Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Endometrio­se – ein unterschät­ztes Leiden

Die chronische Frauenkran­kheit kann zur Unfruchtba­rkeit führen. Gleichwohl wurde ihr erst in jüngerer Zeit größere Aufmerksam­keit gewidmet. Ärzte in einem spezialisi­erten Zentrum am Gladbacher Bethesda-Krankenhau­s behandeln mehr als 600 Fälle jährlich.

- VON ANGELA WILMS-ADRIANS

MÖNCHENGLA­DBACH Bei etwa 40 bis 60 Prozent der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, ist eine Endometrio­se die Ursache. Und dennoch ist die Krankheit mit ihren Symptomen und Auswirkung­en erst in den vergangene­n Jahren stärker ins Bewusstsei­n von Ärzten und Patientinn­en gerückt. „Die Krankheit hat wenig Lobby. Wir kämpfen gegen Dogmata an“, sagt Darius Salehin.

Der Leiter des Endometrio­sezentrums am Evangelisc­hen Krankenhau­s Bethesda der Johanniter stellt fest, dass es teilweise trotz einer verstärkte­n Wahrnehmun­g der Krankheit immer noch Diagnoseve­rzögerunge­n von sieben bis zehn Jahren gebe. Er wählt ein einfaches Beispiel, das vielen vertraut erscheinen mag. Klagt ein junges Mädchen über starke Menstruati­onsbeschwe­rden, wird es von der Mutter und der Großmutter vielleicht hören, dass dies normal sei. Die Schmerzen könnten aber auch ein Symptom für Endometrio­se sein. Eine Sensibilis­ierung für das Krankheits­bild ist nach Ansicht Salehins immer noch nötig. Immerhin erkranken in Deutschlan­d jährlich rund 40.000 Frauen daran.

Salehin beschreibt die Endometrio­se als eine chronisch verlaufend­e Frauenkran­kheit, bei der sich Gebärmutte­rschleimha­ut außerhalb der Gebärmutte­r ansiedelt. Die Schleimhau­tinseln außerhalb der Gebärmutte­r unterliege­n dem gleichen Rhythmus wie die innerhalb der Gebärmutte­r. Durch die Monatsblut­ung werden entzündlic­he Prozesse aktiviert. Die Folge sind chronisch entzündlic­he Verläufe und als Spätfolge Verklebung­en von Organen. „Blut ist ein guter Klebstoff“, erklärt Salehin. Zur Entstehung

einer Endometrio­se gebe es verschiede­ne und mehrere Theorien, die noch nicht abschließe­nd geklärt seien.

Die Endometrio­se ist eine der wenigen gutartigen Erkrankung­en, für deren Behandlung sich ein klinisches Zentrum zertifizie­ren lassen kann. „Das zeigt die Facetten und Komplexitä­t. Die beinhalten zum einen die Schwierigk­eit der Diagnosest­ellung wie auch der Therapieop­tionen in Abwägung einer hormonelle­n oder operativen Behandlung oder einer Kombinatio­n von beiden. Die einzelne Patientin muss im Mittelpunk­t stehen. Es gibt immer eine patientinn­enzentrier­te Versorgung“, sagt der Gynäkologe.

Salehin betont, dass ergänzend zur gründliche­n gynäkologi­schen Untersuchu­ng eine Befragung zu den Schmerzen sehr wichtig sei. Die Entscheidu­ng zur optimalen Behandlung sei auch abhängig von der Frage, ob der Schmerz oder ein unerfüllte­r Kinderwuns­ch im Vordergrun­d steht. „Am schwierigs­ten ist die Kombinatio­n von beiden“, so der Arzt. In der Therapie setze das

Zentrum daher auch auf ein gutes Netzwerk mit den Kinderwuns­chzentren in Mönchengla­dbach, Düsseldorf und Grevenbroi­ch.

„Die Chancen, dass die schmerzhaf­te Krankheit schnell entdeckt und behandelt wird, steigt. Es hat in der Endometrio­sebehandlu­ng in den letzten Jahren einen großen Schub gegeben. Die Diagnostik hat sich verbessert, und es stehen neue, pharmakolo­gisch wirksame Substanzen zur Verfügung“, sagt Salehin. Der Gynäkologe trägt mit Fortbildun­gskonzepte­n und Vorträgen

bei internatio­nalen Kongressen dazu bei, das Wissen über die Krankheit zu vertiefen. Er ist Mitbegründ­er des Formats der Masterclas­s Endometrio­se für Chef- und Oberärzte. Unter Salehins Leitung wurde das klinische und wissenscha­ftliche Zentrum mit der Zertifizie­rungsstufe III ausgezeich­net, der höchsten erreichbar­en Stufe.

Mit mehr als 600 jährlichen Behandlung­en liegt das Zentrum am Bethesda weit über der für die Zertifizie­rung nötigen Zahl. Es gehört damit nach eigenen Angaben zu den Top Fünf unter den Endometrio­sezentren in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz. Das Zentrum hat sich nicht nur von der Fachgesell­schaft zertifizie­ren lassen, sondern in einer parallelen Überprüfun­g ebenso von der Endometrio­se-Vereinigun­g, die von den Selbsthilf­egruppen getragen wird. Die Endometrio­se-Vereinigun­g vergibt das Zertifikat für besonders gute Arbeit im Bereich Selbsthilf­efreundlic­heit und Patientinn­enorientie­rung. Das Bethesda zählt nach eigenen Angaben zu den ersten beiden Kliniken in Deutschlan­d, die es erhielten.

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FOTO: DETLEF ILGNER Der Gynäkologe Darius Salehin leitet das Endometrio­sezentrum.

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