Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Die Ärzte warnen
Vor den Bund-Länder-Gesprächen raten Intensiv- und Notfallmediziner dringend von einer Lockerung des Lockdowns ab.
BERLIN Die Lehren aus dem gerade vergangenen Jahr sind gezogen: Wenn sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unabgestimmt mit den Ministerpräsidenten der Länder zu Beratungen trifft, werden meistens Marathonsitzungen daraus. Ende offen, Nerven blank. Die Länderchefs waren in der Vergangenheit wiederum verstimmt, wenn ihnen am Tag vor einer Besprechung Papiere aus dem Kanzleramt mit scharfen Lockdown-Maßnahmen auf den Tisch flatterten. Umgekehrt mag es die Kanzlerin gar nicht, wenn sie stundenlang Argumenten zuhören muss, die man ihrer Meinung nach schon im Vorfeld hätte abklären können.
So ist man spätestens seit der vorletzten Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) dazu übergegangen, sich im Vorfeld genau abzustimmen. Und so konnte man nun schon am Montag erfahren, was die Mehrheit der Ministerpräsidenten beschließen will – nämlich eine Verlängerung des Lockdowns. Helge Braun (CDU), Merkels oberster Verhandler, sprach in einer internen Sitzung nach Teilnehmerangaben von einer „hohen Bereitschaft“der Länder, den Lockdown zu verlängern, mit einer „relativen Wahrscheinlichkeit“bis 31. Januar. Die unionsgeführten Länder hatten sich dem Vernehmen nach bereits am Sonntagabend auf diese Linie verständigt. Bei der SPD ist man sich hingegen noch nicht ganz so einig; zwei Länder sehen die Lage etwas differenzierter. Endgültig entschieden wird am heutigen Dienstag.
Doch eine Verlängerung bis 31. Januar scheint schlüssig, denn die Intensivmediziner schlagen weiter Alarm. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) warnte vor
Lockerungen angesichts der Belegungszahlen auf den Intensivstationen. Ein Effekt des geltenden Lockdowns sei normalerweise mit einer Verzögerung von zwei bis drei Wochen festzustellen, „aber derzeit ist noch gar nichts zu spüren“, sagte Divi-Präsident Gernot Marx. Eine Lockerung der Maßnahmen, mehr Begegnungen und Öffnungen von Geschäften seien deshalb aus medizinischer Sicht undenkbar. Jeder Patient könne und müsse behandelt werden. Dies sei jedoch nicht mehr in allen Fällen in der Nähe des Wohnorts möglich. „Auch deshalb ist eine Fortsetzung des Lockdowns
unumgänglich: Die Stationen sind voll“, sagte Marx. In den vergangenen zwölf Tagen sind nach Angaben der Divi deutschlandweit rund 7400 neue Corona-Patienten in bedrohlichem Zustand auf Intensivstationen aufgenommen worden. Hinzu kämen rund 15.000 andere Intensivpatienten.
Kanzleramtsminister Helge Braun sprach vor der Unionsfraktion am Nachmittag auch das Thema an, bei dem es die größten Differenzen gibt: die Öffnung der Schulen. Aus Sicht des Kanzleramts gibt es ein „Ausbruchsgeschehen“an den Schulen, Schüler seien „Infektionsbrücken“.
Daher sehe die Kanzlerin Präsenzunterricht mit sehr gemischten Gefühlen. Braun weiß, dass dieses das schwierigste Thema ist. Mit Blick auf die Diskussion um Schulöffnungen dringen Gesundheitspolitiker auf Corona-Impfstoffe für Kinder. „Es ist wichtig, dass wir bald Impfstoffe zur Verfügung haben, die auch für Kinder zugelassen sind“, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Erwin Rüddel, unserer Redaktion. Hier müsse die Forschung intensiviert werden. Auch dürften die gesamtgesellschaftlichen Kosten einer Schulschließung nicht unterschätzt werden. Deshalb sei es wichtig, dass die Bundesländer schnell viel impfen. „Je mehr Impffortschritte wir machen, desto besser sind die Risikogruppen geschützt, wenn die Schulen wieder geöffnet werden“, erklärte der CDU-Politiker.
Die Bundesregierung war sichtlich darum bemüht, mit Blick auf das Impfen Zuversicht zu verbreiten. Nun stünden zuerst die Menschen in den Pflegeheimen im Fokus, betonte Regierungssprecher Steffen Seibert. Wenn es in den nächsten Wochen gelinge, die allermeisten von ihnen zu erreichen, „dann wird das für unser Gesundheitssystem,
für die Infektionslage schon einen deutlichen Unterschied machen – und zwar zum Besseren.“
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist da nicht ganz so optimistisch. Sie forderte eine schnellere Impfung des Personals in Krankenhäusern. Aus Sicht des Verbands müsse das zentrale Ziel bei der nationalen Bewältigung der Pandemie sein, die Überlastung der Kliniken zu verhindern und deren medizinische Leistungsfähigkeit zu stärken. „Dazu ist die prioritäre Impfung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Krankenhäusern, die in der unmittelbaren Covid-Patientenversorgung tätig sind, immens wichtig und zeitdringlich“, sagte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum unserer Redaktion. „Wir appellieren an die Bundesländer, bei den Entscheidungen über die Verteilung der Impfstoffe die besondere Rolle der Krankenhäuser hier zu berücksichtigen“, so Baum. Der Weg zur Normalität – er ist noch sehr weit zu Beginn des Jahres 2021.