Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Die Protest-Sängerin Joan Baez wird 80 Jahre alt. Noch heute wirkt sie inspiriere­nd.

Sie gilt als Heilige des Folk: Joan Baez lieferte den Soundtrack zum politische­n Aufruhr der 60er-Jahre in den USA – und sie beeindruck­t weiterhin durch Haltung und Aufrichtig­keit. Am Samstag wird sie 80 Jahre alt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Woodstock fand sie doof, das war ihr zu wenig Politik und zu viel Spaß. Sie stand auf der Bühne, 28 Jahre alt und im sechsten Monat schwanger von einem Mann, der wegen zivilen Ungehorsam­s im Gefängnis brummte. Sie begann mit „Oh! Happy Days“, und als die Zuschauer wie Kleinkinde­r im Schlamm zu rangeln begannen, ermahnte sie sie streng: „Setzt euch bitte hin!“Sie sollten ruhig wissen, dass es hier ums Ganze ging, um eine neue Gesellscha­ft und eine bessere Welt. Spätestens bei der Zugabe hatte sie die Menge dann im Griff: „We Shall Overcome“.

Joan Baez feiert am Samstag, den 9. Januar, ihren 80. Geburtstag, „St. Joan“, wie sie genannt wird, die Heilige des Folk, die gute Frau aus Kalifornie­n. Seit 1960 veröffentl­icht sie Platten, und wenige andere Künstler haben Musik so konsequent zur Vermittlun­g einer Haltung, einer Aussage und des Engagement­s eingesetzt wie sie. Baez bringt stets mehr auf die Bühne als ein paar Lieder. Sie beglaubigt ihre Kunst mit ihrem Leben, das kann man ruhig so pathetisch sagen.

Pathos passt ohnehin zu ihr, die so gern mit einem Beben in der Stimme ans soziale Bewusstsei­n appelliert­e und auch noch „Kinder (Sind so kleine Hände)“von Bettina Wegner coverte. Erst in den vergangene­n Jahren wirkt sie gelassener. „Wenn ich auf die Bühne gehe, mache ich nicht mehr Geschichte“, sagte sie kürzlich, „ich bin Geschichte.“

Im Rückblick auf ihre Karriere wirkt diese bescheiden­e Person wie der gute Geist der Popkultur. Sie war eine der wenigen Frauen in dieser von Männern dominierte­n Szene. Sie war ein bisschen älter als die meisten Folk-Lümmel jener Jahre, und bis auf eine irre Phase in den 70ern (siehe das Plattencov­er von „Blowin’ Away“1977!) verzichtet­e sie auf Drogen und Alkohol. Sie stand da mit erhobener Faust und sang gegen Vietnamkri­eg, Rassentren­nung und Ungleichhe­it. Sie engagierte sich für Bürgerrech­te, gegen den Irakkrieg und für totale Gewaltlosi­gkeit. Nur gelegentli­ch konnte sie die Sache mit Humor nehmen. Etwa auf dem Poster, mit dem sie Kriegsdien­stverweige­rer unterstütz­te: „Mädchen sagen Ja zu Jungs, die Nein sagen“, stand darauf.

Als Schülerin weigerte sie sich einmal, bei einer Luftschutz­übung in den Sicherheit­sraum zu gehen. Die Raketen der Russen wären ohnehin schneller da, als sie diesen Weg zurücklege­n könnte, argumentie­rte sie. Sie stellte Autoritäte­n schon als Kind infrage und entwickelt­e früh ein politische­s Bewusstsei­n. Ihre Mutter stammte aus Schottland, der Vater aus Mexiko, und wegen ihrer dunkleren Hautfarbe wurde sie als „Nigger“beschimpft.

Sie verehrte Pete Seeger und war bereits beim Folkfestiv­al in Newport aufgetrete­n, als sie 1961 ein junges Talent namens Bob Dylan kennenlern­te. Sie stellte ihn bei ihren Konzerten als Überraschu­ngsgast vor, sie sang seine Lieder, und die beiden waren fünf Jahre lange ein Paar. Vielen seiner Hymnen lieh sie die Stimme, „I Shall Be Released“etwa, und besonders toll: „Forever Young“.

Joan Baez ist vor allem Interpreti­n, sie schrieb nur wenige Lieder selbst, und die besten davon erschienen in den frühen 70er-Jahren. Das allerherrl­ichste ist „Diamonds And Rust“, darin erzählt sie von Dylan, der zehn Jahre nach der Trennung unverhofft noch einmal anruft. Sie beschreibt ihn als „ungewasche­nes Phänomen“, und dann kommt diese wunderbare Zeile, und sie singt sie mit ihrer unglaublic­hen

Stimme: „We both know what Memories can bring / They bring Diamonds and Rust“. Man könnte Doktorarbe­iten über die Live-Versionen schreiben, für die Baez den Text gelegentli­ch abändert, etwa in „You Brought Troubles“. Dylan hat sie übrigens seit zehn Jahren nicht mehr gesprochen, sie traf ihn vor einiger Zeit im Weißen Haus bei einer Bürgerrech­tsveransta­ltung, erzählte sie jüngst, aber sie sprach ihn nicht an, weil sie Sorge hatte, er könne sie einfach stehen lassen.

Anfang der 80er-Jahre hatte sie eine kurze Liaison mit dem 14 Jahre jüngeren Apple-Gründer Steve Jobs. Die beiden hielten den Kontakt nach dem Ende der Liebesbezi­ehung, und als sie ein neues Telefon brauchte, bat sie den Freund um ein Smartphone. Direkt danach starb Jobs. Zwei Tage nach seinem Tod stand ein Bote vor der Tür von Baez und lieferte das neue iPhone 5.

Jüngere Künstler wie Taylor Swift, Lana Del Rey und Mumford & Sons verneigen sich öffentlich vor ihr. Sie dürfte die Aufrichtig­keit fasziniere­n, mit der Baez auftritt. Die Unverbrüch­lichkeit. Ihr Mut. Sie lebt in Kalifornie­n in einem Anwesen, das wie ein Schiff gestaltet ist. Wie eine Arche Noah vielleicht, Hühner laufen vor den Türen herum, und in der Nähe gibt es ein Baumhaus ohne Dach, in dem Baez meditiert und arbeitet. Sie hat ihr Geld weise angelegt, heißt es, sie tritt nur noch auf, weil sie weiß, wie sehr die Welt Protestsän­ger braucht. „Nasty Man“hat sie ein Lied gegen Donald Trump genannt.

Sie ist nie nostalgisc­h, sie mag keine Wehmut, sondern singt lieber Songs von jüngeren Kollegen wie Antony & The Johnsons. Sie hat die Flamme getragen, nun gibt sie die Fackel weiter. „Lieder können eine Menge verändern“, sagt sie. „Musik hebt den Geist, überwindet Grenzen und kann Menschen dazu bringen, Dinge zu tun, die sie sonst nicht gemacht hätten.“

Joan Baez. Tolle Frau. May you stay forever young.

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FOTO: IMAGO IMAGES/ZUMA PRESS Joan Baez – hier im jahr 1970 – hatte sich schon früh dem Protest gegen Autoritäte­n verschrieb­en.

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