Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Dem Pferd ins Maul geschaut
Etwa ein Dutzend Tierärzte am Niederrhein sind auf Pferdezahnheilkunde spezialisiert. Einer von ihnen ist der Mönchengladbacher Tassilo von Oppen. Er ist auch auf Reiterhöfen im Einsatz.
MÖNCHENGLADBACH Knatschig steht Disney in der hintersten Ecke seiner Box. Gerade hat Tassilo von Oppen die Stallgasse betreten. Und der Wallach weiß sofort, was auf ihn zukommt. Schließlich ist der 23-jährige Rheinländer Routinier in Sachen Zahnbehandlung, er erhält sie einmal im Jahr.
Auf seinem Werkzeugwagen vor Disneys Box legt sich von Oppen die für Behandlungen von Pferdezähnen benötigte Ausstattung zurecht: Kopflampe, Maulgatter, Kopfhalter, Motor und Welle, Handstücke von 32 und 50 Zentimeter Länge, Fräser, Extraktionszangen, Zahnspiegel, Nylonspritze zur Maulspülung. Der Tierarzt setzt seine Kopflampe auf, um Disneys Maulhöhle zunächst gründlich zu untersuchen. Die Backenzähne haben Haken und Kanten, die abgeschliffen werden müssen, damit sie nicht zu Verletzungen
an Backenschleimhaut und Zunge führen. Auch die Schneidezähne will er fräsen.
Dann untersucht er den Wallach, um die Dosis des Sedativs bestimmen zu können. „Ich benötige im Schnitt eine halbe Stunde Behandlung pro Pferd. Die damit verbundenen Fräs- und Schleifgeräusche, die entstehenden Vibrationen und meine helle Lampe sind dem Fluchttier Pferd ohne Sedierung nicht zumutbar“, erklärt der 49-Jährige beim Aufziehen und Setzen der Beruhigungsspritze.
Es dauert, bis die Wirkung einsetzt. Disney ist ängstlich, stemmt sich gegen die Wirkung des Beruhigungsmittels.
Yannick Pferdmenges assistiert dem Tierarzt. Er lehnt Disney gegen die Wand, um ihm Halt zu geben. Als der Blick des Pferds leer wird, legt von Oppen Disney das Maulgatter an, damit Disneys Mundhöhle zur Behandlung offen bleibt.
Seelenruhig wirft der Tierarzt den Motor an, schraubt den Mundhöhlenfräser auf das Handstück und beginnt mit seiner Arbeit. Es wird laut. Und es dauert. Erst kommt bei Disneys Backenzähnen die Raspel mit der groben Körnung zum Einsatz, dann eine feinere. Von Oppen wechselt den Fräser, um die Schneidezähne zu begradigen und dem Pferd damit einen glatten Mahlvorgang beim Fressen zu ermöglichen. Noch ein paar Mal kreischt die Fräse auf, dann wird Disneys Maul ausgespült. Von Oppen dokumentiert in Disneys Zahnpass, welche Zähne er wie behandelt hat sowie die Dosis des Sedativs.
Die Arbeit des Pferdezahnarztes ist wichtig: Die 36 Schneide- und Backenzähne eines Pferdes nutzen sich pro Jahr um zwei bis drei Millimeter ab. Im selben Zeitraum und in derselben Länge werden die Zähne aus dem Zahnfach nachgeschoben. Dieses Wachstum endet erst im Alter von sieben bis neun Jahren. Alte Pferde besitzen komplett abgenutzte Schneide- und Backenzähne. Der Zahnwechsel von den Milchzähnen zu den bleibenden Zähnen tritt etwa im dritten Lebensjahr ein. Da Pferde in diesem Alter üblicherweise angeritten werden, sollte ihr Gebiss zu dem Zeitpunkt auf überflüssige und scharfkantige Zähne kontrolliert werden.
Das beinahe permanente Fressen von fasrigem Pflanzenmaterial sorgte bei Wildpferden für einen natürlichen Zahnabrieb. Mit der Domestikation der Tiere werden die Zähne anders beansprucht. Daher sollten sie einmal im Jahr auf Haken, Wellen, Kanten, aber auch auf Karies und Zahnstein überprüft werden. Ob ein Pferd Zahnschmerzen hat, erkennt der Fachmann unter anderem an Rittigkeitsproblemen, Gewichtsabnahme trotz ausreichender Futtermenge oder auch an verstärktem Speicheln. Mit täglichen Gaben von ausreichend Raufutter und gelegentlich einem Ast zum Knabbern kann der Halter Zahnproblemen beim Pferd vorbeugen.