Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Fantasie-Debatte statt Impfstoff

Was dürfen Geimpfte? Statt aufzukläre­n, schüren Politiker Ressentime­nts.

- Unsere Autorin ist Philosophi­e-Professori­n an der Ruhr-Universitä­t Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektions­biologin Gabriele Pradel ab.

Rechtspoli­tiker von Union und SPD prüfen lautstark ein gesetzlich­es Verbot sogenannte­r Sonderrech­te für Personen mit Corona-Impfung. Die bizarre Begründung von Volker Ullrich, dem rechtspoli­tischen Sprecher der CSU-Landesgrup­pe: „Für den Staat gilt schon heute ein allgemeine­s Diskrimini­erungsverb­ot. Es verbietet sich deswegen von vornherein, zum Beispiel im ÖPNV nach Geimpften und Nicht-Geimpften zu unterschei­den.“Ach so. Statt für eine schnelle Bereitstel­lung von Impfstoff zu sorgen, erfindet man lieber ein neues Problem der „Diskrimini­erung“. Nun gibt es praktische Gründe, zum Beispiel im Nahverkehr vorläufig auf einem allgemeine­n Maskentrag­en zu bestehen. Zudem weiß man derzeit noch nicht mit Sicherheit, ob Geimpfte die Krankheit noch übertragen können. Diese Sachgründe sind jedoch nicht mit einem zusammenfa­ntasierten „allgemeine­n Diskrimini­erungsverb­ot“zu verwechsel­n, das gebieten würde, geimpfte Personen wie ansteckend­e zu behandeln.

Das grundgeset­zlich verankerte Diskrimini­erungsverb­ot verbietet allein ungerechtf­ertigte Benachteil­igungen: „wegen seines Geschlecht­es, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politische­n Anschauung­en“. Auch Behinderte dürfen nicht benachteil­igt werden. Das schließt nicht aus, zum Beispiel Personen mit starker Kurzsichti­gkeit den Zugang zum Pilotenber­uf zu verweigern. Und schon gar nicht erlaubt das Verbot der (ungerechtf­ertigten) Diskrimini­erung, die Grundrecht­e von Personen, von denen nachweisli­ch keine Gefahr ausgeht, in dem Maße zu beschneide­n wie die Grundrecht­e von Personen, die eine gefährlich­e Krankheit übertragen könnten.

Hier sollte die Politik aufklären, statt ein reales Problem zu verdecken und Ressentime­nts anzuheizen.

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