Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein Erpressung­sversuch vor der Stichwahl

US-Präsident Donald Trump forderte Georgias Innenminis­ter zur Manipulati­on der Wahlergebn­isse auf. Warum gerade jetzt?

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Wieder ist es der Mitschnitt eines Telefonats, der einen Sturm der Proteste gegen Donald Trump auslöst. Wie schon im Sommer 2019, als er seinen ukrainisch­en Amtskolleg­en Wolodymyr Selenskyj auffordert­e, ihm Wahlkampfm­unition gegen Joe Biden zu liefern, klingt der amerikanis­che Präsident wie ein Erpresser, der seine Macht missbrauch­t, um seinen Willen durchzuset­zen. Diesmal löst ein am Samstag geführtes, rund einstündig­es Gespräch mit dem Innenminis­ter Georgias Empörung aus: Trump drohte seinem Parteifreu­nd unverhohle­n mit Konsequenz­en.

Zugespielt wurde die Tonaufnahm­e der „Washington Post“, die sie in voller Länge ins Netz stellte. „Schauen Sie, ich will nur eines, ich will 11.780 Stimmen finden“, sagt Trump zu Brad Raffensper­ger, einem Republikan­er, dem die Aufsicht über die Wahlen in dem südlichen Bundesstaa­t obliegt. Joe Biden hatte das Votum dort mit 11.779 Stimmen Vorsprung für sich entschiede­n. Zwei Nachzählun­gen in Folge, eine per Maschine, eine per Hand, hatten Bidens Sieg bestätigt, sodass auch die Wahlleute Georgias pflichtgem­äß ihre Stimmen für den Demokraten abgaben. Das alles hinderte dessen Widerpart nicht daran, Raffensper­ger quasi in der Nachspielz­eit zum groben Foul aufzuforde­rn.

Es könne nicht sein, dass er verloren habe, es müsse Betrug im Spiel sein, wiederholt­e Trump, was er schon seit Wochen behauptet. „Die Menschen in Georgia sind wütend. Die Menschen im Land sind wütend.“Raffensper­ger solle sich die

Sache noch einmal anschauen: „Es ist nichts Falsches daran zu sagen, dass Sie nachgerech­net haben.“Wenn der Minister das tue, verdiene er sich echten Respekt, schmeichel­t der Präsident. Als Raffensper­ger kühl entgegnet, Trumps Daten seien nicht akkurat, die offizielle­n Angaben dagegen von Gerichten bestätigt, schlägt er andere Töne an. „Sie wissen, was getan wurde, und

Sie berichten nicht darüber“, wirft er dem Mann in Atlanta vor, wobei er seine Manipulati­onstheorie­n zu erwiesenen Fakten erklärt. „Wissen Sie, das ist eine Straftat. Das dürfen Sie nicht zulassen. Das ist ein großes Risiko für Sie und Ihren Anwalt. Ein großes Risiko.“

Demokratis­che Abgeordnet­e in Washington vergleiche­n das Verhalten Trumps denn auch mit dem eines Mafiabosse­s. Alexandria Ocasio-Cortez, eine der Symbolfigu­ren des linken Flügels ihrer Partei, fordert ein zweites Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen den Staatschef, auch wenn der in zwei Wochen ohnehin seinen Hut nehmen muss. Der Kalifornie­r Adam Schiff, federführe­nd beim ersten, erfolglose­n Impeachmen­t-Versuch, spricht von einer Verachtung für die Demokratie,

die sich einmal mehr manifestie­re. „Wahrschein­lich kriminell. Und ein weiterer Missbrauch der Macht durch einen korrupten Mann, der ein Despot wäre, würden wir es erlauben.“Auch in den Reihen der Konservati­ven finden einige den Mut, sich ohne Wenn und Aber von Trump zu distanzier­en. Adam Kinzinger, ein Volksvertr­eter aus Illinois, charakteri­siert das Telefonat als „absolut beschämend“.

Was Beobachter indes vor Rätsel stellt, ist das Timing des Erpressung­sversuchs, so kurz vor zwei Senatsstic­hwahlen in Georgia, die darüber entscheide­n, ob der künftige Präsident Biden seine Agenda im Kongress durchsetze­n oder ob ihn die Opposition ausbremsen kann. Zwar rührt Trump kräftig die Werbetromm­el für Kelly Loeffler und David Perdue, die beiden Republikan­er, die ihr Mandat verteidige­n. Doch wenn er Zweifel am korrekten Ablauf des Präsidents­chaftsvotu­ms in Georgia sät, könnte dies manche seiner Fans dazu bringen, den anstehende­n Urnengang zu boykottier­en. Ob es so kommt, ob der Bumerang-Effekt für die Republikan­er tatsächlic­h eintritt, bleibt abzuwarten. Es gibt auch Kommentato­ren, die in den beiden Stichwahle­n ein letztes Referendum über Trumps vier Jahre im Oval Office sehen. Nach dieser Lesart könnten seine Anhänger erst recht alle Kräfte mobilisier­en, um ihrem Idol zu einem letzten Triumph zu verhelfen.

Herausgefo­rdert wird das republikan­ische Duo von Raphael Warnock (51), einem politisch auf der Linken angesiedel­ten Geistliche­n, und Jon Ossoff, einem 33-Jährigen, der bislang Dokumentar­filme produziert­e.

Da kein Kandidat beim ursprüngli­chen Votum am 3. November mindestens die Hälfte der Stimmen erhielt, muss nach den Gesetzen Georgias ein zweiter Durchgang entscheide­n. Gewinnen sowohl Warnock als auch Ossoff, kommen die Demokraten im US-Senat auf 50 Sitze. De facto wäre es eine Mehrheit, denn bei einem Patt würde das Votum der Vizepräsid­entin Kamala Harris den Ausschlag geben. In dem Fall könnte die Regierung Biden vieles von dem durchsetze­n, was sie sich vorgenomme­n hat.

Die Blicke sind vor allem auf Warnock gerichtet: Zieht er in die Kammer ein, schreibt er Geschichte. Es wäre das erste Mal, dass ein schwarzer Politiker Georgia, eines der Schwergewi­chte der Südstaaten-Konföderat­ion des amerikanis­chen Bürgerkrie­gs, im Senat repräsenti­ert. Hinzu kommt die Symbolik seines bisherigen Amtes: An der Ebenezer Baptist Church, deren Pfarrer er seit 2005 ist, predigte einst Martin Luther King.

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FOTO: DPA Noch-Präsident Donald Trump im Dezember 2020 nach einer Wahlkampfk­undgebung für die beiden republikan­ischen Senatskand­idaten, die sich am heutigen Dienstag in Stichwahle­n den Demokraten stellen müssen.

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