Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Krefelder ruft zur Ladeneröff­nung auf

Unter dem Motto „Wir machen auf“versammelt ein Kosmetiker Zehntausen­de via Telegram. Am kommenden Montag will er sein Geschäft öffnen, andere sollen es ihm nachtun. Dabei wird er von der „Querdenker“-Szene unterstütz­t.

- VON VIKTOR MARINOV

„Es ist gut, seine Not öffentlich zu machen. Aber man muss den richtigen Weg finden“

Kurz Wehner Geschäftsf­ührer Dehoga NRW

Er will seinen Laden aufmachen, trotz des Lockdowns, trotz der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus und der hohen Infektions­zahlen. Er sei am Ende seiner Existenz, sagt der Krefelder Kosmetiker. Um seine Aktion versammeln sich seit einigen Tagen viele Unterstütz­er. Die Botschafte­n in seinem Telegram-Kanal lesen Stand Mittwoch 57.000 Menschen mit. Der Kosmetiker, dessen Name unserer Redaktion bekannt ist, sagt, er sei kein sogenannte­r „Querdenker“. Allerdings hat die Initiative „Wir machen auf“Verbindung­en zu mehreren bekannten Figuren aus der „Querdenker“-Szene, die das Coronaviru­s und seine Auswirkung­en öffentlich leugnen.

Der Krefelder hat ein Anliegen, das zunächst verständli­ch klingt. Er hat vor zwei Jahren sein Kosmetikst­udio gegründet, im vergangene­n Jahr blieb sein Geschäft im ersten und im zweiten Lockdown insgesamt mehrere Monate lang geschlosse­n. Ende Oktober habe er seinen Mitarbeite­rn kündigen müssen, so erzählt er es selbst in einem aufgezeich­neten Video-Interview, das auf einer Streaming-Plattform zu finden ist. Er rechnet nach eigenen Angaben damit, dass er Ende Januar die Insolvenz anmelden muss. Das wiederum sagt der Krefelder in einer Sprachnach­richt in seinem Telegram-Kanal. Für unsere Redaktion war er nicht zu erreichen.

Die Initiative sei „ein Ausdruck der Verzweiflu­ng, weil die finanziell­en Hilfen nicht ankommen“, sagt Carina Peretzke, Sprecherin des Handelsver­bands Nordrhein-Westfalen. Damit Händler Hilfen bekämen, müssten sie einen enormen Umsatzverl­ust vorweisen. Manche hätten aber viel Geld in Online-Shops investiert, um damit einen Teil ihrer Verluste aufzufange­n. „Es geht ihnen schlecht, aber nicht schlecht genug“, sagt Peretzke. Dabei sind bundesweit zwei Drittel der Innenstadt­händler laut dem Handelsver­band Deutschlan­d in Existenzge­fahr. Diese Verzweiflu­ng kennt auch Kurt Wehner, Geschäftsf­ührer des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands NRW (Dehoga). Manche Gastronome­n, sagt Wehner, fallen bei den Corona-Hilfen durchs Raster. „Die Zahlungen kommen nicht bei allen an. Es ist auch gut, wenn man seine Not öffentlich machen will. Aber man muss den richtigen Weg finden.“Ob der Weg des Krefelders der richtige ist, erscheint höchst fragwürdig. Er sei ein einfacher Mensch „ohne jeglichen politische­n Hintergrun­d“, schreibt er in seinem Telegram-Kanal. Es gehe bei der Aktion weder um „Querdenken“, noch um irgendwelc­he andere Bewegungen.

Doch ein Blick in den Telegram-Kanal lässt an dieser Aussage zweifeln. Am 3. Januar bedankt sich der Kosmetiker „aus ganzem Herzen“für die Unterstütz­ung. „Insbesonde­re bei Markus Haintz und Ralf Ludwig, welche nicht nur die Aktion mehrmals geteilt haben, sondern ihre Hilfe … angeboten haben.“Markus Haintz ist ein Anwalt aus Ulm, der im vergangene­n Jahr wegen seiner Verbindung­en zu den „Querdenker­n“seinen Lehrauftra­g an der Hochschule Biberach verloren hat. Die „Augsburger Allgemeine“bezeichnet Haintz als „Kopf der Ulmer Querdenker“. Auch der zweite Jurist, bei dem sich der Krefelder bedankt, hat klare Verbindung­en zu der Szene. Er fungiert unter anderem als Schirmherr für die Aktion „Das Volk gegen Corona“, an der auch der Arzt Bodo Schiffmann beteiligt ist, einer der führenden Gesichter der „Querdenker“-Bewegung. Hinzu kommt: Der Kosmetiker ließ sich kurz nach Anfang der Aktion auf einer Streaming-Plattform live von Samuel Eckert interviewe­n – ein weiterer „Querdenker“, der laut der Wochenzeit­ung „Die Zeit“zum organisato­rischen Kern der Gruppe gehört.

Während die Szene die Beiträge aus dem Telegram-Kanal zur Aktion „Wir machen auf“fleißig verbreitet, halten sich Händler bislang mit öffentlich­er Unterstütz­ung zurück. Ein Sportwaren­händler aus Oberbayern hatte am Montag öffentlich erklärt, er würde auch seine Läden am 11. Januar aufmachen. Einen Tag danach ruderte er zurück. „Die Vereinnahm­ung durch die rechte Szene und Querdenker hat dazu geführt, dass wir das abblasen“, sagte die Frau des Händlers gegenüber T-Online. Sie und ihr Mann wollten „keine Sattelhalt­er für die rechte Szene und Corona-Leugner sein.“Eine öffentlich­e Unterstütz­erliste hatte der Kosmetiker von Anfang an angekündig­t. Am Dienstagab­end ist auf der Online-Seite der Initiative tatsächlic­h etwa ein Dutzend Händler mit Namen und Adressen aufgetauch­t. Am Mittwochmo­rgen war die Liste jedoch verschwund­en. Nun findet sich an deren Stelle der Hinweis, dass sie erst am 11. Januar veröffentl­icht werden soll.

Wie groß die Unterstütz­ung für die Aktion ist, lässt sich deswegen schwer einschätze­n. Aus dem NRW-Innenminis­terium heißt es auf Anfrage, man habe dazu derzeit keine Erkenntnis­se. Als Kurt Wehner bei den Dehoga-Mitglieder­n in NRW nachfragt, sei er auf ausnahmslo­se Ablehnung gestoßen. „Sie sagen uns eher ‚Um Gottes willen, was machen die da?‘“, sagt Wehner.

Der Verband hat eine eindeutige Einstellun­g zu dem Vorhaben des Kosmetiker­s „Wir werden uns nicht an Aktionen beteiligen, die rechtswidr­ig sind und distanzier­en uns davon“, sagt Wehner. Auch die Sprecherin des NRW-Handelsver­bands stellt klar: „Wir würden keinem Händler dazu raten, die Corona-Schutzvero­rdnung zu missachten.“Sollten der Kosmetiker aus Krefeld oder andere Händler sich dennoch für eine Öffnung am 11. Januar entscheide­n, müssen sie mit einem Bußgeld rechnen – in NRW kann der Verstoß gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus bis zu 25.000 Euro kosten.

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FOTO: BERND THISSEN/DPA Die Geschäfte sind geschlosse­n, die Innenstädt­e – hier in Dortmund – menschenle­er. Ein Krefelder will sich gegen die Corona-Auflagen stellen. Und findet Unterstütz­er.

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