Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Jede Maßnahme muss kontrolliert werden“
Der NRW-Ministerpräsident und Kandidat für den CDU-Bundesvorsitz über Schnittmengen mit FDP und Grünen, einen Impfzwang und Lockerungen ab dem kommendem Monat.
2021 wird auch geprägt sein vom Ende der Ära Merkel. Wie groß sind die Fußstapfen für ihren Nachfolger?
LASCHET Groß. Die Bundeskanzlerin hat dieses Land in ihren 16 Jahren Regierungszeit durch vier gewaltige, Krisen geführt: die Weltfinanzkrise, die Euro-Schuldenkrise, die Flüchtlingskrise und jetzt die Pandemie. All dies zu bewältigen, gelingt nur einer ganz großen Persönlichkeit.
Sehen Sie sich als gesetzten Nachfolger?
LASCHET Wenn man sich als CDU-Bundesvorsitzender bewirbt, muss man auch dazu bereit sein. Aber wer letztlich der Kandidat der Union für die Kanzlernachfolge wird, werden wir gemeinsam mit der CSU in Ruhe besprechen.
Am 16. Januar wird der CDU-Vorsitzende gewählt. Wie ist Ihre Wahlkampf-Bilanz?
LASCHET Der Begriff Wahlkampf scheint mir für diese Situation unpassend. Als ich mein Angebot gemeinsam mit Jens Spahn öffentlich gemacht habe, hatten wir am gleichen Tag den ersten Covid-Fall in Nordrhein-Westfalen. Da habe ich mich natürlich in erster Linie auf die Pandemiebekämpfung konzentriert. Meine Kandidatur unter Echtzeitbedingungen ist wohl auch etwas anders als die der Mitbewerber. Natürlich aber bin ich, gerade jetzt kurz vor dem Parteitag, in intensivem Austausch mit Delegierten, mit der Basis, vor allem digital.
Auch jenseits von NRW?
LASCHET Gerade da! Hierzulande habe ich ja durchgehend zu den Akteuren Kontakt. Hier wissen viele um den Erfolg unserer Arbeit. Die größere Aufgabe war es, diejenigen zu erreichen, die nicht jeden Tag die NRW-Landespolitik verfolgen und wissen, wie ich arbeite und führe.
In den Umfragen liegen die anderen Kandidaten in Sachen Beliebtheit vor Ihnen. Ticken die Delegierten anders als der Wähler?
LASCHET Es gibt solche und solche Umfragen. Mal sind andere vorne, mal wieder wie zuletzt ich. Ich bin mir aber sicher, dass die Delegierten nicht irgendwelchen Umfragen folgen, sondern sich vor allem überlegen, mit welchem Parteivorsitzenden die CDU die Erneuerung in der Regierung schafft und bei der Bundestagswahl erfolgreich sein kann. Ich habe in NRW gezeigt, dass ich in schwieriger Lage eine Wahl gewinnen und eine Regierung führen kann.
Angesichts der Stärke der Grünen müssten Sie sich dann aber doch beherzter für eine Kanzlerkandidatur in Stellung bringen.
LASCHET Es wird mir viel zu viel – auch von meinen Mitbewerbern – über die Grünen geredet. Es wird so getan, als sei Schwarz-Grün ausgemachte Sache. Wenn es eine rechnerische Mehrheit für Rot-Rot-Grün gibt, werden die Grünen das machen. Die CDU muss stark genug sein. Und die Liberalen auch.
Wo sehen Sie inhaltlich mehr Schnittmengen – bei den Grünen oder der FDP?
LASCHET Deutlich mehr bei der FDP, mit der wir in ganz vielen Kernfragen der Politik ein ganz ähnliches Grundverständnis haben. Man kann auch mit den Grünen koalieren, aber das bringt größere und kompliziertere Grundsatzdebatten mit sich.
Die eindringlichen Corona-Appelle der Bundeskanzlerin – und auch von Ihnen – scheinen auf taube Ohren zu stoßen, jedenfalls sind die Infektionszahlen weiterhin hoch. Fehlt es an Kontrollen?
LASCHET Wir können nicht 80 Millionen Menschen rund um die Uhr kontrollieren. Und ich sage auch: Das will ich nicht. Im autoritären China mag Pandemiebekämpfung so funktionieren. Die Wirkung der Appelle war im Frühjahr stärker, weil die Bilder von Bergamo noch präsent waren. Das wirksamste Mittel, um das Virus in den Griff zu bekommen, ist die Kontaktbeschränkung auf einen Hausstand und eine weitere Person. Und wir müssen die Menschen weiter gewinnen, dass sie sich an die Maßnahmen halten. Die eigene Überzeugung und das Verantwortungsbewusstsein leiten die meisten Menschen viel mehr als die Angst vor dem Ordnungsamt.
Der 15-Kilometer-Radius um die Hotspots wird nicht ohne Kontrollen funktionieren.
LASCHET Jede ergriffene Maßnahme muss kontrolliert werden. Das müssen die örtlichen Ordnungsbehörden tun. Wo offenkundig gegen die Regeln verstoßen wird, hilft auch die Polizei.
Sie haben im Herbst gesagt, es brauche ein Leben mit der Pandemie ab dem 10. Januar; Wirtschaft und Gesellschaft könnten nicht mehr. Was hat sich daran geändert?
LASCHET Wir müssen ständig unter Unsicherheit Entscheidungen treffen – im Augenblick sogar noch mehr als bisher. Die tatsächlichen
Infektionszahlen könnten in der Realität höher sein, weil zwischen den Festtagen weniger getestet wurde und die Ämter später gemeldet haben. Das RKI hat uns gesagt, dass man erst ab dem 17. Januar wieder ein realistisches Bild bekommt. Weil wir zudem nicht wissen, inwieweit sich das mutierte Virus aus Großbritannien bei uns bereits ausgebreitet hat, müssen wir jetzt nochmals besonders vorsichtig sein.
Markus Söder stimmt die Menschen schon darauf ein, dass es auch bei der nächsten Beratung von Bund und Ländern am 25. Januar keine Lockerungen geben wird. Inwieweit teilen Sie diese Einschätzung?
LASCHET Ich finde es richtig, dass Markus Söder wie alle Ministerpräsidenten in dieser Lage besonders vorsichtig sein möchte. Wir müssen weiter genau die Entwicklung des Infektionsgeschehens abwarten. Inwieweit die aktuellen Werte auch die tatsächliche Situation abbilden, kann niemand seriös sagen. Deshalb rate ich von übertriebener Schwarzmalerei genauso ab wie von übermäßigem Optimismus. Jeder Einzelne kann seinen Beitrag leisten, dass es uns gelingt.
Dieses Hangeln von Termin zu Termin zermürbt die Menschen. Wieso nehmen Sie nicht einfach den Zielwert von einer 50er-Inzidenz und lockern dann?
LASCHET Ich finde, der Begriff Lockern passt nicht richtig. Es geht um ein kluges Abwägen zwischen notwendigen Schutzmaßnahmen und verbrieften Grundrechten, Freiheiten, Chancen. Deshalb ist es Konsens, dass wir, sobald es möglich ist, als erstes Beschränkungen in den Schulen zurücknehmen, um Kindeswohlgefährdungen abzuwenden und Bildungschancen nicht zu gefährden. Ende des Monats werden wir hierfür hoffentlich einen Schritt machen können.
In Bayern liegt die Impfquote um die Hälfte höher als in NRW, das nicht einmal den Bundesdurchschnitt erreicht. Was ist da los?
LASCHET Die Zahlen sind ähnlich unsicher wie die Infektionszahlen. Wir haben deutlich mehr geimpft, als dies in den gemeldeten Zahlen schon erfasst wurde. Deshalb müssen wir unser Meldesystem für das RKI auch noch einmal verbessern, damit auch unsere dezentralen Impfungen schneller im System erfasst werden. Das wird sich in den kommenden Wochen einpendeln. In NRW bleibt es dabei, dass jetzt unser Fokus auf denen liegt, die besonders schnell Schutz brauchen: Menschen in Alten- und Pflegeheimen. Das ist auch eine Frage der Solidarität.
Ihr Teampartner Jens Spahn ist im Zuge des Impfstarts stark in die Kritik geraten. Was ist Ihr Blick auf die Kritik?
LASCHET Jens Spahn macht eine sehr gute Arbeit. Das wird auch breit geteilt. Die Grundentscheidung, europäisch zu beschaffen und einen Überbietungswettbewerb abzuwenden, war richtig. Wir haben keine Sicherheit bei uns, wenn in Deutschland zwar alle durchgeimpft sind, in Belgien und den Niederlanden aber nicht. Impfnationalismus wäre falsch. Dass es anfangs etwas holpern würde, war abzusehen.
Und die Kritik an Spahn vonseiten der SPD? Lassen sich da erste Risse im Koalitionsgefüge ablesen?
LASCHET Es ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang,
wenn ein Kabinettskollege Jens Spahn wie bei einem Untersuchungsausschuss einen vierseitigen Fragenkatalog auf den Tisch knallt. Olaf Scholz und die SPD waren bei allen Sitzungen des Corona-Kabinetts dabei. Warum hat er da seine Fragen nicht vorgetragen? Ich halte das zumindest für schlechten Stil. Selbstverständlich müssen berechtigte Fragen der Öffentlichkeit aufgeklärt werden, und das wird ganz sicher auch geschehen. Gleichzeitig merken die Leute auch sofort, wenn es um parteitaktische Spielchen geht. Das Verhalten der SPD wird dem Ernst der Lage nicht gerecht.
Israel führt einen digitalen Impfpass ein, der den Zugang zu Veranstaltungen und ähnlichem gewähren soll. Gutes Modell?
LASCHET Nein. Eine Impfpflicht, und sei sie nur indirekt, gefährdet die Akzeptanz. Außerdem ist die Debatte doch absurd. Wir haben gerade Millionen Menschen, die sich impfen lassen wollen, aber es gibt noch nicht ausreichend Impfstoff in großen Mengen. Lasst uns doch erst mal mit dem Impfen vorankommen. Wenn wir 50 Prozent der Bevölkerung geschafft haben und sich die Herdenimmunität einstellt, ist es gut. Wenn nicht, müssen wir noch mal neu denken.
Schon jetzt stehen rund 50 Prozent der Pflegekräfte den Impfungen skeptisch gegenüber. Das muss Sie besorgen.
LASCHET Millionen andere Menschen wollen es aber doch. Man muss hierzulande auch sagen dürfen, dass man sich nicht impfen lassen will. Wir können nur appellieren und erklären. Ich werbe dafür, dass sich jeder impfen lässt. Der Impfstoff hat trotz kurzer Zeit ein geordnetes und seriöses Test- und Zulassungsverfahren durchlaufen.
Müsste die Politik eingreifen, wenn Firmen ihre Leistungen an einen Impfnachweis koppeln?
LASCHET Das gibt es im Augenblick nicht. Man muss die Frage beantworten, wenn sie sich stellt.
Benötigen wir einen zentralen Gedenktag für die Pandemieopfer?
LASCHET Ich bin da zurückhaltend. Wir sind noch inmitten der Bekämpfung der Pandemie. Ich halte es für viel zu früh, eine solche Frage abschließend zu beantworten. Wir werden sicher ein angemessenes Gedenken finden. Aber wir sollten bei aller Dramatik der Pandemie nicht vergessen, dass viele Menschen auch an anderen Krankheiten versterben, etwa an Krebs. Der Schmerz derer, die einen geliebten Angehörigen verlieren, ist nicht kleiner. Die dürfen wir bei all unseren Corona-Diskussionen nicht vergessen.
MORITZ DÖBLER UND MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.