Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Deutschlan­d gibt Stoff

Von 1,3 Millionen verfügbare­n Impfdosen wurden in Deutschlan­d erst gut 316.000 verabreich­t. Die Quoten unterschei­den sich in den Bundesländ­ern teilweise drastisch - woran liegt das? Wie steht es um NRW? Ein Überblick.

- VON MARTIN KESSLER, DOROTHEE KRINGS UND JULIA RATHCKE

Das große Impfen hat gerade erst begonnen, da wächst schon die Kritik: Vom verzögerte­n Start ist die Rede, von ausgebrems­ten Möglichkei­ten, von liegen gebliebene­n Impfdosen, die längst hätten genutzt werden können. Tatsächlic­h sind von 1,3 Millionen Dosen, die Deutschlan­d zum Auftakt erhalten hat, seit dem 27. Dezember erst knapp 317.000 verabreich­t worden. Vor allem die Impfquoten der Bundesländ­er irritieren: Warum geht es in Bayern vergleichs­weise schnell, in Niedersach­sen dagegen kaum voran?

Deutschlan­dweit wird die Hälfte der

Dosen erst einmal zurückgeha­lten, weil nur die zweifache Impfung im Abstand von drei Wochen einen wirksamen Schutz vor Covid-19 bietet. Konsens ist außerdem, dass mobile Teams zunächst die besonders verletzlic­hen Gruppen in Pflegeheim­en impfen – dazu zählen neben den Bewohnern auch die Mitarbeite­r. In den meisten Bundesländ­ern sind die Impfzentre­n deshalb noch gar nicht in Betrieb.

In Nordrhein-Westfalen sind von 281.775 gelieferte­n Impfdosen bislang knapp 63.000 Dosen an Pflegeheim­bewohner und medizinisc­hes Personal verimpft worden. Auch wenn NRW als bevölkerun­gsreichste­s Land mit seiner Impfquote von 3,5 je 1000 Einwohnern im Bundesverg­leich im Mittelfeld liegt, wird Kritik laut: So fordern die Fraktionen von SPD und Grünen im Landtag in einem gemeinsame­n Antrag eine Sondersitz­ung des Gesundheit­sausschuss­es. Noch in dieser Woche wollen sie geklärt wissen, wie es mit dem Impfen in NRW besser vorangehen kann. „In den letzten Tagen ist leider sehr viel Verwirrung um die Impfstrate­gie der Landesregi­erung entstanden“, sagt Josef Neumann, gesundheit­spolitisch­er Sprecher der SPD-Fraktion. „Berichten über unklare Zuständigk­eiten bei der Bestellung des Impfstoffe­s oder darüber, dass viele Impfdosen wegen schlechter Planung nicht in der richtigen Reihenfolg­e vergeben werden können, muss schnell nachgegang­en werden“, ergänzt Mehrdad Mostofizad­eh von den Grünen.

Probleme soll es vor allem in der Kommunikat­ion zwischen Gesundheit­sministeri­um, der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) Nordrhein und den einzelnen Kommunen geben. Der zentralist­isch strukturie­rten KV Nord fehle es bei der Impforgani­sation oft an Vor-Ort-Kenntnisse­n, heißt es aus einigen Kommunen; die Stadtverwa­ltungen sollten mehr eingebunde­n werden, so der Wunsch, sie kennen die Lage in den Pflegeheim­en besser. NRW bleibe beim Impftempo bisher unter seinen Möglichkei­ten.

Es geht aber auch deutlich langsamer: Im Nachbarlan­d Niedersach­sen sind von 121.875 vorrätigen Impfdosen gerade einmal 8665 genutzt worden – anteilsmäß­ig so wenig wie nirgends sonst. Warum es in dem Acht-Millionen-Einwohner-Land so schleppend läuft, ist nicht ganz klar. Das Gesundheit­sministeri­um weist darauf hin, dass in der vergangene­n Woche weniger Stoff geliefert worden sei als geplant und die Lieferung am 4. Januar ganz entfallen sei.

Auch Sachsen gehört zu den Schlusslic­htern im Vergleich. Das hat aber vor allem damit zu tun, dass das Land stark von akuten Corona-Fällen betroffen ist. Viele Pflegeheim­e stehen unter Quarantäne, dort ist das Impfen nur bedingt möglich. Außerdem lägen nicht für alle Bewohner Einverstän­dniserklär­ungen der Sorgeberec­htigten vor, heißt es vom sächsische­n Gesundheit­sministeri­um. Womöglich spielt dabei auch eine Rolle, dass in Sachsen die Szene der Corona-Leugner besonders groß ist. In diesen Kreisen kursieren Widerspruc­hsformular­e, mit denen Menschen die Impfung ihrer Angehörige­n im Heim verhindern können.

Zum Musterland hat sich Mecklenbur­g-Vorpommern entwickelt, das mit seiner Impfquote vorne liegt. Nachdem auch in Mecklenbur­g-Vorpommern zunächst in Heimen geimpft wurde, wird das Land ab Donnerstag Briefe an die über 80-Jährigen verschicke­n, die nicht in Heimen leben, damit sie individuel­le Termine ausmachen können.

Auch in Bayern wird aufs Tempo gedrückt. Bilder der Impfwillig­en schmücken bereits die Website des Staatsmini­steriums für Gesundheit und Pflege. Mit 78.000 der 210.000 Impfdosen, die der Freistaat von der Bundesregi­erung erhalten hat, wurde bereits der Piks gesetzt. Bayern hat in seinen 99 Impfzentre­n bereits den Betrieb aufgenomme­n. Nach Angaben der Behörde sind so pro Tag bis zu 38.000 Impfungen möglich. Das wird mit dem vorhandene­n Impfstoff noch nicht erreicht. Bayern impft zudem sieben Tage in der Woche.

Zwar sind Heimbewohn­er und -mitarbeite­r im Blickpunkt der Impfteams, aber in Bayern können die Älteren bereits von sich aus Impftermin­e in einem der Zentren auf Kreisebene beantragen. Die mobilen Einsatzgru­ppen sind diesen Impfzentre­n zugeordnet. Es ist also eine Mischung aus zentraler Steuerung und Einsatz vor Ort, die dem Land zu besseren Zahlen verhilft.

Auch Berlin setzt auf eine Misch-Strategie: Seit dem 27. Dezember sind in der Hauptstadt 60 mobile Teams in den Pflegeheim­en im Einsatz. Von den sechs großen Impfzentre­n, die alle einsatzber­eit sind, arbeitet bisher immerhin eins in Treptow-Köpenick. Dort können bis zu 600 Menschen täglich geimpft werden. Allerdings musste der Betrieb zum Unmut freiwillig­er Ärzte zuletzt tagelang ausgesetzt werden, weil nicht genügend Impfstoff vorhanden war. Bürger über 90 wurden bereits schriftlic­h eingeladen, online oder telefonisc­h Termine für die erste und zweite Impfung auszumache­n. Allerdings klagen zahlreiche Impfberech­tigte darüber, dass die entspreche­nde Hotline überlastet sei. Ein Vorteil ist das Angebot für Ältere, kostenlos mit dem Taxi zum Impfzentru­m zu fahren.

„Zuletzt ist viel Verwirrung um die Strategie der Landesregi­erung entstanden“Josef Neumann Gesundheit­ssprecher der NRW-SPD

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany