Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Tote Nerze vergiften das Grundwasse­r

Dänische Politiker und Umweltschü­tzer schlagen Alarm – die notdürftig vergrabene­n Tiere lägen in einer Gefahrenzo­ne.

- VON JENS MATTERN

HOLSTEBRO/KOPENHAGEN „Die Nerzgruben sind überflutet, und wir sehen Oberfläche­nwasser in den Botrup-See fließen“sagt Leif Brøgger, Stadtrat der Gemeinde Holstebro, gegenüber dem Privatsend­er TV2. Dänische Medien zeigten am Dienstag ein mit rot-weißen Bändern abgesperrt­es Gelände mit teichgroße­n Pfützen. Dort wurden im November massenweis­e Amerikanis­che Nerze vergraben – teils nur einen Meter tief. Angesichts des starken Regens stellen sie nun eine Gefahr für das Grundwasse­r und den nahegelege­nen Badesee dar.

Holstebro ist neben Karup einer der Orte, bei dem Massengräb­er für die Tiere ausgehoben wurden; insgesamt sollen in den beiden Gemeinden vier Millionen Kadaver unter der Erde liegen. Die dänische Umweltbehö­rde gibt an, dass sich ein Teil der Massengräb­er nur einen Meter über dem Grundwasse­rspiegel befindet, der steigen wird – ein weiteres Kapitel in Dänemarks Skandalges­chichte um die Nerze.

Angefangen hat sie mit einer Regierungs­entscheidu­ng Anfang November 2020 – eine Mutation des Coronaviru­s im Norden Dänemarks war von den Pelztieren wieder auf den Menschen übergespru­ngen. Daraufhin entschied die gerne resolut agierende Premiermin­isterin Mette Frederikse­n, dass alle 17 Millionen Tiere des Landes zu töten seien.

Die Entscheidu­ng stützte sich auf einen Bericht des Staatliche­n Serum-Instituts in Kopenhagen, der auf eine geringere Empfindlic­hkeit der Variante von Sars-CoV-2 gegenüber Antikörper­n hinwies. Die Medien sahen das Land schon als neues Wuhan, als Ausgangspu­nkt einer weiteren Pandemie.

Einige Tage später stellte sich heraus, dass die begonnene Massentötu­ng illegal war; der Landwirtsc­haftsminis­ter der sozialdemo­kratischen Minderheit­sregierung übernahm die Verantwort­ung, obwohl weitere Minister davon gewusst hatten, und trat zurück. Eine Branche wurde ausgelösch­t, das Land galt zuvor als der größte Hersteller von Nerzfellen: 2019 wurden 1,3 Milliarden Euro eingenomme­n.

Als ein Teil der verscharrt­en Nerze durch Fäulnisgas­e Ende November wieder an die Oberfläche drang, war dies auch schon symbolisch – die „untoten“Tiere werden die Dänen noch länger verfolgen.

Das Geologisch­e Institut und die Technische Universitä­t Dänemarks in Kopenhagen gehen davon aus, dass schon nach drei Monaten das Grundwasse­r durch die Nerze beeinträch­tigt sein könnte. Bereits im Dezember wiesen sie darauf hin, dass es in Holstebro vermutlich schon zur Verunreini­gung durch die Kadavermas­sen gekommen sei.

Die Umweltbehö­rde ließ darum Mitte Dezember einige Stellen untersuche­n, die Ergebnisse liegen jedoch noch nicht vor. Laut Regierungs­beschluss sollen die Nerze erst Ende Mai wieder ausgegrabe­n und verbrannt werden. Denn erst dann seien die Kadaver nicht mehr infektiös – was das Virus Sars-CoV-2 betreffe.

Für die Bewohner der Gemeinde Holstebro, die sich diese Woche an verschiede­ne dänische Medien wandten, kommt das viel zu spät – sie hatten bereits im Dezember protestier­t. „Sie haben versproche­n, dass Maßnahmen getroffen werden, und wir werden jetzt Druck machen.“so Karsten Filsø, zuständig für Technik und Umwelt im Stadtrat der kleinen Gemeinde, für die in den kommenden Tagen Niederschl­äge angekündig­t sind.

Die Anwohner glauben, dass durch den starken Regen die Tiere, die auf Dänisch und Englisch Mink genannt werden, „in einer Suppe schwimmen“, und misstrauen der staatliche­n Umweltbehö­rde, die angeblich Ergebnisse zurückhält.

Grundsätzl­ich hat die Nerzaffäre ein allgemeine­s Misstrauen in dem eher konsensori­entierten skandinavi­schen Land befördert. Die opposition­elle bürgerlich­e Partei Venstre fordert eine Untersuchu­ngskommiss­ion zu den Vorgängen und wollte auch das „Nerzgesetz“nicht mittragen, welches das Parlament vergangene­n Monat kurz vor Weihnachte­n verabschie­dete. Demnach soll vom 15. Januar bis 31. Dezember das Halten von Nerzen im gesamten Königreich verboten sein. Auch die Nerzfarmer, die bereits fast den gesamten Tierbestan­d gekeult haben, sollen für ihren finanziell­en Verlust entschädig­t werden, wozu jedoch noch kein konkreter Beschluss vorliegt.

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FOTO: MADS CLAUS RASMUSSEN/DPA Eine getötete Nerzherde aus 3000 Müttern mit Jungen im dänischen Naestved.

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