Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Als die Atomrakete im Vorgarten landete.
In einem 40 Jahre alten Film wird an einen kuriosen Unfall in Wildenrath erinnert. Damals verunglückte ein Lkw der Bundeswehr und eine Atomrakete landete im Vorgarten eines Hauses an der Heinsberger Straße.
WILDENRATH In der aktuellen Corona-Pandemie ist häufig von Krisenzeit die Rede und von Bedrohung der Gesellschaft. Gefährliche Zeiten für die Menschheit gab es aber immer schon, allerdings aus höchst unterschiedlichen Gründen. So entwickelten sich die 1980er Jahre wegen der weltweiten Aufrüstung zu einem besonders gefährlichen Jahrzehnt. Sowjetische SS-20-Raketen, atomare Aufrüstung der amerikanischen Mittelstreckraketen Pershing II, Flugabwehrkörper des Typs Cruise Missiles, Nato-Doppelbeschluss – die Welt stand damals am Rande des dritten Weltkriegs. Und mittendrin war die Stadt Wegberg, wo sich mehrere Jahrzehnte lang eine der größten Verteidigungsanlagen des westlichen Bündnisses befand. Im Jahr 1981, vor genau 40 Jahren, dokumentierte der TV-Journalist Andrej Bockelmann, dass damals im Wegberger Stadtgebiet das Herzen des Raketenzentrums Niederrhein lag.
„Nirgendwo in der Bundesrepublik habe ich vom Auto aus so viele Raketen entdeckt wie auf meiner Fahrt nach Wegberg“, beginnt Andrej Bockelhmann seine TV-Dokumentation mit dem Titel „Mit Raketen leben“, aus dem Jahr 1981, die auch bei Youtube zu finden ist. Zu sehen sind dabei Flugabwehrraketen, die damals rund um den Flughafen der britischen Luftstreitkräfte Royal Air Force (RAF) in Wegberg-Wildenrath postiert waren.
In seiner TV-Dokumentation gelingt es Andrej Bockelmann und Kameramann Ian Millar, das Bedrohungsszenario zu Zeiten des Kalten Krieges einzufangen. Von den Flughäfen der britischen Royal Air Force in Wildenrath und Elmpt aus drehten damals Düsenbomber ihre Alarmbereitschaft-, Abschreckungsund Übungsrunden. Massiver Fluglärm gehörte damals für viele Menschen in Wegberg, Wassenberg und Erkelenz zum ganz normalen Alltag. Einige Bürger engagierten sich in einer örtlichen Bürgerinitiative, die von der Friedensbewegung unterstützt wurde. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass im Wald bei Arsbeck amerikanische Atomraketen des Typs Pershing II und Cruise Missiles lagerten, die sich auch als Angriffswaffen eigneten und mit denen im Ernstfall in kürzester Zeit die Kampfflugzeuge in Wildenrath und Elmpt hätten bestückt werden können. Offiziell bestätigt wurde die Lagerung von Atomwaffen in Arsbeck von Seiten des Militärs nie.
Ein kurioser Unfall aus der Zeit des Kalten Krieges ist in dem Film von Andrej Bockelmann auch dokumentiert. So weist der Filmemacher auf eine Schleifspur auf der Heinsberger Straße in Wildenrath (alte Bundesstraße 221) hin, die daran erinnerte, dass dort 1979 ein Sattelschlepper der Bundeswehr umstürzte und plötzlich mitten in Wildenrath eine Atomrakete im Vorgarten eines Hauses lag. „Es gab und gibt gute Gründe für eine Beunruhigung der Bevölkerung“, merkt Andrej Bockelmann dazu in seiner TV-Dokumentation an.
Was war damals in Wildenrath passiert? Aus Zeitungsberichten geht hervor, dass ein etwa 15 Meter langer Sattelschlepper der Bundeswehr aus Teveren am Montag, 23. Juli 1979, gegen 16.30 Uhr in der scharfen Kurve der Heinsberger Straße verunglückt war. Das Fahrzeug hatte eine Rakete geladen, die bei dem Unfall im Vorgarten eines Hauses landete. Das Militärfahrzeug hatte in der scharfen Rechtskurve das Gleichgewicht verloren und war auf ein entgegenkommendes englisches Auto gestürzt, heißt es in den Zeitungsberichten weiter. Der Fahrer des Sattelzuges soll ein 24-jähriger Bundeswehrsoldat aus Erkelenz gewesen sein. Er und sein 20 Jahre alter Beifahrer seien mit schweren Verletzungen ins Wegberger Krankenhaus gebracht worden, ein dritter Mitfahrer habe leichte Verletzungen erlitten. Die beiden Briten (27 und 23 Jahre alt), die im Auto saßen, waren Angehörige der Royal-Air-Force Wildenrath und konnten aus dem völlig zerstörten Fahrzeug mit leichten Verletzungen geborgen werden. Sie seien mit dem Schrecken davongekommen, heißt es weiter.
Der Schaden bei dem Unfall in Wildenrath, bei dem eine Atomrakete im Vorgarten landete, wurde damals auf rund 1,5 bis zwei Millionen Mark geschätzt. Die Unfallstelle war sofort zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden. Spezialisten der Bundeswehr sollten am Tag nach dem Unfall den verunglückten Sattelzug samt Rakete nach Teveren transportieren.