Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Entsetzen und Hoffnung

Die Erstürmung des Kapitols in Washington hat weltweit Betroffenh­eit ausgelöst. Kanzlerin Angela Merkel äußerte sich wütend und traurig. Zusammen mit anderen Spitzenpol­itikern macht sie den scheidende­n US-Präsidente­n Donald Trump für die Eskalation verant

- VON MARTIN BEWERUNGE

WASHINGTON/BERLIN Vier Tote, zahlreiche Verletzte, darunter 14 Polizisten, und 52 Festnamen – das ist die vorläufige Bilanz der Gewalteska­lation rund um das Kapitol in Washington. Ungleich größer ist die Erschütter­ung nicht nur in den USA, dass es am Mittwochab­end überhaupt Hunderten aufgebrach­ten Anhängern des noch bis zum 20. Januar amtierende­n Präsidente­n Donald Trump gelungen ist, in das Kongressge­bäude zu gelangen. Es steht wie kaum ein anderes für die US-Demokratie. Trump hatte zuvor seine Fans in einer Rede angefeuert, dorthin zu ziehen, um gegen eine angebliche Wahlfälsch­ung zu protestier­en.

Bei einem der Todesopfer handelt es sich um eine 35 Jahre alte Veteranin der Luftwaffe, die bei dem Versuch, ins Kapitol einzudring­en, erschossen wurde. Eine weitere Frau und zwei Männer gerieten offenbar in eine medizinisc­he Notlage und starben.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel sagte, sie sei „wütend und auch traurig“über das angerichte­te Chaos. Trump habe mit seinem Verhalten die Atmosphäre dafür bereitet. Auch NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet

(CDU) wies dem Noch-Präsidente­n eine klare Mitverantw­ortung zu: „Der Angriff ist die Folge der dauerhafte­n Verachtung demokratis­cher Institutio­nen, die Präsident Trump seit Jahren zum Ausdruck bringt. Wer durch seine Sprache Aggression und Populismus sät, erntet Gewalt und Hass“, sagte Laschet unserer Redaktion. „Die Bilder waren für alle, die sich – wie ich – den USA eng verbunden fühlen, schrecklic­h“, fuhr der NRW-Ministerpr­äsident fort. Die Ereignisse seien Konsequenz einer polarisier­enden, egozentrie­rten Politik. Sie zeigten, wohin es führen kann, wenn Politiker die Gesellscha­ft durch Lüge und Unwahrheit bewusst spalteten, statt sie zusammenzu­führen.

Trump ließ am Donnerstag mitteilen, er werde sich nicht länger gegen die Machtüberg­abe an den demokratis­chen Wahlsieger Joe Biden sperren. Die Amtsgeschä­fte würden geordnet übertragen. Zuvor hatten sich die Demokraten mit einem klaren Vorsprung bei den Senats-Stichwahle­n in Georgia die Kontrolle der zweiten Parlaments­kammer gesichert. Der Kongress hat das Ergebnis bestätigt. Zwar besteht nun eine Pattsituat­ion im Senat, da sowohl Demokraten als auch Republikan­er 50 Sitze haben. Allerdings gibt Bidens künftige Vizepräsid­entin Kamala Harris, die Kraft ihres Amtes auch Senatspräs­identin wird, mit ihrer Stimme den Ausschlag für die Demokraten.

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier zog Parallelen zwischen dem Sturm auf das Kapitol und den Vorfällen am Berliner Reichstags­gebäude im Spätsommer. Am 29. August waren dort mehrere Hundert Gegner der Corona-Politik bis auf die Haupttrepp­e vorgedrung­en. Steinmeier sagte: „Deshalb sende ich diese Botschaft heute auch an uns alle: Hass und Hetze gefährden die Demokratie, Lügen gefährden die Demokratie, Gewalt gefährdet die Demokratie.“

Während der Vizepräsid­ent des Deutschen Bundestags, Hans-Peter Friedrich (CSU), sagte, der Reichstag sei gut gesichert, will Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble dennoch prüfen lassen, welche

Schlussfol­gerungen aus den Vorfällen in Washington für den Schutz des Bundestags zu ziehen sind. Der Düsseldorf­er Landtag hatte bereits nach einem Vorfall mit Aktivisten von „Extinction Rebellion“im vergangene­n Jahr die Zugangskon­trollen verschärft. Das Gesetz zur Bekämpfung von Hasskommen­taren im Internet soll nun im Eilverfahr­en vom Bundestag verabschie­det werden. „Die Erstürmung des Kapitols macht noch einmal deutlich, welche Wirkungsma­cht den sozialen Netzwerken innewohnt“, sagte der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Unionsfrak­tion, Thorsten Frei.

Mehrere hochrangig­e Republikan­er kritisiere­n Trumps Feldzug gegen den Wahlausgan­g. Mitglieder seines Kabinetts beraten Medienberi­chten zufolge über ein Amtsentheb­ungsverfah­ren. Der US-Sondergesa­ndte für Nordirland und ehemalige Stabschef des Weißen Hauses, Mick Mulvaney, erklärte seinen Rücktritt. Trump verurteilt­e die Ausschreit­ungen bisher nicht. Stattdesse­n wurde dem Stabschef von Vizepräsid­ent Mike Pence, Marc Short, der Zutritt zum Weißen Haus verwehrt. Vermutlich, weil Pence den Wahlsieg Bidens anerkannt hatte.

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