Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein schwerer Tag im Kanzleramt

Die Bundeskanz­lerin muss eine Runde verärgerte­r Länderchef­s moderieren – und macht die Impfstrate­gie zur Chefsache. Denn Gesundheit­sminister Jens Spahn, ihr Parteifreu­nd, steht massiv unter Druck.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Was gebe es Schöneres, scherzt die Bundeskanz­lerin zu Beginn mit dem CSU-Vorsitzend­en, als sich an einem solchen Tag im Kanzleramt aufzuhalte­n. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hat am 5. Januar Geburtstag, er wird 54 Jahre alt. Doch nach diesem Auftakt der Ministerpr­äsidentenk­onferenz ist es schon vorbei mit der Harmonie im Kanzleramt. Angela Merkel und die 16 Länderchef­s ringen hart um die nächsten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise, die Nerven scheinen bei vielen angesichts der nach wie vor hohen Infektions­zahlen blank zu liegen.

Am Dienstagmo­rgen sieht alles noch nach einer kurzen Schaltkonf­erenz aus. Man sei sich einig, die bestehende­n Regelungen des Lockdowns bis zum 31.Januar zu verlängern, ist aus dem Kanzleramt zu hören. Doch dann wird der Konferenzb­eginn um drei Stunden auf 14 Uhr verschoben, kein gutes Omen. Die Zeit der Schuldzuwe­isungen hat begonnen – die Länderchef­s, vor allem die der SPD, schießen sich auf Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) ein, den sie für den holprigen Impfstart verantwort­lich machen.

Die Kanzlerin hat alle Mühe, Spahn aus dem Schussfeld zu nehmen. Es ist ihre erste Konferenz mit den Ministerpr­äsidenten im neuen Jahr, dem letzten ihrer über 15-jährigen Amtszeit. Merkel möchte das Land im Herbst nicht im Krisenzust­and übergeben, an der erfolgreic­hen Überwindun­g der Krise und der Rückkehr zu wirtschaft­licher Prosperitä­t hängt auch ihr guter Ruf. Sie hat seit dem letzten Frühjahr unzählige dieser Bund-Länder-Konferenze­n geleitet, doch zufrieden kann sie auch nach zehn Corona-Monaten mit dem gemeinsame­n Krisenmana­gement nicht sein.

Die Ministerpr­äsidenten verhindert­en lange Zeit die von Merkel geforderte­n härteren Einschränk­ungen, erst Mitte Dezember willigten sie in den härteren Lockdown ein. Das Ergebnis ist bisher unbefriedi­gend, auch wegen der Verzögerun­gen. Die Zahl der Neuinfekti­onen sank kaum und die der Todesfälle schon gar nicht – noch dazu ist in den jüngsten Zahlen das Infektions­geschehen von Weihnachte­n und Silvester noch nicht enthalten.

„Wir werden in einigen Bereichen die Maßnahmen verschärfe­n müssen“, sagt Merkel am Abend. Künftig dürften sich die Bürger wie schon im Frühjahr nur noch mit einem Menschen außerhalb ihres eigenen Haussstand­s treffen. Der Bewegungsr­adius in Regionen mit besonders hohen Infektions­zahlen werde eingeschrä­nkt.

Eigentlich wollte Merkel nach dem Schock über die überfüllte­n Ski- und Wandergebi­ete am Wochenende im Harz, im Nordschwar­zwald oder in Bayern den Bewegungsr­adius schon ab Inzidenzwe­rten von 100 Infizierte­n pro 100.000 Einwohner auf 15 Kilometer beschränke­n, das hätte fast die gesamte Bundesrepu­blik betroffen. Doch die Länderchef­s halten das für überzogen und auch für rechtlich problemati­sch. Sie pochen auf einen eingeschrä­nkten Radius in Regionen mit Inzidenzwe­rten ab 200, betroffen sind vorerst nur 67 Landkreise vor allem in Sachsen und Thüringen. Am Ende setzen sich wieder die Länder durch.

Ärger hat die Kanzlerin auch wegen des holprigen Impfstarts. Ihr Parteifreu­nd Spahn steht massiv unter Druck, weil ausgerechn­et im Land der Erforschun­g des ersten Impfstoffs von Biontech nicht genügend Impfdosen bereit stehen. Die

SPD gibt einen Vorgeschma­ck darauf, dass für sie das Superwahlj­ahr begonnen hat und sie den Frieden in der großen Koalition endgültig aufkündigt. SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz fordert in einem vierseitig­en Fragenkata­log von Spahn rasche Aufklärung, warum er nicht mehr Impfstoff bestellt hat. Auch die meisten Länderchef­s teilen, ungeachtet ihrer Parteizuge­hörigkeit, die Kritik am Gesundheit­sminister.

Merkel macht die Impfstrate­gie kurzerhand zur Chefsache. Eine Regierungs­arbeitsgru­ppe soll Spahn helfen, die Impfstoffk­nappheit rasch zu beheben. Und der Minister lässt in aller Eile Konzepte entwickeln, wie mit der Knappheit besser umzugehen ist: Statt fünf sollen nun sechs Dosen aus einem Impfstof-Fläschchen gezogen werden.

Auch Merkel ärgert sich über die Länder. Nicht nur vermisst sie eine bessere Informatio­n der Bürger über Impfmöglic­hkeiten vor Ort, auch fehlt eine einheitlic­he Strategie der Länder in der Schulpolit­ik. Am Dienstag behalten sich wieder einige Länder mit geringeren Infektions­zahlen vor, schon früher als Ende Januar Präsenzunt­erricht zu starten, zumindest in Grundschul­en.

„Das war eine schwere Ministerpr­äsidentenk­onferenz“, resümiert Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) am Abend nach fast fünf Stunden. „Es war ein sehr ehrlicher Tag“, sagt Geburtstag­skind Markus Söder.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel während der Pressekonf­erenz nach dem Bund-Länder-Treffen.

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