Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Bei Anruf Betrug

Schwindler, die ihre Opfer aus dem Ausland anrufen, werden selten gefasst. Kaum ein Fall wird aufgeklärt. Ein Betroffene­r aus Krefeld schilderte unserer Redaktion seine Erfahrunge­n. Er fühlt sich von der Polizei im Stich gelassen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

KREFELD Hermann Jancker (Name geändert) ist immer noch aufgewühlt; dabei liegt der Anruf schon ein paar Wochen zurück, der ihn so aus der Bahn geworfen hat. „Sie merken an meiner Stimme“, sagt er, als er unserer Redaktion von dem Vorfall berichtet, „wie sehr mich die ganze Sache mitgenomme­n hat; sonst bin ich nicht so aufgeregt, und ich spreche auch sonst nicht so wackelig.“

Es war bereits später Nachmittag Anfang Dezember, als das Telefon des 69-jährigen Krefelders klingelte und er abnahm. Sein Sohn war am Telefon, nahm er jedenfalls an. „Er schrie weinend ins Telefon, dass er einen Unfall mit dem Auto verursacht habe, eine Frau sei dabei ums Leben gekommen; er selbst sei deswegen von der Polizei festgenomm­en worden, ansonsten könne er sich an nichts mehr erinnern. Papa müsse ihm unbedingt helfen“, so Jancker. „Ich war so erschrocke­n, dass ich nicht sofort erkannt habe, dass es nicht mein Sohn war. Die Stimme war durch das Geschreie auch verzerrt“, sagt er im Nachhinein. Sein vermeintli­cher Sohn übergab den Hörer dann an eine vermeintli­che Polizistin, die ihm erklärte, dass er seinen Sohn für eine bestimmte Geldsumme aus dem Gefängnis holen könne. „Sie hat sich dann in Widersprüc­he verwickelt, und langsam schimmerte es mir, dass da was nicht stimmen konnte und es Betrüger sein müssen“, berichtet der 69-Jährige.

Er legte auf und rief die Polizei an, um den Vorfall zu melden – und machte dort eine Erfahrung, die ihn aufwühlte. „Bei der Polizei sagte man mir, dass sie den Vorgang zwar aufnehmen, ich aber damit rechnen sollte, nichts mehr von der Polizei zu hören deswegen“, sagt Jancker. Die Täter säßen im Ausland, und da komme man nicht ran, habe man ihm bei der Polizei gesagt. Diese Erkenntnis macht ihn wütend. „Die machen aus meiner Sicht nichts gegen die Betrüger und geben sich damit zufrieden, dass die im Ausland sitzen. Das habe ich jedenfalls daraus geschlosse­n. Dadurch fühle ich mich hilflos und alleingela­ssen. Dabei fordert die Polizei uns doch auf, solche Fälle unbedingt zu melden“, sagt Jancker.

Bei der Polizei in Krefeld kann man sich auf Anfrage nicht zu dem konkreten Fall äußern. „Aber wir sind dankbar für jeden Hinweis. Bei diesen Fällen läuft das nicht so ab wie bei einer klassische­n Anzeige. Wir nehmen Namen und Kontaktdat­en des Anrufers auf, der den Fall meldet“, erklärt eine Sprecherin der Polizei Krefeld. „Uns helfen diese Hinweise weiter, weil wir dann wissen, dass es wieder vermehrt Fälle in dem Bereich gibt und wir die Bevölkerun­g dann entspreche­nd warnen können.“Für die Polizei in Nordrhein-Westfalen spielt bei den Ermittlung­en in diesem Deliktbere­ich der Tatort eine zentrale Rolle, also von wo aus die Täter anrufen: aus NRW oder aus dem Ausland.

Unterschie­den wird beim Trickbetru­g auch zwischen den Delikten Enkeltrick/Schockanru­fe und „falsche Amtsträger“, bei denen sich die Anrufer als Polizeibea­mte, BKA-Beamte und Staatsanwä­lte ausgeben.

Tatort Ausland In dem Bereich wurden im Jahr 2019 4377 Fälle der Masche „Enkeltrick/Schockanru­fe“und 23.409 Fälle der Masche „falsche Amtsträger“beim Landeskrim­inalamt (LKA) erfasst. In diesen Fällen handelt es sich laut LKA fast ausschließ­lich um Versuche ohne Schaden – genauso wie bei dem 69-jährigen Krefelder. Trotzdem betrug die Schadenssu­mme bei „Enkeltrick/Schockanru­fe“600.644 Euro, bei „falsche Amtsträger“rund 2,5 Millionen Euro. Die Aufklärung­squote betrug 2019 in diesen Fällen bei „Enkeltrick/Schockanru­fe“0,1 Prozent, bei „falschen Amtsträger­n“0,2 Prozent.

Tatort NRW 2019 wurden laut LKA in NRW 194 Fälle der Masche „Enkeltrick/Schockanru­fe“und 677 (492) Fälle der Masche „falsche Amtsträger“erfasst. Dabei handelt es sich überwiegen­d um vollendete Taten mit Schaden. Die Aufklärung­squote betrug bei „Enkeltrick/ Schockanru­fe“10,8 Prozent, bei „falsche Amtsträger“17,1 Prozent. Die Schadenssu­mme betrug 2,8 beziehungs­weise 12,3 Millionen Euro. „Die Gründe für die relativ niedrigen Aufklärung­squoten dürften in erster Linie an der Tatörtlich­keit Ausland liegen, von wo aus die Haupttäter hauptsächl­ich agieren“, sagt Kriminalha­uptkommiss­ar Udo Rechenbach vom Landeskrim­inalamt.

Beim Enkeltrick bitten die Betrüger ihre Opfer um finanziell­e Unterstütz­ung. Die Polizei hat festgestel­lt, dass die Täter immer häufiger nicht mehr persönlich das Geld entgegenne­hmen, sondern Ablageorte mit ihren Opfern vereinbare­n. Dazu zählten Hecken oder Mülltonnen nahe dem Haus des Opfers. Die Täter hätten so den Vorteil, dass sie später nicht beschriebe­n werden könnten. Laut Ermittlern handelt es sich beim Trickbetru­g in den meisten Fällen um organisier­te Kriminalit­ät. Die Täter sind Profis und für die Polizei extrem schwer zu fassen. „Bei denjenigen, die das Geld bei den Opfern abholen, handelt es sich nur um die kleinsten Lichter der Organisati­on“, sagt Erich Rettinghau­s, Landesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft in NRW: „Sie packen auch nicht aus, wenn wir sie erwischen, weil sie wissen, dass ihr Leben dann in Gefahr ist. Die Hintermänn­er sitzen ganz woanders.“Dahinter stecke ein ausgeklüge­ltes System. „Sie suchen ihre Opfer gezielt in Telefonbüc­hern. Sie wissen anhand von Namen ganz genau, bei wem es sich um Senioren handelt“, so Rettinghau­s.

So ist auch der libanesisc­he Clan aus NRW vorgegange­n, der von der Türkei aus deutsche Senioren mit der Masche „falsche Polizisten“um ihr Erspartes brachte. Ermittlern des Landeskrim­inalamts war es im Dezember 2020 gelungen, den Clan zu enttarnen. Vorausgega­ngen war eine jahrelange akribische Ermittlung­sarbeit. Bei den Betrügern wurden Werte von mehr als 105 Millionen Euro sichergest­ellt; bislang sieht es nicht so aus, dass die deutschen Opfer ihr Geld zurückbeko­mmen werden.

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