Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Glückskeks der Nation
Frank-Walter Steinmeier ist unser Bundespräsident. Aber muss er deshalb so reden?
Weihnachten haben wir im Kreise der Familie Glückskekse geknackt. Auf dem Zettelchen, das bei mir rausfiel, stand in vier Sprachen: „Nach jedem Tunnel kommt ein Licht, auch wenn er noch so lang ist.“Es ist natürlich reiner Zufall, dass dieser Satz auch die zentrale Corona-Botschaft der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten bildete. Und dann wiederum: so reiner Zufall auch nicht. Denn die Reden von Frank-Walter Steinmeier hören sich, seit er Hausherr im Schloss Bellevue ist, so an, als habe man einen riesigen Haufen Glückskekse zerbröselt und die Zettelchen aneinandergeklebt. Ein Bundespräsident ist kein Alleinunterhalter, kein Kabarettist und kein
Oppositionspolitiker. Hinter seinen Worten müssen sich möglichst viele Menschen versammeln können. Aber muss das zu solchen Reden führen? Man hat, wenn er in gleichförmiger Modulation vorträgt, die Abteilungen im Präsidialamt vor Augen, wie sie den Texten auch noch jede noch so kleine Ecke und Kante abschlagen, bis diese Ansammlung aus gut gemeinten Allgemeinplätzen übrig bleibt.
Das ist systemimmanent. Jeder seiner Vorgänger hat es trotzdem geschafft, mit dem einen oder anderen Satz in Erinnerung zu bleiben. Steinmeiers Amtszeit jedoch geht in ihr letztes Drittel, und bisher ist nicht ein Denkanstoß gekommen, der sich für einen Eintrag ins Geschichtsbuch eignete.
Dieses Wahljahr wird die Mehrheitsverhältnisse der nächsten Bundesversammlung mutmaßlich so beeinflussen, dass eine Wiederwahl Steinmeiers 2022 nicht zwingend ist. Zu wünschen wäre, dass ihm eine Person nachfolgte, die die Möglichkeiten des Amts wieder mehr ausschöpft. Wenn es zu Schwarz-Grün im Bund kommt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es auf Katrin Göring-Eckardt zuläuft. Das wäre dann allerdings jenseits des Geschlechts Kontinuität in ihrer unseligsten Form: gefällige Allgemeinplätze in pastoralem Pathos.