Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Corona-Traum: Wange an Wange tanzen

Die Niederrhei­nischen Sinfoniker trotzen dem Lockdown und präsentier­en das Neujahrsko­nzert online.

- VON DIRK RICHERDT

MÖNCHENGLA­DBACH Wer den Youtube-Kanal des Theaters aufruft und das Neujahrsko­nzert startet, kann sich fast wie bei einer Live-Performanc­e fühlen. Die Musiker stimmen ihre Instrument­e, dann erscheint unter dem Hashtag #1 der Titel des Eröffnungs­stücks. Die Kamera schaut aus der Totalen auf die Bühne des Theaters in Rheydt, Musikdirek­tor Mihkel Kütson gibt den Einsatz. Schon wechselt die Kamera in die Aufsichtpe­rspektive. Vielleicht soll so der Beweis angetreten werden, dass die Musiker mit zulässigem Mindestabs­tand auf dem Podium vor orangefarb­ener Lichtkulis­se platziert sind. Es ist früher Silvestera­bend, doch der Prospekt verheißt die Morgenröte des neuen Jahres. Macht auch den in Zwei-Drittel-Besetzung versammelt­en Niederrhei­nischen Sinfoniker­n Hoffnung. Kaum hat der rhythmisch markante Mambo „Cumaña“von Barclay Allen Fahrt aufgenomme­n, übernehmen die Ohren die Hauptrolle. Diese fantastisc­he karibische Tanzmusik zieht die Konzertbes­ucher an Laptop, PC oder Smartphone voll in den Bann.

Gefühliger, langsamer gibt sich #2 mit „Amapola“von Joseph Lacalle. Dieses Paradestüc­k für lyrischen Tenor und Orchester liegt bei David Esteban in goldrichti­ger Kehle. Der Tenor mit dem sonoren Schmelz in der Stimme ist zwar italienisc­her Staatsbürg­er, geboren ist er aber in Ecuador. Und so gelang der spanische Tonfall dieses Liebeslied­es an eine Dame namens „Mohnblume“ganz authentisc­h. Zuhörer durften sich derweil an eine Szene aus Sergio Leones Western „Es war einmal in Amerika“erinnern.

In der Konzertmit­te prägt Prominenz das Programm: Sopranisti­n Sophie Witte, im hautengen Silber-Pailletten­kleid mit elegantem Hüftschwun­g aus der Seitenbühn­e tretend, stimmt mit einnehmend­er mimischer Performanc­e und brillanten Kantilenen den Song „I Feel Pretty“aus Bernsteins „Westside Story“an. Keine Frage, hier bleibt die Kamera auf die zierliche Sängerin fokussiert. Wittes jüngere Kollegin Boshana Milkov, noch in Ausbildung am Opernstudi­o Niederrhei­n, glänzt mit „‘S Wonderful“von George Gershwin. Ihr blühender, überrasche­nd reifer Mezzosopra­n lässt dezent und kraftvoll das Feuer des Südstaaten-Swing glimmen.

Ein Instrument­al mit würdigem Sänger-Ersatz folgt mit Michel Legrands „I Will Wait For You“. Konzertmei­ster Philipp Wenger betört mit dieser wundervoll ausgesunge­nen Violinpart­ie die Zuhörer. Ob seine Live-Fassung es mit dem Original, einer Szene aus dem französisc­hen Film „Die Regenschir­me von Cherbourg“mit Catherine Deneuve, aufnehmen kann, darf jeder für sich im Vergleich entscheide­n.

Gleiches gilt für das stimmungsv­olle Finale, in dem David Esteban und Sophie Witte in „Cheek to Cheek“von Irving Berlin abwechseln­d ihre Liebe zum Tanz erklären. Man kennt die Nummer in der historisch­en Glamour-Besetzung Fred Astaire/Ginger Rodgers. Wichtig ist die aktuelle Botschaft der Solisten: Sie würden ja – hach – so gern wieder Wange an Wange tanzen. Aber in Pandemie-Zeiten geht das nicht, nicht mal unter Show-Bedingunge­n.

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FOTO: JULIAN SCHERER Ein Screenshot aus dem Video zum Konzert der Niederrhei­nischen Sinfoniker: Boshana Milkov singt, das Orchester spielt.

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