Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
NEUANFANG NACH KRANKHEIT
Vor 14 Jahren fing Brigitte Bengner nach einer Krankheit mit Mitte 40 beruflich neu an. Schritt für Schritt baute sie ihre kleine Feinkost-Manufaktur „Passione“auf. Ihre Produkte schätzen Sterneköche im ganzen Land. Doch dann kam Corona. Die Geschäftsfrau
„Beim Lockdown hatte ich panische Angst.“
Als im März der Lockdown kam, hatte ich von heute auf morgen nichts mehr zu tun. Die ersten Monate im Jahr sind in unserer Manufaktur immer ruhig. Wir nutzen diese Zeit normalerweise, um zu kochen, was das Zeuge hält. Aber wer sollte meine Produkte jetzt noch abnehmen. Die Gastronomie war zu, viele Feinkostläden ebenfalls. Ich bekam plötzlich richtig Angst. Meine Lager waren rappelvoll. Was sollte aus meiner Mitarbeiterin werden, mit der ich seit sieben Jahren toll zusammenarbeite und die nach einer tödlichen Krankheit ihres Mannes zwei Kinder allein erziehen muss?
Ich war in einem Schockzustand. Ich habe alle Töpfe vom Herd genommen und die Gewürze abgedeckt. Dann bin ich alleine mit dem Fahrrad ins Feld gefahren und habe angehalten und bitterlich geweint. Ich habe daran gedacht, wie ich meine Manufaktur aufgebaut habe, wie ich mit meinem Marmeladenstand auf Wochenmärkten anfing. Wenn ich wirtschaftliche Fehler gemacht hätte, dann hätte ich den Verlust meiner Existenz vielleicht verstanden, aber so?
Zum Glück habe ich einen guten Steuerberater. Er riet mir, die Corona-Soforthilfe zu beantragen. Ich wollte das zuerst nicht. Ich wollte mich nicht abhängig machen, bei keinem in der Schuld stehen. Aber er hat mich überzeugt. Ich weiß, dass bei der Soforthilfe viele Fehler gemacht worden sind. Und man weiß heute ja auch, dass Betrüger sich bereichert haben. Mir hat die Soforthilfe aber Sicherheit gegeben. Ich habe sie an einem Tag um 9 Uhr beantragt, am nächsten Tag um 10 Uhr war das Geld auf meinem Konto. Das hat mir meine panische Angst genommen. Und Angst, das weiß man, lähmt.
Ich bin eigentlich keine Netzwerkerin. An Jahreshauptversammlungen teilzunehmen, Messen zu besuchen – das liegt mir alles nicht. Außerdem dachte ich immer, dafür ist meine Manufaktur auch zu klein. Aber Bastian Jordan (bekannter Hersteller von hochwertigem griechischen Olivenöl; Anm. d. Red.) hat mich überredet. Und ich muss sagen, die Mitglieder des Genussnetzes haben sich verhalten wie eine Familie. Es gab dort auch sehr viel Kreativität. So wurden zum Beispiel Kochboxen zusammengestellt mit Produkten aus dem Netzwerk. Mit anderen in einem Boot zu sitzen, ist schon etwas anderes als alleine zu schwimmen.
Eine Woche vor Ostern gab es noch einen anderen Lichtblick: Plötzlich hatten wir unheimlich viele Privatbestellungen, zum Teil mit sehr netten und lieben Briefen dazu. Viele schrieben: „Wir können ja dieses Jahr nicht in den Urlaub fahren, da möchten wir uns kulinarisch etwas gönnen. Und Ihre Produkte wollten wir immer schon mal probieren.“
Das heißt aber nicht, dass all unsere Probleme plötzlich weg waren. Es gibt Dinge, an die denken Kunden und Endverbraucher nicht, weil sie sie auch nicht wissen können. Wir bekamen zum Beispiel plötzlich nicht mehr ausreichend Gläser für unsere Marmeladen und Chutneys. Weil viele Cafés und Restaurants auf To-Go-Angebote umgeschaltet hatten, gab es plötzlich auf dem Markt einen Mangel an Gläsern und Schraubdeckeln. Außerdem müssen wir, wie jede Firma, die Verpackungsmaterial nutzt, eine Gebühr zahlen. Und die wurde wegen des angewachsenen Müllbergs in Deutschland erhöht – trotz Umsatzeinbußen.
„Wenn ich wirtschaftliche Fehler gemacht hätte, dann hätte ich den Verlust meiner Existenz vielleicht verstanden, aber so?“Brigitte Bengner Inhaberin Feinkost-Manufaktur „Passione“
Ich finde das Coronavirus ganz furchtbar, aber es hat mich gelehrt, mehr hinzuschauen: Wie ist meine Lebenssituation? Eine neue Bluse ist mir nicht mehr wichtig. Zusammenhalt ist viel wichtiger. Die Beziehung zu meiner Frau war immer schon innig, in der Corona-Krise wurde sie noch intensiver.
Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann dass die Menschen nicht immer nur sagen, was schlimm ist, sondern auch, was gut ist. Ich habe zum Beispiel während des Lockdowns ein Gemüsehochbeet im Garten gebaut und kann jetzt stolz sagen: Ich bin Selbstversorger. Schimpfen und Jammern ist verschwendete Energie, die man für Besseres nutzen kann.
Ich bin dankbar, dass ich in
Deutschland lebe, wo ich weiß, dass ich aufgefangen werde. Womit ich nicht sagen will, dass hier alles gut ist. Ich wünschte mir beispielsweise in der Politik mehr Fachpersonal, das weiß, worüber es entscheidet. Ich glaube, dass wir viel aus Corona gelernt haben. Ich hoffe nur, dass von all dem ein bisschen haften bleibt. Die Corona-Hilfe habe ich übrigens zurückbezahlt. Ich kann nicht verstehen, dass es Menschen gibt, die bei so etwas betrügen. Da werde ich echt wütend.
Alles in Allem muss ich aber sagen: Ich kann über das Jahr 2020 nicht viel Negatives sagen. Die einzige Fehlinvestition war ein Jahresplaner.