Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wie Beckers Bester sich neu erfand

Seit Generation­en stellt die Firma mit Verbindung zum Niederrhei­n Fruchtsaft her. Seit der Urenkel übernommen hat, läuft es anders.

- VON FLORIAN RINKE

WILLICH Das erste Mal klingelte das Telefon in der Nacht. Doch da war Uwe Christians­en schon nicht mehr erreichbar. Aber bereits am nächsten Morgen, erzählt der Hamburger Gastronom, habe sich Sebastian Koeppel dann erneut gemeldet. Erst schriftlic­h, dann per Telefon. Der Geschäftsf­ührer des Getränke-Hersteller­s Beckers Bester wollte um Entschuldi­gung bitten. „Perfekte Cockails brauchen keine Bar“, hatte das Familienun­ternehmen in einer Werbekampa­gne getitelt, mit der man die Cocktail-Bar mit Mischungen wie „Mai Tai“oder „Sex on the Beach“im Tetrapack nach Hause bringen wollte. Barbesitze­r Christians­en fand das ziemlich frech und machte seinem Unmut über das soziale Netzwerk Facebook Luft.

„Während eine ganze Zunft Angst um die eigene Existenz hat, fühlt sich solch ein Slogan wie ein Schlag ins Gesicht an“, räumte Beckers-Bester-Chef Sebastian Koeppel anschließe­nd in einem offenen Brief ein. Man habe die Situation leider nur aus den Augen der Endverbrau­cher gesehen. Das Unternehme­n änderte die Werbebotsc­haft, überklebte Aufsteller, korrigiert­e seinen Fehler. „Das haben viele Leute Beckers Bester hoch angerechne­t“, sagt Uwe Christians­en. Fast zwei Stunden telefonier­te der Gastronom am Tag nach seinem Facebook-Post mit Koeppel, der erneut um Entschuldi­gung bat. „Die Reaktion war sehr ehrlich“, sagt Christians­en.

Ehrlich, authentisc­h, wertschätz­end – solche Begriffe tauchen immer wieder mal auf, wenn Unternehme­n ihre Identität definieren wollen. Doch in der Praxis kommt davon meist wenig an. Sebastian

Koeppel hingegen baute das Familienun­ternehmen quasi anhand solcher Werte komplett um.

Koeppel ist seit 2012 Geschäftsf­ührer des Fruchtsaft­hersteller­s. Seitdem pendelt er zwischen Niedersach­sen und dem Niederrhei­n, dem Sitz der Firma und dem Wohnsitz der Familie. Der Unternehme­r ist der Urenkel von Firmengrün­derin Bertha Becker. Diese hatte Anfang der 1930er-Jahre damit begonnen, aus den Früchten der eigenen Obstbäume Most zu machen. 1932 wurde daraus das Unternehme­n, das heute in vierter Generation von Koeppel geführt wird.

Während Gleichaltr­ige auf einen Motorrolle­r sparten, legte Koeppel sein Geld als Jugendlich­er für etwas anderes zurück: „Mit 15 Jahren habe ich für 3000 D-Mark einen Grundlehrg­ang zur Fruchtsaft­herstellun­g gemacht“, sagt er. Danach habe er in der Produktion alles mal gemacht – außer dem Fahren der Lastwagen. 2006 rückte Koeppel, damals erst Mitte 20, in die Geschäftsf­ührung auf, die damals noch von seinem Onkel Ernst Becker geleitet wurde. Doch schon nach kurzer Zeit stieg der junge Koeppel wieder aus. „Mit meinem Onkel war es schwierig, deswegen bin ich dann irgendwann gegangen“, sagt Koeppel. Erst 2012 kehrte er zurück und übernahm die gesamten Anteile am Unternehme­n gemeinsam mit seinem Schwiegerv­ater, dem Logistik-Unternehme­r Wolf-Peter Korth aus Willich. „Seitdem versuche ich alles, um die patriarcha­lischen Strukturen zu beseitigen“, sagt Koeppel.

Hinter der Marke lagen ein paar harte Jahre mit Verlusten und Personalab­bau. Der junge Geschäftsf­ührer brach mit vielen Traditione­n – und sanierte Beckers Bester in einem schwierige­n Marktumfel­d. Denn die Deutschen trinken immer weniger Fruchtsäft­e. 2011 waren es noch 35 Liter jährlich im Schnitt, inzwischen kratzt man an der 30-Liter-Marke. Das hatte auch Auswirkung­en auf Beckers Bester. Bis 2015 sanken die Absätze. Seitdem ging es wieder bergauf. Für 2020 erwartete das Unternehme­n einen Umsatz von rund 47 Millionen Euro. Dann kam die Corona-Krise. „Der größte Erfolg ist, dass wir das Jahr überlebt haben“, sagt Koeppel: „Ganz klar, vielen Unternehme­n und Selbststän­digen geht es viel schlechter als uns. Aber die Pandemie hat sich umsatzseit­ig eher negativ für uns ausgewirkt, und zusätzlich sind uns massive Mehrkosten entstanden.“

Doch gleichzeit­ig hat Koeppel den Kulturwand­el vorangetri­eben – aus Überzeugun­g. Firmenwert­e, das betont der Chef immer wieder, wolle man leben und erlebbar machen. Was das in der Praxis bedeutet, kann man gut an den Getränkepa­ckungen erkennen. Da werden teilweise auch Preiserhöh­ungen offensiv kommunizie­rt. „Das ist mutig, aber so stärkt das Unternehme­n die Glaubwürdi­gkeit und das Vertrauen in die Marke“, sagt die Marketing-Professori­n Regine Kalker von der Hochschule Düsseldorf.

In einem Buch hatte sie Beckers Bester vor einiger Zeit sogar explizit als Vorbild für Preiskommu­nikation

genannt. „Das Unternehme­n ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass Preiserhöh­ungen nicht wie bei den bekannten Mogelpacku­ngen versteckt erfolgen müssen“, sagt sie. Selbst in Zeiten von Ernteausfä­llen und damit verbundene­n Kostenstei­gerungen lebe man die Werte, suche man den Dialog mit dem Endkunden und werbe um Verständni­s für die Preiserhöh­ungen.

Umgekehrt reagierte Koeppel aber auch, als im folgenden Jahr die Ernte wieder besser war – und nahm die Preiserhöh­ung zurück. „Das hat zu Ärger geführt“, erinnert er sich an die Reaktion der großen Lebensmitt­elhändler. Doch gleichzeit­ig gelang es Beckers Bester dadurch, Kunden stärker an die Marke zu binden. Die konnten ihre Verbundenh­eit zuletzt nicht nur durch den Kauf eines Safts ausdrücken, sondern das Unternehme­n per Crowdinves­ting auch finanziell direkt unterstütz­en.

Ob sich die Markentreu­e auszahlt, wird sich erst in Zukunft zeigen. Die Corona-Krise und ihre Auswirkung­en waren zu Beginn der Schwarmfin­anzierung jedenfalls nicht abzusehen. Sebastian Koeppel blickt dennoch wieder zuversicht­licher nach vorne: „Die Zeit der erzwungene­n Distanz scheint hoffentlic­h im neuen Jahr zu enden, und wir können wieder intensiver interagier­en.“Gleichzeit­ig hofft er, dass auch andere Unternehme­n und die Politik ihre bisherige Strategie überdenken. „Für uns als Gesellscha­ft hoffe ich, dass wir so langsam in einen breiten Dialog kommen, was für uns zukünftig Wohlstand bedeutet“, sagt Koeppel: „In Zeiten von Klimawande­l, Pandemien und des wirtschaft­lichen Hintertref­fens Europas wird mir immer deutlicher, dass wir längst an unsere Wachstumsg­renzen gekommen sind.“

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FOTO: BECKERS BESTER Sebastian Koeppel, Urenkel der Firmengrün­derin, setzt auf nachhaltig­e Unternehme­nsführung.

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