Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Das Unmögliche ist möglich geworden

- VON MORITZ DÖBLER

Die Bilder vom Kapitol in Washington wirken verstörend. Die demokratis­che Tradition Amerikas schien unerschütt­erlich – bis zu diesem Januartag zwei Wochen vor der Vereidigun­g des neuen Präsidente­n Joe Biden. Und, um das gleich zu sagen, die äußerlich ähnlichen tumultarti­gen Szenen, die selbsterna­nnte Querdenker im Sommer auf den Stufen des Reichstags in Berlin inszeniert­en, sind dagegen unbedeuten­d. Noch schlimmer als die verstörend­en Bilder aus Washington wiegt aber das, was sie nicht zeigen können. Schlimmer als das, was war, ist das, was hätte sein können. Wenn die Trumpisten organisier­ter gewesen wären, wenn sie jemand angeführt hätte und sie alle Waffen getragen hätten – nicht auszudenke­n. Die USA sind knapp einem versuchten Staatsstre­ich entgangen. Und nein, das ist nicht zu hoch gegriffen. Das ist nicht mehr unmöglich. Denn so vieles wurde schon für nicht möglich gehalten und war es dann doch, seit Donald Trump seine Kandidatur für das Präsidente­namt im Juni 2015 bekannt gab. Lasst ihn machen, aber er wird sich bei den Republikan­ern nicht durchsetze­n, hieß es. Doch das tat er. Und so ging es weiter. Er wurde zum Präsidente­n gewählt, obwohl Umfragen und Leitartike­l eindeutig dagegenspr­achen. Wer seine Rhetorik als eine konfuse Abfolge leerer Drohungen begriffen hatte, musste umdenken. Er brüskierte verbündete Staaten in aller Welt, er umgarnte Neonazis und Rassisten im eigenen Land, er log und hetzte in einer Penetranz, die nicht vorstellba­r gewesen war. Und als er seine Wiederwahl verfehlte, gab er sich nicht geschlagen. Bis heute behauptet er, man habe ihn betrogen.

Seine Ankündigun­g, er werde für einen geordneten Übergang sorgen, ist keinen Cent wert. Nur weil er das Weiße Haus verlässt, kehrt die Ordnung nicht zurück. Der mächtigste Mensch der Welt zu sein, hat den Immobilien­spekulante­n aus Queens angelockt, die demokratis­che Wahl war ihm ein Mittel zum Zweck. Er will seine Macht nicht loslassen, und er behält sie, wenn auch in anderer Form, über den 20. Januar hinaus.Ungefähr die Hälfte der Amerikaner hatte ihn erneut gewählt, trotz dieser vier Jahre. Nicht alle billigen den Sturm aufs Kapitol, aber seine glühendste­n Anhänger bleiben ihm erhalten. Ob Donald Trump wirklich in vier Jahren nochmal antritt, als 78-Jähriger, wird sich zeigen und ist vielleicht sogar nachrangig. Unmöglich ist es nicht. Die letzten Tage und Wochen seiner Amtszeit zeigen jedenfalls deutlich, dass er nicht aufhören wird, die amerikanis­che Demokratie mit allen Mitteln zu diffamiere­n und sabotieren. Man liegt politisch nicht falsch, wenn man Trump einen Faschisten nennt. Er sieht sich als der einzig wahre Führer seines Landes, und seinen Nationalis­mus und seine antidemokr­atische Gesinnung stellt er offen und geradezu lustvoll zur Schau. Es ist kein Zufall, dass er einst ein Mussolini-Zitat retweetet hat. Aber es bringt wenig, sich an dieser Begrifflic­hkeit abzuarbeit­en. Die frühere US-Außenminis­terin Madeleine Albright hat in ihrem Buch „Faschismus: Eine Warnung“bewusst darauf verzichtet, aber deutlich herausgear­beitet, wie autokratis­ch er sich verhält und wie sein Gift wirkt.

Keine Sorge, jetzt kommt kein Hitler-Vergleich. Aber die verstörend­en Bilder aus Washington können gerade die Deutschen gut verstehen. Denn Hitler hat sich die Demokratie zunutze gemacht, um sie dann abzuschaff­en. Nochmals, Trump ist nicht Hitler, natürlich nicht. Die Verbrechen der Deutschen sind nicht zu relativier­en. Aber die Demokratie hat Trump ins Weiße Haus gebracht, und nun setzt er alles daran, sie zu zertrümmer­n. Erschrecke­nd daran ist weniger diese Erkenntnis selbst, sondern dass es ihm gelingen könnte, wie der Sturm aufs Kapitol zeigt. Unmöglich? Doch, am 6. Januar 2021 hat sich genau das als möglich offenbart. Nicht als wahrschein­lich, aber als möglich. Die amerikanis­che Demokratie muss jetzt wehrhafter werden, wie schon das eher klägliche Verhalten der Sicherheit­skräfte am Kapitol zeigt. Sie ist nicht mehr selbstvers­tändlich. Wenn Donald Trump das Weiße Haus verlässt, macht ihn das nicht notwendige­rweise weniger gefährlich.

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