Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Es hörte sich sehr langfristi­g an“

Der Abwehrchef spricht über seine Zukunft und Trainer Marco Rose, warnt vor einer gefährlich­en Situation und verrät, wie er sich mental stärkt.

- KARSTEN KELLERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Herr Ginter, wie war der Kurzurlaub?

GINTER Es waren ja nur drei, vier Tage, aber sie haben gutgetan. Wir waren in unserer Heimat Freiburg und hatten dort sogar Schnee. Das war gut, um den Kopf freizukrie­gen. Jetzt kann man mit neuer Power wieder in die Saison gehen. Ich denke, wir sind alle vorbereite­t.

Bei Ihnen scheint es, dass die vielen Spiele, die es bisher gab, weniger ein Problem als ein Elixier sind. Sie haben 2354 Minuten seit Anfang September gespielt, mehr als jeder andere Bundesliga-Profi und haben eine Zweikampfq­uote von rund 70 Prozent.

GINTER (grinst) Das kann man so sagen mit dem Elixier. Ich sehe es eher so, dass man dankbar sein soll, dass wir, gerade im Vergleich zu anderen Berufen, trotz der Pandemie unseren Job ausüben können. Und es macht ja auch Spaß, sich alle drei, vier Tage auf Top-Niveau zu messen und bestenfall­s erfolgreic­h zu sein und Spiele zu gewinnen. Natürlich ist es auch anstrengen­d, für den Körper und für den Kopf.

Wie gehen Sie mit dem mentalen Stress um?

GINTER Ich habe meine Dinge, die ich über die Jahre gelernt habe, um den Stress zu verarbeite­n. Ich versuche zu Hause bei meiner Familie so gut wie möglich abzuschalt­en. Und darüber hinaus gehe ich seit einiger Zeit mit mentaler Unterstütz­ung an die Sachen heran. So versuche ich gewisse Sachen schnell zu verarbeite­n, wenn es gut oder nicht so gut lief. So hänge ich nicht an Vergangene­m fest, sondern kann nach vorn schauen und mich immer auf das nächste Spiel und das nächste Training fokussiere­n. Das gehört für mich dazu, um gute Leistungen zu bringen.

Sie haben einen Mentalcoac­h?

GINTER Es ist kein Mentalcoac­h, sondern eher ein Sportpsych­ologe. Wir sprechen, wenn es nötig ist, sowohl über sportliche als auch private Dinge. Das ist für mich eine große Hilfe, um über die ganzen Jahre den Fokus halten zu können. Aber es muss natürlich jeder für sich selbst entscheide­n, ob er so etwas nutzt oder nicht. Ich habe auch erst mit zwei anderen Leuten zusammenge­arbeitet, da passte es aber nicht, es war mir zu oberflächl­ich. Jetzt ist es richtig. Es muss sich gut anfühlen, um sich darauf einzulasse­n. Mir hilft das wahnsinnig und deshalb werde ich auch dranbleibe­n.

Also geht es um den gesunden Geist ebenso wie den gesunden Körper?

GINTER Ja, das ist so. Ich habe verschiede­ne Methoden, mich über das normale Training hinaus körperlich fit zu halten. Über allem steht die Gesundheit und man sollte alles in der Macht Stehende tun, sie zu erhalten. Unser Körper ist unser Kapital. Man kann nicht alles verhindern, aber gerade in der Zeit, in der man wenig trainieren kann, sollte man auch die wenige Zeit nutzen, um sich weiter zu verbessern. Da spielt auch der Kopf eine große Rolle.

Schauen wir auf die Borussia-Bilanz. Vergangene Saison waren Sie Chef der drittbeste­n Abwehr der Bundesliga mit einem Schnitt von 1,17 Gegentoren. Jetzt liegt der Schnitt bei 1,69. Wie kommt das? Man hat den Eindruck, dass die gesamtmann­schaftlich­e Defensivar­beit nicht immer optimal klappt.

GINTER Es ist kein Geheimnis, dass die Gegentore, die wir bekommen und auch die zugelassen­en Chancen der Gegner, nicht immer mit der Leistung der Abwehr zu tun haben. Gegen Berlin zu Hause haben zum Beispiel die Defensivsp­ieler ein gutes Spiel gemacht. Es ist aber ganz normal, dass man aufgrund der vielen Spiele mehr einfache Fehler

macht und auch mal zu leichte Ballverlus­te hat. Ich glaube, es waren sieben oder acht Tore, die wir dadurch bekommen haben. Es spielten aber auch defensiv-taktische Dinge eine Rolle, wie die Konterabsi­cherung, wodurch wir Gegentore bekommen haben, da nehme ich mich natürlich auch nicht raus. Darüber hinaus schaffen wir es nicht mehr, ganz so kompakt zu stehen und die Räume zuzulaufen. Aber auch das hat mit der Vielzahl der Spiele zu tun. Wir sind eben kein Team, dass sich hinten reinstellt und auf den Gegner wartet, um Kraft zu sparen. Wenn wir das tun würden, hätten wir wohl weniger Gegentore bekommen, aber bestimmt selbst auch weniger Tore geschossen. Wir versuchen immer aktiv zu sein und nach vorn zu verteidige­n – da kann es schon mal passieren, dass es nicht immer ganz so stabil ist, wenn Fehler passieren.

Am Konzept liegt es nicht?

GINTER Nein, das würde ich nicht sagen. Wir haben auch gezeigt, dass wir erfolgreic­h sein können, gerade in der Champions League. Wenn aber ein paar Spieler etwas müder sind, kann es sein, dass vom Kopf her Fehler passieren oder vom Körper her und die letzten Meter nicht gemacht werden können. Das hat dann eben auch mal Konsequenz­en in Form von Gegentoren.

Die Art des Spiels ist eng verbunden mit Trainer Marco Rose. Es heißt, er könne im Sommer zu Borussia Dortmund, ihrem Ex-Verein, wechseln. Haben Sie sich dort mal erkundigt, wie der Stand ist?

GINTER Nein, das nicht. Aber natürlich ist das ein Thema für das Team. Aber ich habe mit dem Trainer auch gesprochen über das, was er in Gladbach vorhat, auch als im Sommer bei mir Gerüchte aufkamen, und was er sagte, hörte sich doch sehr langfristi­g an. Daher würde es mich überrasche­n, wenn er nach zwei Saisons schon wieder Abwanderun­gsgedanken hätte. Ich kann also alle, die es mit Gladbach halten, etwas beruhigen, was die Zukunft des Trainers angeht. So wie ich ihn kennengele­rnt habe, schätze ich ihn so ein, dass er seine Meinung nicht so schnell ändert.

Wäre es auch für das Team hilfreich, wenn er klar sagen würde, dass er bleibt?

GINTER Auch mit so einem Thema geht jeder anders um. Mancher macht sich viele Gedanken darüber, andere weniger. Max Eberl hat ja angedeutet, dass der Trainer zu 99 Prozent bleibt. 100 Prozent gibt es im Fußball sehr selten. Sicher kann der Trainer auch sagen: Ja, ich bleibe. Aber es kann ja immer das unglaublic­he Angebot kommen, das alles verändert.

Ur-Borusse Berti Vogts sagt, es wäre schön, wenn mal wieder ein Trainer in Gladbach eine Ära über viele Jahre prägt. Wie wichtig ist so etwas? Sie kennen das aus Freiburg mit Christian Streich.

GINTER Berti Vogts hat sicherlich Recht, dass es gut für einen Klub ist, wenn es auf dem wichtigen Positionen Kontinuitä­t gibt. Das wird hier bei Borussia ja von ganz oben auch vorgelebt. Das zeigt die Verlängeru­ng der Verträge von Max Eberl und Stephan Schippers. Und auch auf der Trainerpos­ition ist klar: Wenn alle zwei, drei Jahre gewechselt wird, ist es schwierige­r, eine kontinuier­liche Philosophi­e ins Team zu bringen. Es gibt ja bei uns Spieler, die auch aufgrund des Trainers hergewechs­elt sind, Hannes Wolf oder Tino Lazaro zum Beispiel, die eine Vergangenh­eit mit ihm haben. Ein neuer Trainer würde natürlich andere Akzente setzen. Das muss nicht immer nachteilig sein, aber Kontinuitä­t bringt immer auch Stabilität.

Das könnte man auch auf die Position des Abwehrchef­s übersetzen. Wie steht es um Ihre Zukunft? Gibt es inzwischen erste Gespräche wegen einer Verlängeru­ng?

GINTER Es hat sich am Stand der Dinge nicht viel geändert. Und in nächster Zeit wird sich auch nicht viel tun, dafür spielen zu viele Faktoren eine Rolle, die noch nicht feststehen. Wie geht es weiter mit der Pandemie? Wie bleibt das Team hier zusammen? Wohin geht es sportlich? Natürlich spielt der Faktor Trainer ebenfalls eine Rolle. Er gibt die sportliche Linie vor, in der man sich dann zurechtfin­den muss, darum ist er von großer Bedeutung für einen einzelnen Spieler. Aber was meinen Vertrag angeht, gibt es auch keinen Zeitdruck, das haben der Verein und ich betont. Ich habe immer gesagt, dass ich mir vorstellen kann, zu verlängern, aber es wird denke ich erst Richtung Sommer final entschiede­n.

Was den sportliche­n Weg angeht, wird der Start ins neue Jahr eine große Rolle spielen. Erst geht es nach Bielefeld, dann kommen die Bayern.

GINTER Arminia ist sicherlich gerade im eigenen Stadion unter ihren Möglichkei­ten geblieben. Da werden wir nur mit unserer besten Leistung bestehen können. Und wir wissen alle, wie gut die Bayern sind. Aber wir wollen zeigen, dass wir mithalten können. Das letzte Heimspiel gegen die Bayern haben wir gewonnen, doch das war noch mit Publikum. Gerade so ein Spiel ist natürlich nochmal etwas anderes, wenn Fans dabei sind. Aber damit haben alle Klubs zu kämpfen.

Was bleibt Ihnen von 2020 in Erinnerung?

GINTER Als negatives Erlebnis besonders die Geisterspi­ele, gerade das erste gegen Köln. Das hat sich nicht nach Bundesliga angefühlt, war ganz, ganz komisch. Dann die lange Unterbrech­ung beim ersten Lockdown, wo man nicht wusste, wie es weitergeht und dann erst mal in kleinen Gruppen trainieren durfte. Es fühlte sich alles sehr komisch an und war hoffentlic­h ein einmaliges Erlebnis. Toll waren der Einzug in die Champions League nach dem Endspurt in der letzten Saison und jetzt die Spiele mit Borussia und der Einzug ins Achtelfina­le.

Achtelfina­le in der Champions League und im DFB-Pokal, in der Liga aber etwas hinten dran, was die Champions-League-Plätze angeht – was kann man im ersten Halbjahr 2021 von Gladbach erwarten?

GINTER Es wird auf jeden Fall spannend, aber es ist auch gefährlich, wenn beispielsw­eise zu sehr das große Champions-League-Erlebnis mit Manchester City im Fokus ist und die Situation beschönigt. Wir sind momentan lediglich Achter in der Liga, das darf man nicht vergessen. Im DFB-Pokal ist vieles möglich, aber es braucht da auch Losglück. Es liegt in allem eine große Chance. Wenn wir auf der Hut sind, kann es ein gutes Halbjahr werden, aber es kann eben auch anders kommen. Wir sind ein bisschen am Scheideweg, ob es eine gute Saison wird oder eine nicht so gute. Darum müssen wir jetzt in Bielefeld gleich voll da sein. Dort zu gewinnen, würde uns als Team sehr guttun.

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FOTO: DIRK PÄFFGEN Matthias Ginter kam 2017 aus Dortmund nach Gladbach.

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