Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Es hörte sich sehr langfristig an“
Der Abwehrchef spricht über seine Zukunft und Trainer Marco Rose, warnt vor einer gefährlichen Situation und verrät, wie er sich mental stärkt.
Herr Ginter, wie war der Kurzurlaub?
GINTER Es waren ja nur drei, vier Tage, aber sie haben gutgetan. Wir waren in unserer Heimat Freiburg und hatten dort sogar Schnee. Das war gut, um den Kopf freizukriegen. Jetzt kann man mit neuer Power wieder in die Saison gehen. Ich denke, wir sind alle vorbereitet.
Bei Ihnen scheint es, dass die vielen Spiele, die es bisher gab, weniger ein Problem als ein Elixier sind. Sie haben 2354 Minuten seit Anfang September gespielt, mehr als jeder andere Bundesliga-Profi und haben eine Zweikampfquote von rund 70 Prozent.
GINTER (grinst) Das kann man so sagen mit dem Elixier. Ich sehe es eher so, dass man dankbar sein soll, dass wir, gerade im Vergleich zu anderen Berufen, trotz der Pandemie unseren Job ausüben können. Und es macht ja auch Spaß, sich alle drei, vier Tage auf Top-Niveau zu messen und bestenfalls erfolgreich zu sein und Spiele zu gewinnen. Natürlich ist es auch anstrengend, für den Körper und für den Kopf.
Wie gehen Sie mit dem mentalen Stress um?
GINTER Ich habe meine Dinge, die ich über die Jahre gelernt habe, um den Stress zu verarbeiten. Ich versuche zu Hause bei meiner Familie so gut wie möglich abzuschalten. Und darüber hinaus gehe ich seit einiger Zeit mit mentaler Unterstützung an die Sachen heran. So versuche ich gewisse Sachen schnell zu verarbeiten, wenn es gut oder nicht so gut lief. So hänge ich nicht an Vergangenem fest, sondern kann nach vorn schauen und mich immer auf das nächste Spiel und das nächste Training fokussieren. Das gehört für mich dazu, um gute Leistungen zu bringen.
Sie haben einen Mentalcoach?
GINTER Es ist kein Mentalcoach, sondern eher ein Sportpsychologe. Wir sprechen, wenn es nötig ist, sowohl über sportliche als auch private Dinge. Das ist für mich eine große Hilfe, um über die ganzen Jahre den Fokus halten zu können. Aber es muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden, ob er so etwas nutzt oder nicht. Ich habe auch erst mit zwei anderen Leuten zusammengearbeitet, da passte es aber nicht, es war mir zu oberflächlich. Jetzt ist es richtig. Es muss sich gut anfühlen, um sich darauf einzulassen. Mir hilft das wahnsinnig und deshalb werde ich auch dranbleiben.
Also geht es um den gesunden Geist ebenso wie den gesunden Körper?
GINTER Ja, das ist so. Ich habe verschiedene Methoden, mich über das normale Training hinaus körperlich fit zu halten. Über allem steht die Gesundheit und man sollte alles in der Macht Stehende tun, sie zu erhalten. Unser Körper ist unser Kapital. Man kann nicht alles verhindern, aber gerade in der Zeit, in der man wenig trainieren kann, sollte man auch die wenige Zeit nutzen, um sich weiter zu verbessern. Da spielt auch der Kopf eine große Rolle.
Schauen wir auf die Borussia-Bilanz. Vergangene Saison waren Sie Chef der drittbesten Abwehr der Bundesliga mit einem Schnitt von 1,17 Gegentoren. Jetzt liegt der Schnitt bei 1,69. Wie kommt das? Man hat den Eindruck, dass die gesamtmannschaftliche Defensivarbeit nicht immer optimal klappt.
GINTER Es ist kein Geheimnis, dass die Gegentore, die wir bekommen und auch die zugelassenen Chancen der Gegner, nicht immer mit der Leistung der Abwehr zu tun haben. Gegen Berlin zu Hause haben zum Beispiel die Defensivspieler ein gutes Spiel gemacht. Es ist aber ganz normal, dass man aufgrund der vielen Spiele mehr einfache Fehler
macht und auch mal zu leichte Ballverluste hat. Ich glaube, es waren sieben oder acht Tore, die wir dadurch bekommen haben. Es spielten aber auch defensiv-taktische Dinge eine Rolle, wie die Konterabsicherung, wodurch wir Gegentore bekommen haben, da nehme ich mich natürlich auch nicht raus. Darüber hinaus schaffen wir es nicht mehr, ganz so kompakt zu stehen und die Räume zuzulaufen. Aber auch das hat mit der Vielzahl der Spiele zu tun. Wir sind eben kein Team, dass sich hinten reinstellt und auf den Gegner wartet, um Kraft zu sparen. Wenn wir das tun würden, hätten wir wohl weniger Gegentore bekommen, aber bestimmt selbst auch weniger Tore geschossen. Wir versuchen immer aktiv zu sein und nach vorn zu verteidigen – da kann es schon mal passieren, dass es nicht immer ganz so stabil ist, wenn Fehler passieren.
Am Konzept liegt es nicht?
GINTER Nein, das würde ich nicht sagen. Wir haben auch gezeigt, dass wir erfolgreich sein können, gerade in der Champions League. Wenn aber ein paar Spieler etwas müder sind, kann es sein, dass vom Kopf her Fehler passieren oder vom Körper her und die letzten Meter nicht gemacht werden können. Das hat dann eben auch mal Konsequenzen in Form von Gegentoren.
Die Art des Spiels ist eng verbunden mit Trainer Marco Rose. Es heißt, er könne im Sommer zu Borussia Dortmund, ihrem Ex-Verein, wechseln. Haben Sie sich dort mal erkundigt, wie der Stand ist?
GINTER Nein, das nicht. Aber natürlich ist das ein Thema für das Team. Aber ich habe mit dem Trainer auch gesprochen über das, was er in Gladbach vorhat, auch als im Sommer bei mir Gerüchte aufkamen, und was er sagte, hörte sich doch sehr langfristig an. Daher würde es mich überraschen, wenn er nach zwei Saisons schon wieder Abwanderungsgedanken hätte. Ich kann also alle, die es mit Gladbach halten, etwas beruhigen, was die Zukunft des Trainers angeht. So wie ich ihn kennengelernt habe, schätze ich ihn so ein, dass er seine Meinung nicht so schnell ändert.
Wäre es auch für das Team hilfreich, wenn er klar sagen würde, dass er bleibt?
GINTER Auch mit so einem Thema geht jeder anders um. Mancher macht sich viele Gedanken darüber, andere weniger. Max Eberl hat ja angedeutet, dass der Trainer zu 99 Prozent bleibt. 100 Prozent gibt es im Fußball sehr selten. Sicher kann der Trainer auch sagen: Ja, ich bleibe. Aber es kann ja immer das unglaubliche Angebot kommen, das alles verändert.
Ur-Borusse Berti Vogts sagt, es wäre schön, wenn mal wieder ein Trainer in Gladbach eine Ära über viele Jahre prägt. Wie wichtig ist so etwas? Sie kennen das aus Freiburg mit Christian Streich.
GINTER Berti Vogts hat sicherlich Recht, dass es gut für einen Klub ist, wenn es auf dem wichtigen Positionen Kontinuität gibt. Das wird hier bei Borussia ja von ganz oben auch vorgelebt. Das zeigt die Verlängerung der Verträge von Max Eberl und Stephan Schippers. Und auch auf der Trainerposition ist klar: Wenn alle zwei, drei Jahre gewechselt wird, ist es schwieriger, eine kontinuierliche Philosophie ins Team zu bringen. Es gibt ja bei uns Spieler, die auch aufgrund des Trainers hergewechselt sind, Hannes Wolf oder Tino Lazaro zum Beispiel, die eine Vergangenheit mit ihm haben. Ein neuer Trainer würde natürlich andere Akzente setzen. Das muss nicht immer nachteilig sein, aber Kontinuität bringt immer auch Stabilität.
Das könnte man auch auf die Position des Abwehrchefs übersetzen. Wie steht es um Ihre Zukunft? Gibt es inzwischen erste Gespräche wegen einer Verlängerung?
GINTER Es hat sich am Stand der Dinge nicht viel geändert. Und in nächster Zeit wird sich auch nicht viel tun, dafür spielen zu viele Faktoren eine Rolle, die noch nicht feststehen. Wie geht es weiter mit der Pandemie? Wie bleibt das Team hier zusammen? Wohin geht es sportlich? Natürlich spielt der Faktor Trainer ebenfalls eine Rolle. Er gibt die sportliche Linie vor, in der man sich dann zurechtfinden muss, darum ist er von großer Bedeutung für einen einzelnen Spieler. Aber was meinen Vertrag angeht, gibt es auch keinen Zeitdruck, das haben der Verein und ich betont. Ich habe immer gesagt, dass ich mir vorstellen kann, zu verlängern, aber es wird denke ich erst Richtung Sommer final entschieden.
Was den sportlichen Weg angeht, wird der Start ins neue Jahr eine große Rolle spielen. Erst geht es nach Bielefeld, dann kommen die Bayern.
GINTER Arminia ist sicherlich gerade im eigenen Stadion unter ihren Möglichkeiten geblieben. Da werden wir nur mit unserer besten Leistung bestehen können. Und wir wissen alle, wie gut die Bayern sind. Aber wir wollen zeigen, dass wir mithalten können. Das letzte Heimspiel gegen die Bayern haben wir gewonnen, doch das war noch mit Publikum. Gerade so ein Spiel ist natürlich nochmal etwas anderes, wenn Fans dabei sind. Aber damit haben alle Klubs zu kämpfen.
Was bleibt Ihnen von 2020 in Erinnerung?
GINTER Als negatives Erlebnis besonders die Geisterspiele, gerade das erste gegen Köln. Das hat sich nicht nach Bundesliga angefühlt, war ganz, ganz komisch. Dann die lange Unterbrechung beim ersten Lockdown, wo man nicht wusste, wie es weitergeht und dann erst mal in kleinen Gruppen trainieren durfte. Es fühlte sich alles sehr komisch an und war hoffentlich ein einmaliges Erlebnis. Toll waren der Einzug in die Champions League nach dem Endspurt in der letzten Saison und jetzt die Spiele mit Borussia und der Einzug ins Achtelfinale.
Achtelfinale in der Champions League und im DFB-Pokal, in der Liga aber etwas hinten dran, was die Champions-League-Plätze angeht – was kann man im ersten Halbjahr 2021 von Gladbach erwarten?
GINTER Es wird auf jeden Fall spannend, aber es ist auch gefährlich, wenn beispielsweise zu sehr das große Champions-League-Erlebnis mit Manchester City im Fokus ist und die Situation beschönigt. Wir sind momentan lediglich Achter in der Liga, das darf man nicht vergessen. Im DFB-Pokal ist vieles möglich, aber es braucht da auch Losglück. Es liegt in allem eine große Chance. Wenn wir auf der Hut sind, kann es ein gutes Halbjahr werden, aber es kann eben auch anders kommen. Wir sind ein bisschen am Scheideweg, ob es eine gute Saison wird oder eine nicht so gute. Darum müssen wir jetzt in Bielefeld gleich voll da sein. Dort zu gewinnen, würde uns als Team sehr guttun.