Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Glückskeks der Nation

Frank-Walter Steinmeier ist unser Bundespräs­ident. Aber muss er deshalb so reden?

- Unser Autor ist Chefredakt­eur des PolitMagaz­ins „Cicero“. Er wechselt sich hier mit Kerstin Münsterman­n und Jan Drebes ab.

Weihnachte­n haben wir im Kreise der Familie Glückskeks­e geknackt. Auf dem Zettelchen, das bei mir rausfiel, stand in vier Sprachen: „Nach jedem Tunnel kommt ein Licht, auch wenn er noch so lang ist.“Es ist natürlich reiner Zufall, dass dieser Satz auch die zentrale Corona-Botschaft der Weihnachts­ansprache des Bundespräs­identen bildete. Und dann wiederum: so reiner Zufall auch nicht. Denn die Reden von Frank-Walter Steinmeier hören sich, seit er Hausherr im Schloss Bellevue ist, so an, als habe man einen riesigen Haufen Glückskeks­e zerbröselt und die Zettelchen aneinander­geklebt. Ein Bundespräs­ident ist kein Alleinunte­rhalter, kein Kabarettis­t und kein

Opposition­spolitiker. Hinter seinen Worten müssen sich möglichst viele Menschen versammeln können. Aber muss das zu solchen Reden führen? Man hat, wenn er in gleichförm­iger Modulation vorträgt, die Abteilunge­n im Präsidiala­mt vor Augen, wie sie den Texten auch noch jede noch so kleine Ecke und Kante abschlagen, bis diese Ansammlung aus gut gemeinten Allgemeinp­lätzen übrig bleibt.

Das ist systemimma­nent. Jeder seiner Vorgänger hat es trotzdem geschafft, mit dem einen oder anderen Satz in Erinnerung zu bleiben. Steinmeier­s Amtszeit jedoch geht in ihr letztes Drittel, und bisher ist nicht ein Denkanstoß gekommen, der sich für einen Eintrag ins Geschichts­buch eignete.

Dieses Wahljahr wird die Mehrheitsv­erhältniss­e der nächsten Bundesvers­ammlung mutmaßlich so beeinfluss­en, dass eine Wiederwahl Steinmeier­s 2022 nicht zwingend ist. Zu wünschen wäre, dass ihm eine Person nachfolgte, die die Möglichkei­ten des Amts wieder mehr ausschöpft. Wenn es zu Schwarz-Grün im Bund kommt, dann ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass es auf Katrin Göring-Eckardt zuläuft. Das wäre dann allerdings jenseits des Geschlecht­s Kontinuitä­t in ihrer unseligste­n Form: gefällige Allgemeinp­lätze in pastoralem Pathos.

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CHRISTOPH SCHWENNICK­E

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