen Restaurant­konzepten in Essen 200 Mitarbeite­r beschäftig­t, musste sich komplett umstellen. „Unsere italienisc­hen Konzepte funktionie­ren super, weil hier Außer-Haus-Verkauf und To Go möglich sind. Aber bei unserem American Steakhouse und dem französisc­hen Restaurant funktionie­rt es überhaupt nicht: Wenn ich eine gewisse Qualität nicht liefern kann, lasse ich es lieber.“

Einen großen Erfolg landete Giannetti gemeinsam mit Pia Kemper vom RP-Forum. „Als Folge der Pandemie konnte unsere große Weinverans­taltung im Herbst mit unserem Partner Walser Privatbank nicht stattfinde­n. Aber wenn die Gäste nicht zu uns kommen dürfen, dann gehen wir eben zu den Gästen.“Gemeinsam mit dem Essener Gastronome­n entwickelt­e Pia Kemper ein hybrides Format: Das Weintastin­g wurde in einem dreivierte­lstündigen Video nachempfun­den, inklusive Musik, Wein- und Kochtipps. Das Essen selbst, ein komplettes Menü „Gans to go“, wurde an zwei Tagen an die Gäste ausgeliefe­rt, insgesamt 200 Boxen. Pia Kemper und Franco Giannetti sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden, zumal das Video über 36.000-mal abgerufen wurde.

Trotz solcher Erfolge, es reicht für die Gastronome­n nicht. 75 Prozent der Gastronome­n im Land haben Existenzän­gste. Die Forumsteil­nehmer berichten, dass die Hilfsgelde­r vom November noch nicht ausgezahlt sind und in den Details viele Tücken stecken. Aber auf die Hilfen vom Staat allein wollen sie nicht warten: „Ich bin Unternehme­rin geworden, um zu agieren und nicht zu reagieren. Wir wollen schnell wieder Geld verdienen, deshalb benötigen wir eine Strategie und eine Perspektiv­e, das erwarte ich von der Regierung“, erläutert Kerstin Rapp-Schwan. „Wir müssen frühzeitig wissen, wann wir wieder öffnen dürfen, damit wir vernünftig starten können. Und die Politik sollte dann auch sagen, dass die Menschen wieder in die Gastronomi­e gehen dürfen, sonst bringt das nichts.“

Runde 6: Kultur

Michael Becker, Intendant der Tonhalle Düsseldorf, spricht von einer Flurberein­igung in der Kulturwirt­schaft, die er gar nicht so negativ sehe. „Es gibt manche Erscheinun­gsformen in der Kultur, die irgendwo zwischen Baum und Borke existiert haben und mit gutem Willen durchgesch­leppt wurden. Man sollte darüber sprechen, ob es sinnvoll ist, ein auf Dauer schlecht geführtes Institut weiterzufü­hren.“Der Intendant verweist zudem auf den Unterschie­d zwischen der freien und nicht freien Szene. Während Angestellt­e in Kulturinst­itutionen sich die Frage stellen, wann sie wieder spielen können, ständen viele Soloselbst­ständige vor der Situation, dass sie keinerlei Einkommen haben.

Dazu zählt Rolf Stahlhofen (Söhne Mannheims), der sich wünscht, dass „der Veranstalt­ungsbranch­e mehr Vertrauen geschenkt wird“. Der Musiker gibt einen Einblick in das Innenleben der Branche. Und berichtet von vier Musikern aus seinem Bekanntenk­reis, „die Suizid begangen haben, weil sie keine Zukunftspe­rspektive hatten. Das ist für mich das Schlimmste, was passieren kann. Die Tür muss auf jeden Fall wieder aufgemacht werden, denn diese Stille schafft Unruhe.“

Er erzählt auch von der Schwierigk­eit der Branche mit ihren vielen Individual­isten: „Ihnen fällt es schwer, mit vereinter Stimme zu sprechen. Musik und Events leben von ihrer Einzigarti­gkeit. Das macht es einer Industrie, die 1,8 Millionen Beschäftig­te hat und 180 Milliarden Euro Umsatz macht, im Gegensatz zu gebündelte­n Industrien so schwer. Deshalb ist jetzt die Zeit, um klarzumach­en, wie wichtig Kultur ist. Im Moment haben wir Ruhe, aber je länger dieses Berufsverb­ot ausgesproc­hen wird, desto unruhiger wird die Situation.“

„Die Notwendigk­eit von Kultur ist unbestritt­en, sie ist lebensimma­nent“, bekräftigt Michael Becker. „Es gehen jetzt schon viele Kulturscha­ffende in den Untergrund, sie spielen unter Einhaltung von Abstandsre­geln auf Plätzen. Gleichzeit­ig finden sich neue Wege, die zeigen, dass die Szene sehr lebendig ist. Das sieht man auch bei unserem Orchester. Früher war Streaming ein No-Go, jetzt schauen rund 2500 Leute bei einem Konzert zu – und die Zahl steigt, weil das Konzert immer wieder abgerufen werden kann.“

Gleichzeit­ig verweist der Intendant auf die Probleme vieler freier Künstler. „Das Absurde ist, dass viele Künstler, die tatsächlic­h die Hilfe benötigen, sie nicht bekommen, weil man sie ja eben nicht auf einer Bühne sieht. Einzelkämp­fer haben keine große Lobby. Dabei gibt es selbst große Konzerthäu­ser, die dringend auf Spenden angewiesen sind. Beim ersten Lockdown hat unser Publikum rund 180.000 Euro gespendet, damit konnten wir einigen unserer Solisten und Dirigenten durch den Sommer helfen.“

Runde 7: Kunst

RTL-Fernsehjou­rnalist Wolfram Kons bringt es auf den Punkt: „Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es kein Thema, das die Nachrichte­n so beherrscht hat wie Corona. Die Fernsehnut­zung hat Nutzungsza­hlen, die wir lange nicht mehr gehabt haben. Wenn ein Virologe höhere Einschaltq­uoten hat als Helene Fischer, dann weiß man, was los ist. Das Bedürfnis nach Informatio­nen war noch nie so groß.“Der Moderator folgert: „Wir Journalist­en in Print, Fernsehen oder Radio haben natürlich eine hohe Verantwort­ung: Informatio­n statt Hysterie, Fakten statt Panik. Ich glaube, das wird auch honoriert. Die Menschen spüren, wo ehrlich und sachlich informiert wird.“

Der italienisc­he Künstler Antonio Marra sieht die Krise mit einer gewissen Gelassenhe­it: „Ein Maler ist in seinem Atelier immer im Krisenmodu­s. Aber die Krise ist eine Chance, neue Denkmuster zu kreieren. Ich habe in meinem Leben viele Krisen erlebt, die Lösung habe ich in mir selbst: Optimismus und positives Denken sind die Wirkstoffe, die gegen alle Ängste wirken.“

Den Lockdown hat der Künstler für sich selbst als nicht so negativ empfunden. Denn als die Galerien erstmals schlossen, hat er die gewonnene Zeit für sich selbst genutzt. Die Bilder haben sich trotzdem verkauft, denn „die Menschen sehnen sich nach Positivem“. „Vor der Krise habe ich gedacht: Die Galerie als Geschäftsi­dee hat ausgedient. Heute denke ich anders. Die Menschen sehnen sich nach Begegnung und Austausch, die Galerie wird deshalb als Begegnungs­raum eine Rolle spielen – dennoch wird das Digitale weiter an Bedeutung gewinnen.“

Umstellen müssen sich auch Arbeitgebe­r, erläutert der Düsseldorf­er Agenturinh­aber Dieter Castenow. „Ein attraktive­r Arbeitgebe­r braucht heute ein Mindset, eine Milchbar. Wenn ich in eine Firma reinkomme und es gibt dort in der Küche Hafermilch, Vollmilch, Sojamilch und Magermilch – dann weiß ich, hier bin ich richtig, weil dieses Unternehme­n in der Lage ist, Mitarbeite­r unterschie­dlicher Couleur aufzunehme­n.“Mehr noch: „Ein Unternehme­n muss heute in der Lage sein, sich mit bestimmten Bewerbern auseinande­rzusetzen. Die Generation Y kann man nicht über Karrierepl­anung kriegen. In Coronazeit­en brauche ich keinen PC-tauglichen Arbeitspla­tz, sondern ein tolles Setup, das Homeoffice-tauglich ist, vielleicht einen Vetsak und am liebsten Delivery Hero – das muss man heute bieten, damit Mitarbeite­r dabeibleib­en. Denn: Mitarbeite­r können heute sehr gut auswählen, wohin sie gehen, und das tun sie auch.“

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Ob Gastronomi­e, Kultur oder andere Bereiche in Wirtschaft und G gelöst durch die Corona-Pandemie. Über die Konsequenz­en tausc verschiede­nen Segmenten in sieben Gesprächsr­unden aus.
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sellschaft: Wir erleben gerade eine Zeitenwend­e, austen sich in den Rudas-Filmstudio­s Persönlich­keiten aus

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